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Willkommen auf meinem Blog, der Vernetzung von „Kulturgut 文化财富“ mit dem täglichen Leben, einer Ergänzung zu meiner Website. Hier finden Sie regelmäßig meine Sicht des Lebens in Beijing und China, in Hamburg und Deutschland – rein subjektiv und selektiv. Ich schreibe meist auf Deutsch, setze aber auf die internationale Sprache der Bilder, weshalb auch die Tags zweisprachig sind.

Viel Spaß wünscht Stefanie Thiedig.

欢迎访问我的博客,它不仅是"Kulturgut 文化财富"与日常生活的网络展现,同时也是对我个人主页的补充。在这里我会定期地以纯粹主观并带有选择性地的视角来观察北京和中国。大部分的时候我是用德语来撰写文字,但同时对图片也加注国际语言已达到标签双语效果。

由甲祝您好!

Sonntag, 6. August 2023
Hamburg: Bismarck-Denkmal


Das Hamburger Bismarck-Denkmal im auf die Landungsbrücken zugehenden Alten Elbpark ist mit Sockel 34,3 Meter hoch und steht dazu noch auf einem Hügel, dem letzten der nicht egalisierten 22 ehemaligen Bastionen der Wallanlagen. Die umstehenden Bäume werden es auch in weiteren hundert Jahren nicht bis dorthinauf schaffen, selbst im belaubten Sommer thront Bismarcks Kopf stets über diesem Teil der Stadt. Park und Denkmal stehen unter Denkmalschutz, Bismarcks seit 1960. Das Denkmal des Bildhauers Hugo Lederer setzte die Hamburger Kaufmannschaft dem ersten deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–98) nach seinem Tod 1906 aus Dankbarkeit für dessen Kolonialpolitik, durch die sie noch einmal reicher wurde. Aufgrund der Handelsinteressen besonders aus Hamburg und Bremen lud Bismarck 1884–85 zur Westafrika-Konferenz in Berlin ein und begründete damit die deutschen Kolonien. Die militärische Macht oblag seit der Reichsgründung 1871 dem ersten Deutschen Kaiser Wilhelm I. (1797–1888). Der nicht minder militärisch wirkende, auf sein enormes, zehn Meter langes Schwert gestützte Bismarck soll aber eher die Figur eines Roland und also die Stadtrechte symbolisieren – in diesem Fall das Recht auf Reichtum durch Ausbeutung. Granit-Bismarck kehrt der Stadt, manche sagen Berlin den Rücken und blickt die Elbe stromabwärts über Altona hinweg starr gen Westen.



Im Sommer 2022 wurde in einer offenen und anonymen Ausschreibung dem jahrelangen Ruf nach einer kritischen Auseinandersetzung begegnet. Knapp achtzig Entwürfe für künstlerische und/oder architektonische Interventionen trafen ein, acht von ihnen wurden in die zweite Phase geladen und schließlich im Juli 2023 alle abgelehnt. Die Empfehlung der Jury an die Stadt bleibt leider schwammig und betrifft mehr Vermittlung des politischen Wirkens von Bismarck und Aufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Debatte. Was macht die Stadt? Sie beendet die seit 2020 fortwährende Reinigung des Denkmals für neun Millionen Euro; dass der Bund den Großteil zahlt, macht es nicht besser. Aber immerhin war die Sanierung der Anlass zur kritischen Auseinandersetzung und dem Projekt „Hamburg dekolonisieren“ der Stiftung Historische Museen Hamburg. In diesem Zuge kam es auch zur Ausschreibung.

Alle 78 Entwürfe kann man sich im Museum für Hamburgische Geschichte ansehen: Bismarck neu denken, 26.7.–14.8.2023 – oder im digitalen Katalog mit allen Entwürfen blättern: Katalog: Bismarck neu denken, Stand: 6.8.2023.

Hier ein Interview mit Christina Weiss, der Vorsitzenden der Wettbewerbsjury: Kontextualisierung? Bisher kein Siegerentwurf für Hamburger Bismarck-Denkmal. In: Fazit, DLF, 10.7.2023, 7:33 Minuten, Stand: 6.8.2023.

Ein wenig scheint es, als habe sich die Jury aus Unbehagen vor der thematischen Komplexität mit der Verteilung des Preisgeldes an alle acht Teilnehmenden der zweiten Phase freigekauft, leider sind 27000 Euro durch 8 nur 3375 Euro pro Person, nett, aber nicht weltbewegend. Außerdem waren tolle Entwürfe dabei, aus diesen hätte man doch etwas machen können, kann es immer noch. Man könnte sie zusammenführen, wenigstens Teilaspekte schon einmal angehen. Doch die Jury gibt die Aufgabe weiter, rät zu einem Fachbeirat, zu „Vertextung“ (s. im Interview mit Weiss).

Dazu fällt einem unweigerlich einer der Entwürfe ein, dort ging es um das „Zutexten“ des gesamten Denkmals, von Hannimari Jokinen „für kollektive Überschreibungen“ (s. Katalog S. 140–43).



Wunderbar fand ich auch die Idee, das Denkmal als Kletterwand zu nutzen (von noroomgallery, s. Katalog: 150–52). Laut Ausschreibung ging es stets um die „Augenhöhe“, mit der Bismarck begegnet werden sollte. Zahlreiche Entwürfe beschäftigten sich mit architektonischen Gerüsten, um die 34 Meter Höhe zu erreichen (etwa von Studio M8s, Katalog: 153–55), mit Projektionen, um Bismarck in stets neue Kontexte zu tauchen (etwa von Ruairí O‘Brien Architektur. Licht. RaumKunst, Katalog: 75f), viele spielten mit seinem Kopf – setzen ihm einen Heiligenschein auf (von Künstlerduo [Schwarzenfeld] R. A. Sauer u. M., Katalog: 97f), einen Afro (von Alex Tennigkeit, Katalog: 136), ein virtuell bespieltes Stirnband (etwa vom Künstlerkollektiv Schultze-Müller, Nils-R. Schultze, Katalog: 105f), ein Riesengehirn (von Sutosuto GbR, Katalog: 45) oder eine Regenfontäne (von Liselotte Illig, Katalog: 95) oder versahen ihn mit einem „Tränen-Tattoo“ (von Lennart Münchenhagen, Katalog: 14) – oder beschrieben sein Schwert (von Franz Wassermann, Katalog: 117f) oder legten eine Demarkationslinie durch die Gegend und über die Statue hinweg (von Christian Zeitler, Katalog: 127), überwucherten Bismarck mit Pflanzen (von Kai Lillich AV Konzepte und Gestaltung, Katalog: 83f) oder entwickelten Apps mit interaktiven Stationen (etwa von Atelier Sigma Talberg, Katalog: 147–49, oder von Marius Westermann, Katalog: 59) oder setzen ihn in einen Vogelkäfig (von Studio Filomeno Fusco, Katalog: 100f) oder umfassten ihn mit einem spiegelnden Band, um ihn durch die grüne Umgebung zweizuteilen (von Pour.Works, Katalog: 60), umgaben ihn mit restitutionsbedüftigen Skulpturen aus dem MARKK (von Heinke Haberland, Katalog: 135) oder lehnten einen überdimensionierten Zahnstocher gegen die Statue, um diese gedanklich zu verkleinern (von Norbert Illig, Katalog: 43). Auch die Katakomben im Sockel wurden häufig einbezogen. Ich bin gespannt, ob und wann diese zu begehen sein werden.


Nina Heinzel wandelte Bismarck in Darth Vader um (Katalog: 17).

Und vieles, vieles mehr, klickt euch einmal durch den Katalog – hier erneut der Link.


Tags für diesen Beitrag 这本文章的标签: Hamburg 汉堡, Ausstellung 展览, Gegenwart 当代, Vergangenes 古代

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Mittwoch, 10. Mai 2023
München, Allgäu, Basel: Kunst und Natur im Frühjahr 2023
München

Wie immer das Beste zuerst: Im Museum Brandhorst läuft Nicole Eisenman: What Happened, 24.3.–10.9.2023. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die nach ihrer ersten Station von München aus nach London in die Whitechapel Gallery, 10.10.2023–14.1.2024, und abschließend nach Chicago ins Museum of Contemporary Art, 6.4.–1.9.2024, weiterziehen wird. Eine großartige Ausstellung, wer die Möglichkeit hat, sehe sie sich unbedingt an.

Die Treppe herunter geht es in den Hauptraum mit der Arbeit „Procession“ von 2019. Gut zehn Figuren bewegen sich, teils in Gruppen, alle schleppend, gestört, deformiert, gepeinigt, beinahe zombihaft, aber mit irgendeinem diffusen Ziel vor Augen in eine Richtung. Was für ein Gesellschaftsbild.


Überblick und Ausschnitt von: Procession. 2019.


Mensch im Zentrum der Menschheit | Man at the Center of Men. Bronze und Edelstahl | Bronze and stainless steel, 2019. Courtesy: Nicole Eisenman, Hauser & Wirth.


Drei Wanderer | Three Walkers. Mischtechnik | Mixed media, 2019. From the Collection of Stephanie and Timothy Ingrassia.


Ebd., Detail.

Hier kann man sich lange aufhalten und all die kleinen, wundervoll witzigen Details betrachten, von denen ich vermutlich nicht die Hälfte verstanden habe, doch aber das „Wir sind am Arsch“, wie es ein Begleittext beschreibt.


Detail von: Museumsstück con Gas | Museum Piece Con Gas. Gips, Wolle, Bienenwachs, Epoxidharz, Nebelmaschine, Mischtechnik | Plaster, wool, beeswax, epoxy resin, fog machine, mixed media, 2019. Courtesy: Nicole Eisenman, Hauser & Wirth.


Detail von: Kopf mit Dämon | Head with Demon. Bronze, Wasserbrunnen | Bronze, water fountain, 2018. Daskal Collection.


Ebd.

Im Übergang zu den chronologisch kuratierten kleinen Räumen, in denen es um Sexualität, die Erniedrigung des Künstler·innendaseins und immer um die gesellschaftlichen Störungen im Allgemeinen geht.


Der Triumph der Armut | The Triumph of Poverty. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 2019. From the Collection of Bobbi and Stephen Rosenthal, New York City.


Limonadenstand | Lemonade Stand. Acryl auf Leinwand | Acrylic on canvas, 1994. Whitney Museum of American Art, New York.


Inspiration. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 2004. Beth Rudin DeWoody.


Zurechtkommen | Coping. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 2008. Collection of Igor DaCosta and James Rondeau, courtesy Barbara Weiss Gallery.


Ohne Titel (Porträt eines Mannes, Wolfie) | Untitled (Portrait of a Man, Wolfie). Öl auf Holz | Oil on board, 2007. The Collection of Eleanor Heyman Propp.


Ohne Titel | Untitled. Öl auf Aluminiumguss | Oil on cast aluminum, 2017. Collection of Miyoung Lee and Neil Simpkins und div. Sammlungen.

Natürlich konnte ich am Ausstellungskatalog nicht vorbei:



Monika Bayer-Wermuth und Mark Godfrey (Hgg.) (2023): Nicole Eisenman: What Happened. London: Whitechapel Gallery.


Im Haus der Kunst läuft Trace: Formations of Likeness, Fotografie und Video aus The Walther Collection, 14.4.–23.7.2023. Hier nur zwei Einblicke aus der enormen Bandbreite:


Karl Blossfeldt (1865–1932): Urformen der Kunst | Art Forms in Nature. Eine von 120 Fotogravüren | One of 120 photogravures, 1928.


Xu Yong 徐勇: Dieses Gesicht | This Face. 183 chromogene Abzüge | 183 chromogenic prints, 2011.


Ebenfalls im Haus der Kunst, im häufig sehr wunderbar bespielten Foyer, läuft Hamid Zénati [1944–2022]: All-Over, 16.3.–23.7.2023.


Überblick und Ausschnitt.


Ausschnitt.


Detail an einer Wand.


In den Kunstarkaden läuft die Ausstellung Sterling Darling mit Werken von Chaeeun Lee, Eunju Hong, Jianling Zhang, Pierre-Yves Delannoy und Yuchu Gao, 26.4.–27.5.2023. Ein netter Kellerort für Studierende und Absolvent·innen der Kunstakademie, ich musste bei den Arbeiten an chinesische Performancevideos der 2000er Jahre denken.


In der Kunsthalle München, der Kulturstiftung der Hypo Vereinsbank, habe ich die Ausstellung Joaquín Sorolla: Spaniens Meister des Lichts, 4.3.–3.7.2016, noch eindrucksvoll in Erinnerung (unter dem Link auffindbar mit Strg.+f: Hypo). Gute Häuser besucht man gern erneut – und kann nur darauf zählen, dass die aktuelle Show eine Ausnahme ist. Flowers Forever: Blumen in Kunst und Kultur, 3.2.–27.8.2023, wirkt leider konzeptlos und willkürlich. Laut Anschlag werden Objekte „aus Kunst, Design, Mode und Naturwissenschaft“, in „Mythologie und Religion, in Kunst, Literatur oder Politik“, „vom Altertum bis heute“ gezeigt. Entsprechend scheint in den Räumen alles präsentiert, was sich mit einem Blümchen versehen auftreiben ließ. Eine thematische oder chronologische Anordnung wird nicht ersichtlich, der Großteil der Flächen ist überfrachtet, weshalb zahlreiche Werke einem möglichen Kontext entrissen nur mehr ins Kitschige kippen, und besonders das Spiegelkabinett ist augenscheinlich bloß für Instagram konzipiert. Dabei bietet sich das weite Feld der „Blumen“ für eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung an, etwa in Bezug auf Dekoration und damit traditionell als vermeintliches Frauenthema, noch müheloser ließe sich ein ökologischer Ansatz finden oder natürlich ein ästhetischer. Allein zwei kleine Werke durften in meine Kamera hinein:


Unbekannt (Ägypten) | Unknown (Egypt): Sonnengott auf der Lotusblüte | Sun God on a Lotus Flower. Bronze, Blei-Zinn-Bronze | Bronze, lead-tin-bronze, 600–350 v. Chr. | B.C. Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, München.


Ru Xiao Fan [茹小凡]: Ode an die Meditation [打坐颂], Jingdezhen (Provinz Jiangxi) | Ode to Meditation, Jingdezhen (Jiangxi Province). Seladon-Porzellan | Celadon porcelain, 2012. Leihgabe des Künstlers | Lent by the artist.


Die Blumelei war schnell vergessen, Nicole Eisenman wird lange bleiben, die Gespräche etwa über Witz im künstlerischen Ausdruck mäandern weiter in mir.


Allgäu

Bergauf, bergab gibt es hier Anfang Mai Nebel unter Fichten und in Bergschluchten, ab 1500 Metern Schnee, den wir auf Hosenböden herunterschlittern konnten, Haselnussschnaps an Gipfelkreuzen, Täler voller Löwenzahn, wundervolle Sonnentage, nach denen wir uns in den Illerstrom warfen.















Außerdem konnte ich das Repertoire meiner Fotoserie „Türen zu Wäldern“ erweiterten:










Basel

Im Rahmen von Open House Basel wurde Xu Tiantian, Gründerin des Beijinger Architekturbüros DnA_Design and Architecture, zur Gewinnerin des 8. Swiss Architectural Awards gekürt und gab einen Einblick in ihre Projekte.


Xu Tiantian 徐甜甜, DnA.


Im Kunstmuseum Basel laufen unter anderem folgende Sonderausstellungen:

Born in Ukraine: Die Kyjiwer Gemäldegalerie zu Gast, 6.12.2022–2.7.2023. Um ihre Werke zu schützen, hatte das Nationalmuseum in Kiew im Frühjahr 2022 einen Teil der eigenen Sammlung in Basel untergebracht, von denen hier knapp fünfzig gezeigt werden.


Oleksandr Tyschler (1898–1980): Machnowschtschyna (Huljajpole) | Makhnovshchyna (Huliaipole). Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1927. The Kyiv National Art Gallery.


Petro Ossovsky (1925–2015): Das Dorf Malatyna | Malatyna Village. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1975. The Kyiv National Art Gallery.


Andrea Büttner: Der Kern der Verhältnisse, 22.4.–1.10.2023. Ausgangspunkt ist das Buch „Liber Vagatorum“, in dem, so der Begleittext, im 16. und 17. Jahrhundert „vor Bettlern und Landstreichern gewarnt“ wurde, „fortan wurden mittelalterliche Vorstellungen der Mildtätigkeit und Armenfürsorge zusehends von den Geboten der protestantischen Arbeitsethik verdrängt.“ Büttner reagiert auf die Bilder mit eigenen Holzschnitten – die mir leider entgangen sind, da wir hier auf dem Weg zu Shirley Jaffe nur kurz vorbeikamen.


Liber Vagatorum: Der betler orden (The Order of Beggars). Gebundene Ausgabe | Hardback edition, Nürnberg 1501. Öffentliche Bibliothek der Universität Basel.


Rembrandt van Rijn (1606–1669): Bettler und Bettlerin hinter einer Böschung | Beggar and Beggar Woman behind an Embarkment. Radierung, Faksimile | Etching, Facsimile, um 1630. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Inv. X.1126, Schenkung Emilie Linder.


Shirley Jaffe [1923–2016]: Form als Experiment, 25.3.–30.7.2023. Jaffe lebte von 1949 bis zu ihrem Lebensende in Paris. Diese Retrospektive zeigt ihr jahrzehntelanges Schaffen im stetigen formalen Wandel. Insbesondere ihre abstrakt expressionistischen Arbeiten haben mir gefallen.

Interessant dazu ist unter anderem diese Information eines Begleittextes: „Etwa 300 Künstler:innen aus Amerika ziehen Ende der 1940er Jahre in die französische Metropole. Viele dieser ‚Amerikaner:innen in Paris‘ können von der G.I. Bill profitieren. Das Gesetz wird 1944 erlassen, um Kriegsveteran:innen finanziell zu unterstützen – auch bei einer Ausbildung im Ausland. Sie schreiben sich in den Kunstschulen der Stadt ein oder besuchen die Ateliers namhafter Künstler:innen. […] Shirley Jaffes Mann, Irving Jaffe, schreibt sich an der Sorbonne ein und kann das Leben des Paares in Paris dank der G.I. Bill finanzieren.“


Ohne Titel | Untitled | Sans titre. Öl auf Leinwand, 1958. Centre Pompidou, Musée national d‘art moderne, Paris. Schenkung 2020.


Ohne Titel | Untitled | Sans titre. Öl auf Leinwand, 1955. Centre Pompidou, Musée national d‘art moderne, Paris. Schenkung 2020.


Crazy Jane at Appomattox. Öl auf Leinwand, 1956. Courtesy Shirley Jaffe Estate und Galerie Nathalie Obadia, Paris und Brüssel.
Appomattox ist eine Stadt in Virginia.


Which in the World. Öl auf Leinwand, 1957. Centre Pompidou, Musée national d‘art moderne, Paris. Schenkung 2020.

Bei „Which in the World“ soll es sich dabei um eine Anspielung auf Renoirs „Le Déjeuner des canotiers“, 1880–81, handeln, hier abfotografiert von der kleinen Bildtafel:


Pierre-Auguste Renoir: Le Déjeuner des canotiers. 1880–81. The Phillips Collection, Washington DC, acquired 1923.

Ihre späteren Arbeiten in Riesenschritten:


Ohne Titel | Untitled | Sans titre. Öl auf Leinwand, 1955. Centre Pompidou, Musée national d‘art moderne, Paris. Schenkung 2020.


The Black Line. Öl auf Leinwand, 1975. Collection John Driscoll, Courtesy Tibor de Nagy Gallery, New York.


Hollywood. Öl auf Leinwand, 1980. Musée d‘Art Moderne de Paris, Ankauf in der Galerie Jean Fournier 1982.


(Links:) Cobra. Öl auf Leinwand, 1996. Fonds d‘art contemporain, Paris Collections.
(Rechts:) Traffic. Öl auf Leinwand, 2007. Privatsammlung, Paris.


Da in der Gegend, machte ich einen schnellen Abstecher nach Biel. Hier bleibe ich gern wieder einmal länger. Und beim nächsten Mal folge ich Katharinas Rat, mir ein Halbtax für den SBB zu kaufen, ein Monat kostet 120 Franken, ein Jahr 185, damit bezahlt man für alle Züge den halben Preis.


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Auf dieser Reise las ich (mit bestem Dank für die Empfehlung an Wei):



Stephen Greenblatt (2013 [2011]): Die Wende: Wie die Renaissance begann (Original: The Swerve: How the World Became Modern). Übersetzung: Klaus Binder. München: Pantheon (Siedler Verlag 2012).

Zentrum von Greenblatts Erzählung ist die nach tausend Jahren erfolgte Wiederentdeckung von Lukrez‘ „De rerum natura“ (hier übersetzt mit: Von der Natur; ca. aus den 50er Jahren v. Chr.) durch den italienischen Humanisten und Manuskriptjäger Poggio Bracciolini in einem süddeutschen Kloster im Jahre 1417. Noch mit den gottesfürchtigen Repressalien und dem „gedankenpolizeiliche[n] Arm“ (S. 263) der Inquisition im Nacken katapultierte dieser Text die westeuropäische Welt aus dem Mittelalter heraus in die Renaissance beziehungsweise, so Greenblatts These im englischen Original, in die Moderne. Denn Lukrez leugnete die Unsterblichkeit der Seele, lehnte die göttliche Vorsehung ab und behauptete, Lust sei das oberste Gut (S. 265). „Alles Seiende ist aus unsichtbaren Teilchen zusammengesetzt“, alles Dasein bestehe aus Atomen (s. die Zusammenfassung der Thesen S. 194–207). Um diese Kernaussage wird die Welt am Hof der römischen Päpste dargestellt, es geht um ihre Intrigen und Gedankenvorstellungen, ihr Verhältnis zu heidnischen Schriften, um das Leben in Klöstern, das Aufkommen von Bibliotheken, um private Büchersammler·innen, das Schrifttum vor Gutenberg im ewigen Kopieren, den Verlust so vieler Manuskripte. Immer wieder werden Bezüge in unsere Gegenwart hergestellt. Dieses Buch ist eine beeindruckende Fundgrube.

Lukrez‘ ganz besondere Lust gilt der Gemeinschaft und dem Austausch mit Freund·innen. Die Begegnungen in München, im Allgäu und in der Schweiz brachten mir wahrlich große Lust.


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Hamburg und mehr: Kunst im Winter und Frühjahr 2023
Hamburg

Der Beginn des Jahres 2023 steht in Hamburg unter dem Namen von Dieter Roth (1930–1998), dem deutsch-schweizerischen Künstler, Poeten, Musiker, Publizisten, einem Tausendsassa, der ungemein produktiv war, in schwindelerregendem Tempo, dabei stets durchdacht und mit skurrilem Humor arbeitete, mit jeglichem Material, das ihm in die Finger kam, das er häufig dem zeitlichen Prozess bis zum Verfall und Verschimmeln aussetzte.

Zunächst ging es für mich ins Stadthaus Abteistraße 57 nahe U1-Klosterstern ins Dieter Roth Museum, das immer einmal wieder zu Führungen einlädt. Neben zahlreichen anderen Orten hat Roth hier ab 1974 eine Zeitlang und immer wieder gelebt und gearbeitet und dieses Museum aufgebaut.



Alle Bilder unter Courtesy: Dieter Roth Foundation Hamburg, Dieter Roth Estate, Hauser & Wirth. Die Werke im Dieter Roth Museum sind großteils unbetitelt ausgestellt.


(Mit Selbstporträt und „Löwenselbst“.)


(Selbstporträt aus Schokolade, Ausschnitt.)


(„Löwenselbst“ aus Schokolade, Detail im Glasschrank.)






(Detail, Grafik.)




Text: „Zeitschrift für den Mann“.


(Scheibenwurst.)


Text: „Diter Rot: Großes Inselbild, 1970. DM 8.200,-- mit Plexiglashaube“.


Text: „Lieber Reimi, darf der Unterfertige Dich freundlich bitten, die Beiliegenden auf schnelle, aber sichere Weise zu erledigen? // von Dieter // die schönsten Grüße // Stuttg. 29.9.79 // da war schon mal ‘ne Rechnung von Jankomski[?], 300 Ungerade, is die schon weg, wa?“








Ebd., Detail.


Text: „Wendeblick“.




Die Sammlung Falckenberg zeigt über tausend Objekte in Dieter Roth: Gepresst, gedrückt, gequetscht. Material- und Druckgraphik, 3.12.2022–26.2.2023.


Poet mit rückenwind auf dem weg nach hause hinauf. Tiefdruck (Ätzung und Kaltnadel), blau auf weißem Bütten, 1966. Sammlung Falckenberg.


Immer im Meer leben. Siebdruck, schwarz auf weißem Karton, fotomechanische Reproduktion einer Zeichnung, 4/80, 1970.


Surtsey. Mappe mit 18 Lichtdrucken (Hyalografien), 1-8 Farben auf weißem Papier, 1974. Sammlung Falckenberg.


Karnickelköttelkarnickel. In Hasenform gepresstes Kaninchenstroh, Kaninchenköttel, 1975. Sammlung Falckenberg.


Dichterklub mit aufgebender Muse. Tiefdruck (Kaltnadelradierung und Fräsung in Zink), 3 Farben (von 3 Druckplatten) und Fingerabdrücke auf weißem Bütten, 1974.


Fensterspiegel mit Rathaus. Tiefdruck (Ätzung in Zink) und Schablonendruck (Sieb), 2 Farben auf chamois Bütten, II/III, 1975.


Blabla von M & T von Kilometer. 14 Drucke (7 Paare) in Mappe, Flachdruck, jedes Bild direkt und indirekt (Offset) gedruckt, 1-3 mal, schwarz auf weißem Bütten, 3/10, 1977.


Rainer-Roth / Roth-Rainer (mit Arnulf Rainer). 1 von 21 Drucken (Doppelbilder) in Mappe, Flachdruck (Handoffset) auf weißem Bütten, 4/4, 1975.


Ebd.


Merians Lieblinge. 10 Drucke in Mappe, Tiefdruck (Aquatinta, Kaltnadel und Polierstahl, in Kupfer, alle Drucke von derselben Platte) auf weißem Bütten, 2/3, 1973.


Das Bucerius Kunst Forum zeigt Die neuen Bilder des Augustus: Macht und Medien im antiken Rom, 8.10.2022–15.1.2023. Wieder eine gute Ausstellung des Hauses. Leider durfte wie so häufig auf Ansage der leihgebenden Sammler·innen nicht fotografiert werden. Deshalb gab es für mich den Ausstellungskatalog. Ich fand nämlich die Architekturdarstellungen auf Wandfresken besonders grandios und brauchte sie als Bilder (S. 300ff).



Annette Haug und Andreas Hoffmann (Hgg.) (2022): Die neuen Bilder des Augustus: Macht und Medien im antiken Rom. Hamburg und München: Bucerius Kunst Forum und Hirmer.


Der Folgeausstellung im Bucerius Kunst Forum darf mit Kamera begegnet werden, allerdings verhunzte ich zahlreiche aufgrund der gedimmten Belichtung und/oder eignem Tatter. Gabriele Münter: Menschenbilder, 11.2.–21.5.2023.


Kopf eines alten Mannes, Paris. Öl auf Leinwand auf Pappe, 1906. Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser.


Suchende. Aquarell und Bleistift auf Transparentpapier, 1916. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957.


Dame im Sessel, schreibend (Stenographie. Schweizerin in Pyjama). Textiler Bildträger, 1929. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Dauerleihgabe der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München.


Bildnis einer Künstlerin (Margret Umbach). Öl auf Leinwand, 1932. Sammlung Dreiländermuseum Lörrach.


Im Ernst Barlach Haus im Jenischpark läuft Kerben und Kanten: Hermann Scherer [1893–1927]. Ein Schweizer Expressionist, 5.3.–4.6.2023.


Große Tessiner Landschaft | Large Ticino Landscape. Holzschnitt | Woodcut, 1925. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett. Geschenk der Familie Hermann Scherers aus dem Nachlass des Künstlers 1927.


Selbstporträt mit Figuren | Self-portrait with Figures. Braune und schwarze Fettkreide | Brown and black oil pastel, 1924–25. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Geschenk der Freunde des Kupferstichkabinetts 1927.


Stehender Frauenakt mit gesenkten Armen | Standing Female Nude with Lowered Arms. Zeichnung, schwarze Fettkreide, Druckstock aus Arvenholz (fragmentiert), Holzschnitt | Drawing, black oil pastel, Swiss-pine printing block (fragmented), woodcut, 1924. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Geschenk der Freunde des Kupferstichkabinetts und der Familie Hermann Scherers aus dem Nachlass des Künstlers 1927.


Porträt einer Frau | Portrait of a Woman. Druckstock aus Arvenholz, Vorzeichnung in schwarzer und roter Fettkreide | Swiss-pine printing block, sketch in black and red oil pastel, 1924–25. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Schenkung Margret Scherer und Peter Bosshart aus dem Nachlass Hermann Scherer 2022.


Porträt Otto Rühle | Portrait of Otto Rühle. Druckstock aus Arvenholz, Holzschnitt | Swiss-pine printing block, woodcut, 1925. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Schenkung Margret Scherer und Peter Bosshart aus dem Nachlass Hermann Scherer 2022 und Geschenk der Familie Hermann Scherers aus dem Nachlass des Künstlers 1927.


Der Redner | The Orator. Lindenholz | Lime, 1926. Nachlass Hermann Scherer, Efringen-Kirchen.

Dazu im Haus von Ernst Barlach (1870–1938):


Verhüllte Bettlerin | Veiled Beggarwoman. Bronze (Guss von | Cast 1961), 1919. Erworben 1979.


In der Hamburger Kunsthalle läuft Femme Fatale: Blick – Macht – Gender, 9.12.2022–10.4.2023. Dazu ist ein Glossar feministischer Begriffe erschienen.


John William Waterhouse (1849–1917): Circe reicht Odysseus den Zaubertrank | Circe Offering the Cup to Ullysses. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1891. Gallery Oldham.
Lieber hätte ich als Titel: Circe betrinkt sich.


Karl Hubbuch (1891–1979): Lissy im Café | Lissy in the Café. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1930/1932. Städtische Galerie Karlsruhe.


Max Liebermann (1874–1935): Simson und Delila | Samson and Delilah. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1902. Städel Museum, Frankfurt am Main.


Otto Greiner (1869–1916): Widmung an Max Klinger: Die Erschaffung des Menschen (aus der fünfteiligen Serie: Vom Weibe) | Dedication to Max Klinger: The Creation of Man (from the five-part series: Of Women). Federlithografie, Druck graugrün | Pen lithograph, grey-green print, 1898. Museum der bildenden Künste, Leipzig.


Ders.: Der Mörser (aus der fünfteiligen Serie: Vom Weibe) | The Mortar (from the five-part series: Of Women). Federlithografie, Druck karmesinrot | Pen lithograph, crimson print, 1900. Museum der bildenden Künste, Leipzig.


Franz von Stuck (1863–1928): Helena. Öl auf Holz | Oil on wood, ca. 1925. Privatbesitz.


Victor Müller (1830–1871): Salome mit dem Haupt des Johannes | Salome with the Head of John the Baptist. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1870. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie.


Fernand Khnopff (1858–1921): Who Shall Deliver Me? (Christina Georgina Rossetti). Conté-Stift und Farbstift auf Papier | Conté crayon and coloured pencil on paper, 1891. The Hearn Family Trust.


Aloys Rump (*1949): Loreley – Rheinaufwärts | Loreley – Rhine Upwards. Schiefermehl (aus der Grube Rhein Bacharach), Marmorstaub auf Leinwand | Slate flour (from the mine Rhine Bacharach), marble dust on canvas, 2022. Courtesy: Aloys Rump.


Betty Tompkins (*1945): (Links:) Women Words (Helmut Newton #6). Acryl auf Buchseite | Acrylic on bookpage, 2018. Charlotte Yijun Lin, Hongkong.
(Rechts:) Women Words (Delacroix #1). Acryl auf Buchseite | Acrylic on bookpage, 2018. Courtesy: Betty Tompkins, Rodolphe Janssen, Brüssel, und P·P·O·W, New York.


Jenevieve Aken (*1989): The Masked Woman. Fotografien, siebenteilige Serie | Photographs, seven-part series, 2014. Courtesy: Jenevieve Aken.


Birgit Jürgenssen (1949–2003): Ohne Titel (Körperprojektion) | Untitled (Body Projection). Ausschnitt, Farbfotografie | Colour photograph, 1986–88/2009. Birgit Jürgenssen, Estate Birgit Jürgenssen, Courtesy: Galerie Hubert Winter.


Dies.: Ohne Titel (Olga) | Untitled (Olga). SX 70 Polaroid, 1979. Birgit Jürgenssen, Estate Birgit Jürgenssen, Courtesy: Galerie Hubert Winter.


Dies.: Ohne Titel (Selbst mit Fellchen) | Untitled (Self with Fur). Farbfotografie | Colour photograph, ed. 2/18, 1974/2011. Birgit Jürgenssen, Estate Birgit Jürgenssen, Courtesy: Galerie Hubert Winter.


Ebenda weiterhin die zweijährige Ausstellung something new, something old, something desired, 18.2.2022–18.2.2024.


Jannis Kounellis (1936–2017): Ohne Titel (Rußspuren) | Untitled (Soot Marks). Wandinstallation mit Rußspuren, Eisenkonsolen, Holzstücke | Wall installation with soot, iron, wood, 1984. Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, erworben 1995.


Philippe Vandenberg (1952–2009): L‘important c‘est le kamikaze | Das Wichtige ist Kamikaze | The Importance is the Kamikaze. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 1988–2005. Geschenk des Estate Philippe Vandenberg, Brüssel, 2018.


Christian Haake (*1969): Movie. After Some Good Days You Will See the End from Here. Siebdruck, zweierlei Pigment, Gummi arabicum auf Büttenpapier und Alupanel | Silkscreen, two kinds of pigment, gum arabic on handmade paper and aluminium panel, 2015. Dauerleihgabe des Fonds für Junge Kunst der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, erworben 2019.


Robert Morris (1931–2018): Untitled | Ohne Titel. Aluminium-Streckmetall, 16 Teile | Expanded aluminium, 16 units. Schenkung Susanne & Michael Liebelt, Hamburg, 2020.


Tobias Putrih (*1972): Macula / Series B / Nr. 11. Pappe | Cardboard, 2006. Schenkung Dr. Christian Bauschke, Berlin, 2020.


Edith Dekyndt (*1960): Winter Drums. Stoff, Kunstharz, Holzrahmen | Fabric, synthetic resin, wooden frame, 2017. Schenkung der Künstlerin, 2021.


Daniel Richter (*1962): Fatifa. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 2005. Eigentum der Montblanc Kulturstiftung, erworben 2005, Dauerleihgabe an die Hamburger Kunsthalle für 99 Jahre.


Seiichi Furuya (*1950): Mémoires. Ausschnitt, Dia-Projektionen | Slide projections, 2012. Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, erworben 2020.


Ebd.


Thomas Schütte (*1954): United Enemies. 1 von 3 Einzelwerken | 1 of 3 single works, Fimo (Modelliermasse), Holz, Stoff, Draht, Kordel, Klebeband, PVC, Glashaube | Fimo (polymer clay), wood, textile, wire, cord, tape, PVC, glass cover, 1993. Erworben 1994.


Almut Linde (*1965): Dirty Minimal #45.1.1. – Eine andere Welt | Another World. Deutsch-tschechische Grenze | German-Czech border, Soundinstallation | Sound installation, 2008. Schenkung von Jochen und Christof Beutgen, 2021.
Text: „A nine-year-old prostitute sings children‘s songs“.


Simon Denny (*1982): New Management. Multimedia-Installation | Multimedia installation, 2014. Schenkung von The George Economou Collection, 2021.


Annette Messager (*1943): Ma collection de proverbes | Meine Sprichwörtersammlung. 1 von 49 Stickereien auf Leinenstoff, einzeln gerahmt | Embroidery on linen, framed individually, 1974. Erworben 1996.
Text in Übersetzung: „Vor zwei Dingen hüte uns Gott: vor Rindfleisch ohne Senf und vor Frauen, die sich schminken.“


Annika Kahrs (*1984): Infra Voice. Ausschnitt, Drei-Kanal Video und Soundinstallation | Three-channel video and sound installation, 2018. Dauerleihgabe des Fonds für Junge Kunst der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, erworben 2018.


Bruce Nauman (*1941): Marching Man. Neon (Ausstellungskopie), Glas, Draht, Trafo, Kabel, Lack, Aluminiumpaneelkasten | Neon tubing (exhibition copy), transformer, electric cable, wire, painted aluminium box, o. J. Erworben 1993.


Paul Spengemann (*1987): Walking Stick. Ausschnitt, Video, HD, Ton | Video, HD, sound, 2017. Dauerleihgabe des Fonds für Junge Kunst der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, erworben 2020.


Jan Köchermann (*1967): Dead End Dommitzsch. Ausschnitt, div. Material, Videoloop | Div. materials, video loop, o. J. Erworben 2016.


Sara Sizer (*1957): Since. Gebleichter Samt | Bleached velvet, 2018. Geschenk der Künstlerin und der Galerie Cosar HMT.


Anna Grath (*1983): Pinup. Textilien, Marmor | Textiles, marble, 2021. Haverkampf Leistenschneider, Berlin.


Peter Doig (*1959): Sea Moss. Öl auf Leinwand | Oil on canvas, 2004. Leihgabe aus einer Privatsammlung in der Hamburger Kunsthalle.


København

Über Neujahr war ich in Kopenhagen. Zuallererst ging es ins Statens Museum for Kunst (SMK) zu Matisse: The Red Studio, 13.10.2022–26.2.2023.



Dort ist „Das rote Atelier“ von Henri Matisse (1869–1954) ausgestellt, präsent in der Mitte, und um es herum all die Werke, die im Roten Atelier abgebildet sind – Bamm! Für den Größenvergleich:




The Red Studio. Oil on canvas, 1911. MoMA, New York, Mrs. Simon Guggenheim Fund, 1949.


Corsica, the Old Mill. Oil on cancas, 1989. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln.


Nude with White Scarf. Oil on canvas, 1909. SMK, gift of Johannes Rump, 1928.


Young Sailor (II). Oil on canvas, 1906. The Metropolitan Museum of Art, New York, Jacques and Natasha Gelman Collection, 1998.


Upright Nude with Arched Back. Terracotta, 1906–07. Private collection.


Female Nude. Tin-glazed earthenware, 1907. MoMA, New York.


Cyclamen. Oil on canvas, 1911. Private collection, courtesy: Andrew Strauss, Paris.


Bathers. Oil on canvas, 1907. SMK, gift of Augustinus Fonden & Ny Carlsbergfondet, 2018.


Le luxe (II). Distemper on canvas, 1907–08. SMK, gift of Johannes Rump, 1928.


Jeannette (IV). Bronze, cast 1/10, 1912, 1911. Fondation Beyeler, Riehen/ Basel, Sammlung Beyeler.


Decorative Figure. Bronze, cast 1/10, 1908. Art Gallery of Ontario, Toronto, gift of Sam & Ayala Zacks, 1970.


Weiterschweifend durch das SMK sah man noch dieses und jenes:


Cornelius Norbertus Gijbrechts (1657–1675): Trompe l‘oeil with Studio Wall and Vanitas Still Life. Oil on canvas, 1668.


Lucas Cranach den Ældre (ca. 1472–1553): Portrait of Martin Luther. Oil on panel, 1532.


Johan Christian Dahl (1788–1857): The Gulf of Naples, Moonlight. Oil on canvas, 1820–21.


Ders.: Seascape with a Wreck. Oil on canvas, 1831.


Ders.: An Oak. View of the Garden at Wörlitz near Dessau. Oil on paper on canvas, 1838.


Caspar David Friedrich (1774–1840): After the Storm. Oil on canvas, 1817.


Vilhelm Hammershei (1864–1916): From a Deerpark near Copenhagen. Oil on canvas, 1901.


Rudolph Tegner (1873–1950): Sepulchral Monument to the Artist‘s Mother, Signe Tegner. Plaster, 1899.


Niels Hansen Jacobsen (1861–1941): The Shadow. Bronze, 1897–98.


Auch machten wir uns auf ins zwanzig Kilometer südlich gelegene ARKEN Museum for Moderne Kunst, leider hörten wir auf die Öffnungszeiten bei Google Maps, nicht auf die der Website, aber es war ein schön windiger Ausflug.



Und zumindest stand draußen ein Gormley herum, hinten am Horizont:




Zurück in der Stadt, ging es weiter in die Ny Carlsberg Glyptotek, Restituionsarbeit wurde hier nicht ausgezeichnet:


King Amenemhat III. Findspot unknown. Greywacke, the reign of Amenemhat III, ca. 1842–1795 BC.


The God Amun. From Karnak? Diorite, the reign of Tutnakhamun, ca. 1346–1337 BC.


Baboon. From Kawa. Granite, the reign of Taharka, ca. 690–664 BC.


The Laurentian Sow. Marble, 1.–2. cent. AD.


Hippopotamus. Gardens of Sallust?, Rome, rosso antico, 2. cent. AD.


Athena. Marble, Rome, 2. cent. AD.

Eine kleine Sonderausstellung zeigt „For Time and Eternity? The Little Dancer‘s New Tutu“:


Edgar Degas (1834–1917): The Little Fourteen-Year-Old Dancer. Bronze, silk, cotton, modelled ca. 1880–81, cast ca. 1922, new bow 1981, new tutu 2022.

Tatsächlich waren wir gekommen, weil irgendwo geschrieben stand, es gebe hier eine „Nasotek“. Es handelt sich um restaurierte und später aus Authentizitätsgründen wieder entfernte Nasen und ein paar Ohren antiker Skulpturen. Zweifellos die Reise wert:




Ausschnitt.

Und mitten in allem öffnet sich der Himmel für eine Glaskuppel, unter der sich die Oase von Kopenhagen findet:






Wolfsburg

Noch kurz in dieses Blogpost untergejubelt die bemerkenswerte Ausstellung Empowerment im Kunstmuseum Wolfsburg, 10.9.2022–8.1.2023.




Laetitia Ky (v. l. n. r.): The Strength of a Woman.
Feminist!
Pow‘hair.
Ode to Womanhood
Alle: C-Print, aufgezogen auf satiniertem Diasec-Plexiglas, 2022. Courtesy: Laetitia Ky, LIS10 Gallery.


Lin Tianmiao: Badges. Weiße Seide, farbiges Seidengarn, lackierter Stickrahmen aus Edelstahl, 2011–12. Courtesy: Lin Tianmiao, Galerie Lelong & Co., New York/ Paris.


Xiao Lu: Open Fire. Schwarz-Weiß-Fotografie, 2004. Courtesy: Xiao Lu.


Usha Seejarim: Creature of Habit 02 [et al.]. Ausschnitt, Bügeleisen-Platten, Stahlstreben, Schrauben, 2022. Courtesy: Usha Seejarim.


Mithu Sen: On Your Hand – I Place My Hand – Barely. In Our Hands – Nothing. p. Aquarell, Tinte, Applikation und Collage auf Papier, 2009. Courtesy: Mithu Sen, Galerie Krinzinger.


Kasia Fudakowski: Sexistinnen. Stahl, Rattan, Salzteig, Erdnüsse, Champagner, Plastik, Gummi, Papier, 2015. Fürstlich Fürstenbergische Sammlungen Donaueschingen, Fürstenberg Zeitgenössisch.

Ganz besonders empfehlenswert ist der Ausstellungskatalog mit zahlreichen, über die Ausstellung hinausgehenden Texten zum Thema Feminismen in der Kunst:



Andreas Beitin, Katharina Koch und Uta Ruhkamp (Hgg.) (2022): Empowerment: Kunst und Feminismen. Ausst.kat. „Empowerment“, 10.9.2022–8.1.2023, im Kunstmuseum Wolfsburg. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Alle Katalogtexte finden sich auf Englisch online frei zugänglich.

Im Zuge der Deutsch-chinesischen Museumsgespräche, Goethe-Institut (China), 2021–22, haben wir im Winter 2022 einen Workshop mit dem Titel „Pluralisierung“ in Wolfsburg veranstaltet und dafür weiteres Material inklusive unserer beiden Keynotes online gestellt. S. ebd. für mehr Referenzmaterial.

Dazu, für den China-Kontext, ebenfalls unbedingt empfehlenswert:



Ping Zhu und Hui Faye Xiao (Hgg.) (2021): Feminisms with Chinese Characteristics. Syracuse: Syracuse University Press.


Und dann haben wir gefeiert:

[cíqì 瓷器] Party



„cíqì 瓷器“ bedeutet im Beijinger Dialekt enge Freundschaft – wir wollten euch endlich wiedersehen und haben dafür eine weitere Party für den Austausch zwischen Chinainteressierten auf Berliner Boden veranstaltet. Wir glauben fest an Spaß im Dialog und daran, damit eine weite Community zu erreichen. Es war ein Fest, danke fürs Dabeisein!

Am: 18.3.2023
DJs: BB Deng, Susul, Zhanglin und Jeff
Ort: C*Space, Langhansstrasse 86, 13086 Berlin, Tramlinie M 12/13
Veranstaltet von: Kulturgut 文化财富, zarah, C*Space, 互hù·studio, Pop-Up Teahouse, [cíqì 瓷器]


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Montag, 7. November 2022
Kassel 2022: documenta 15 | 2022年第十五届卡塞尔文献展


Angesichts der durch die breite Medienlandschaft getragenen, ganz Deutschland aufwühlenden Antisemitismusvorwürfe gegenüber ruangrupa scheint die Beschäftigung mit Antisemitismus hierzulande aus Sicht des globalen Südens erforderlich, nicht oder nicht nur als neuerliche Selbstbeschäftigung, sondern als größeres Phänomen. So einfach ein Shitstorm, so schwierig eine wirkliche Auseinandersetzung. Hier eine gute Zusammenfassung aus der ARD-Mediathek (Hinweis von Christine): Der Documenta Skandal, von Grete Götze, ca. 45 Min., 19.9.2022 (verfügbar bis 19.9.2023).

Ich war Anfang September in Kassel, also relativ gen Ende der Veranstaltung, und hatte gedacht, dass ein Wochenende für mehr Action Sinn macht. Dem war leider nicht so. Die Werke, die bis dahin nicht abgenommen worden waren, waren natürlich alle noch ausgestellt, aber all die Events, die ausufernden Gespräche und Performances, die Begegnungen, die ich erwartet hatte, fanden nicht statt. Kassel klappte spätestens um acht Uhr abends seine Bürgersteige hoch. Eine Zermürbung seitens der Künstler·innen und eigentlich aller Beteiligten in Kassel kann ich keinem verdenken. Besonders schade ist das natürlich deshalb, weil den so notwendigen Ansätzen, den Prozessen von lumbung der gerechten Verteilung gemeinschaftlich genutzter Ressourcen durch Prinzipien der Kollektivität die Luft ausgegangen schien. Zugänglich ist ansonsten lumbung.space, das „Open-Source-basierte[…] Online-Wohnzimmer für die lumbung-Praxis“.

Immerhin geht es zaghaft weiter, so waren etwa für die Hochschule für bildende Künste (HfbK) Hamburg bereits vor der ganzen Schlacht zwei der ruangrupa-Kuratoren, Reza Afisina und Iswanto Hartono, als DAAD-Gastprofessoren eingeladen und die Schule hält, was mittlerweile leider bereits als mutig bezeichnet werden muss, am Austausch fest. Für die Öffentlichkeit folgt eine hoffentlich thematische Auseinandersetzung mit dem Titel: Encounter: documenta 15 als politisches und kulturelles Ereignis, 21.11.2022, ab 19 Uhr, im Hamburger Institut für Sozialforschung, organisiert von der HfbK mit der Helmut-Schmidt-, also der, warum auch immer, Universität der Bundeswehr Hamburg und dem DLF Kultur. Das Gespräch findet bedauerlicher-, wiewohl vonseiten der beiden Kuratoren verständlicherweise ohne sie statt und soll am 4.12. auf DLF Kultur in „Essay und Diskurs“ ausgestrahlt werden. [Nachtrag: DLF Diskurs: documenta fifteen – Vernachlässigte Diskurse jenseits der Antisemitismusvorwürfe, 78:35 Min., 4.12.2022.]

Dem teilweisen Geunke vom „Ende der Kunst“ (beispielsweise von Hanno Rauterberg, 14.9.2022) muss ich entschieden entgegnen, dass möglicherweise ein Ende des Kunstmarktes oder eines der Einzelkünstler·innen hier anvisiert wurden, aber Kunst erst stirbt, wenn uns der nächste Meteorit erwischt oder, wahrscheinlicher, wir die Klimakatastrophe nicht in den Griff bekommen.

Zahlreiche Stimmen sprechen davon, wie furchtbar diese Stadt ist. Man wird ein wenig ausgesöhnt, wenn man die Karlsaue betritt. Aber ja, leider ist die Stadt ansonsten durchzogen von massigen, vielspurigen Autotrassen, die alles durchschneiden und jede/n Fußgänger·in zurechtzuweisen scheinen. Die Plätze sind nicht weniger gruselig, besonders vielleicht in diesem trockenen Jahr, in dem hier alles verdorrt und trist aussah, viele Bäume bereits Anfang September hechelnd ihr Laub abgeworfen hatten, die Rasenflächen großteils braun waren. Von Rasen muss man sich eher über kurz als lang aber vermutlich sowieso verabschieden.


Friedericianum.


documenta Halle.

documenta fifteen, kuratiert von ruangrupa: Ade Darmawan, Ajeng Nurul Aini, Daniella Fitria Praptono, farid rakun, Indra Ameng, Iswanto Hartono, Julia Sarisetiati, Mirwan Andan und Reza Afisina, 18.6.–25.9.2022.

Hier meine Auswahl:


Voices: Against Hate and Discrimination. Participants: Citizens from Kassel, the region and beyond; pupils and students from Kassel, Winterberg, Versmond, Meschede, Berlin and New Haven; friends and visitors of documenta fifteen; Stolle Gartenbau; team Christoph Hesse Architekten.
Auf dem Friedrichsplatz.


Ebd., Detail.
Text: „Und / Krieg / Und / Frieden / Und / Krieg / Und / Frieden“.


Richard Bell.
Text: „If you cant let me live aboriginal / Why! preach democracy“; „White invaders / You are living on stolen land“.
Auf dem Friedrichsplatz.


Ebd.: White Lies Matter. Acryl on canvas, 2022.
Im Friedericianum.


Rasad: Food Objects. Local Bazaar and Supershop. Ceramic, metal, fabric, cotton, natural spices, seeds, n. d.
Artists: AKM Maynul Islam, Alok Raj Bongshi, MD. Aminul Islam, Ashim Halder Sagor, Farhana Ferdausi, Imran Hossain Piplu, Mahbubur Rahman, Shimul Saha, Shimul Datta, S. M. Saha Anisuzzaman Forque, Tayeba Begum Lipi.
In der documenta Halle.


Ebd.


Ebd.


Ebd.


Wakaliga Uganda: Football Commando. Filmstill, 2022.
Mit: Assimwe Apollo, Bisaso Dauda, Coconote studio, Harriet  Nakasujja, Isaac Godfrey Geoffrey Nabwana aka Nabwana IGG, Kasekende Mustafa, Katunda Abdul Wahab, Kazibwe Ronald, Kizito Isaac Newton, Lyagoba Suudi, Max Winckler, Mbulaiteri, Nashibah Nakibuuka, Nattembo Racheal Monica, Nsamba Francis, Ssebagenyi Ronald, Ssempala Sulaiman, Wakastarz Band.
In der documenta Halle, was ein phänomenaler Low-Budget-Actionfilm. Ich habe lange kein so aufgewühltes, sich so die Schenkel klopfendes Publikum mehr gesehen, und damit meine ich keine der Lachveranstaltung, wo man mich eh nicht findet.


Ebd. Filmstill.

Beim und im ehemaligen Hallenbad habe ich leider nicht alle Angaben finden können, was mir dem Kollektivgeist zu entsprechen scheint, bei mir manchmal doch merkwürdigen Traditionalistin allerdings Unwohlsein hervorruft. Ehre, wem Ehre gebührt, verzweifeln wollte ich auf einer Suche aber dann auch nicht. Hier ist alles von Taring Padi, s. Lumbung Gallery:


Taring Padi.
Vor dem Hallenbad.




(Rechts und links) Working Hard, Creating Actively [努力工作 | 努力创作]. Made for the gate of the Taring Padi Exhibition at Ocular Studio in Tainan, Taiwan, n. d.
(Oben und die Tür umfassend) Burning Hunger Becoming a Hammer. Original: 1999.
All Are Equal. Original: 1999, replica from 2009.


Human Earth.


Im Hallenbad. Neben mir nahm sich scheinbar vermehrt das ältere Publikum Zeit, nicht nur hier.




First They Came For Them, Then They Came For Us. O. A.


Ebd., Detail.


Increase Workers‘ Wages. Made for May Day celebrated every year on May 1st.










Sketch of Book Cover Art Smashes Tyranny. O. A.





Dann sollte es eine Show im Hübner-Areal geben. Dazu kommen wir gleich, zunächst ging es leider nur vorbei an dieser im Abriss befindlichen Fabrik, meine Reisebegleitung und ich hatten uns schon sehr darauf gefreut, in die alten, bestimmt einsturzgefährdeten Gemäuer treten zu dürfen:





Vor Hübner ging es noch zum Sandershaus, einer ehemaligen Haferkakaofabrik. Hier sollten eigentlich documentasche Versatzstücke stattfinden, die aber, wie auch an anderen Orten, abgesagt oder umdisponiert wurden. Ich vermute, dass einige Orte noch bei Drucklegung der Karten im Gespräch waren, aber dann nicht alle bestückt wurden. Vielleicht gab es jedoch auch gelegentliche Rückzüge aufgrund der deutschen Aufruhr.


Hinterm Sanders-Haupthaus, möglicherweise eine Teilfabrik. Hier gab es links und rechts ein wenig lokale Kunstwilderei.

Nun aber ins Hübner-Areal, ebenfalls einer, allerdings einer erst kürzlich ehemaligen Fabrik in Bettenhausen:


Juewen Zhang, Project Art Works: Untitled. Charcoal on paper, 2022.


Yi-Pin Huang: Natural Compensation. 60x20x10cm, sensor, mixed media, 2022.


Yaya Coulibaly, Fondation Festival sur le Niger: The Wall of Puppets. Installation, wood, masks, bamboo, concrete wire, nylon strings, 2022.
Sorry, unscharf.


Fondation Festival sur le Niger.
Die abgeriebenen Körper sind auch im Original, aber besonders hier eher auf den zweiten Blick zu erkennen.


Ebd.


Khvay Samnang, Sa Sa Art Projects: Popil. Alu-dibond print, digital C-print, 2018.

Sehr beeindruckt war ich von dem abgedunkelten, deshalb nicht sonderlich gut zu fotografierenden Gewölbe im Keller, von Amol K. Patil aus Mumbai mit Texten von Yalgaar Sanskrutik Manch, einer Gruppe junger Powada (Wandertruppe mit musikalischen Darbietungen) -Schriftsteller·innen und -Musiker·innen, mit dem Titel: Black Masks on Roller Skates. Alle Arbeiten sind von 2022 und entweder Bronzeskulpturen, kinetische Installationsskulpturen oder Tinte, Farbe auf Wasserbasis, ohne weitere Angaben. Dazu gab es ein gelooptes Performancevideo und auf dem Boden, leider ohne weitere Erklärungen, wie Grabstätten wirkende, allerdings in einer Art Landmassen angelegte, mit Erde oder ähnlichem gefüllte Holzkästen.


Amol K. Patil.













Wieder oben gab es noch vieles mehr, darunter einige kaum zu verkraftende, dokufiktive oder fiktiv dokumentarische Videos – im Gegensatz zu anderen stört mich die Verwischung der Linie von real und künstlerisch umgewandelt nicht, tatsächlich kann ich harsche Themen dadurch überhaupt nur ertragen. Ich verstehe den Beschwerdeansatz, denke aber, er geht am Thema vorbei. Ja, es geht auch ums Anprangern tatsächlicher Vorfälle, aber wir sind hier schließlich nicht im Gerichtssaal, was hoffentlich irgendwann folgt, und leider sind die behandelten Ereignisse nicht nur speziell und einmalig. Draußen gab es dann die Nerven beruhigendes Vanilleeiss mit Espresso. Es ist wirklich wichtig und richtig, dass gerade wir Weißwestler, hauptsächlich gerichtet an die Männer, betrifft aber auch uns ·innen und allgemein aufoktroyiertes Gedankengut, all dem Leid in der Welt ausgesetzt werden. Und meine Güte, wird einem auf dieser documenta anständig die Nase in den herrschenden Sud der Welt gerieben.

Befreiend charmant waren die Robo-Skelette und ähnlichen Genoss·innen in St. Kunigundis – hier gibt es definitiv mehr Grotesken als dieses Jahr in Venedig – von Atis Rezistans Kolektif: Ghetto Biennale:




Andre Eugene, Evel Romain, Wilerme Tegenis: Papa Legba. Car chassis, chains, recycled metal, 2022.


Evel Romain: Danballa (02). 87x10x15in, wood, tire, metal, rope, 2010.


Ebd.: Bosou (The Bull). 43x13x11in, wood, tire, metal, rope, 2011.


Ebd.: Danballa (01). Detail, 77x12x15in, wood, metal, rope, 2013.


Ebd.: Kafou (Crossroads). 55x12x12in, wood, tire, metal, rope, 2011.


André Eugène: Jij bosou (Judge Bosou). Book, tires, metal, chair legs, 2006.


Papa Da: Badji Pou Zanmi Mouri. Various, 2022.


Ebd.


Ebd.


Henrike Naumann und Bastian Hagedorn: The Museum of Trance. 270x350x120cm, furniture pieces, CD-stands, organ pipes, sound system, sound composition, 2022.


Studio Verve Architects Vivian Chan, Martina Vanin: The Floating Ghetto. 10.3x10.7m, cardboard boxes, metal mesh, metal supports, cables, based on research by Ghetto Architects (Viv Chan, Maccha Kasparian and Yuk Yee Phang) at the 2011 Ghetto Biennale.

In der Hafenstraße 76:


Resting Ramp: Reflecting Point 5 am Hafen 76. Architects: Matz Foitzik, Martin Frobel-Akar – foundation 5+ architekten BDA, greening: Solawi Gärtnerei Fuldaaue.


Anwar Al Atrash, *foundationClass*collective: Red Carpet. Roter Teppich, Akryl, Digitaldrucke, 8:00 Min. Audio, 2018–22.


Ali Kaaf und Khaled Muzher, *foundationClass*collective: Those swept away by the waters / rose up as clouds. Filmstill, Videoinstallation, Loop, Glas, Stoff, Holz, 2022.


Nino Bulling: A break. Tusche auf Seide, 2022.
Ebd.: Sometimes when we kiss, it feels like I am drinking water from your mouth. Tusche auf Seide, 2022.


*foundationClass*collective: Becoming. Tintenstrahldruck auf Stoff, 2022.
„Toolkit für machtkritische Projektverwaltung“, super, s. hier.


Marwa Arsanios: Chart for the usership of the land. Banner, Drucke auf Kunstdruckpapier, 2022.
Text: „The land shall only be used for agricultural purposes / The land shall only be used by people who do not own a land / The land shall only be passed on for usership / The land shall be transformed into a social Waqf or a Mashaa / The land shall not be inherited“.
Dazu lief der Film: Who is Afraid of Ideology? Part 4 Reverse Shot. Einkanal-Videoinstallation, 35:00 Min., Loop, 2022.


Ebd.
Text: „The land shall only be tended following permaculture processes / The surplus produce can be solt and the benefits divided between the users / The produce should be devided equally amongst the community who work the land / The land shall be tended by the cooperative of people who live around it in agreement with each other / The land shall not be built“.


Cao Minghao und Chen Jianjun: Water System School. Mixed Media, Workshop, 2022.
Text: „Onkel schwarz-halsiger Kranich / Lache / Sei zufrieden / Habe Spaß / Amüsiere dich / Verbeuge dich dreimal / Nächstes Jahr, wenn du aus dem Süden zurückkehrst / bring mir bitte eine Handvoll Korallen mit / Und ich gebe dir eine Handvoll Ginseng / –– Lied für die schwarz-halsigen Kraniche“.


Ebd.: Grain-size distribution analysis. Blätter, 2021–22.


Ebd.: (Links) Water System Refuge #1. Fotopapier, 2019–20.
(Rechts) Water System Museum. Fotopapier, 2015–18.
Ach, jetzt verstehe ich das linke Werk erst, ich hatte es 2018 beim Dujiangyan Bewässerungssystem 都江堰 in der Nähe von Chengdu gesehen. Dort hieß es allerdings, es wäre aus einem Aufruf für zeitgenössische Kunstwerke 2015 entstanden, zumindest muss es vor meinem Besuch 2018 gewesen sein.


Ebd.: A distribution map (Hand-copied late Qing dynasty). Papier, 2022.


Ebd.: The network of the “Water System″ project. Papier, 2022.


Ebd.: Habitat, Geology and Energy Basis. Einkanal-Videoinstallation, 15:29 Min., 2021.


Sorry, habe keine Angaben gefunden.


Cinema Caravan und Takashi Kuribayashi: we have decided to die – we have decided not to die. Fotografie auf … aber es ging mir hier eigentlich um das grandiose: Washi-Papier, 2021.


Fehras Publishing Practices: Borrowed Faces. 2022.


archive of the unknown – Baalbeck Studios Beirut: prints with quotations of the collective working process.


Aufreibende Gespräche | Frictional Conversations. 2001–2021.
Mit: Ali al-Ali, Ahmad al-Khalil, Mela Dávila Freire, yasemine eid-sabbagh, Ahmed El-Faour, Ahmed El-Joumaa, Yasser Ibrahim, Khawla Khalaf, Siwar Kraytem, Ben Pelé, Wasim Said, Fatmeh Soleiman, Nailé Sosa Aragón, Maya Zebdawi.
Hier: burning potatoes for land and sexual liberation.
Text: „potatoes, chili, coriander, garlic / This ‘dematerializing transformation′ process, which at the same time formed new sets of images, created a situation in which responsibilities were transferred, potentialities unleashed, and provided the images and other material with a new kind of presence where past collides with present and future alike, creating a moment that almost transcends time and space altogether.“


Ebd.: watermelon.
Text: „In different moments of palestinian history, holding a slice of fresh water melon was considered an act of protest.“


Ebd.: smoked photographs. coffee.
Text: „smoked photographs / eggplants, tahini, garlic, lemon, olive oil / The only reference to time and space in the photograph is a poster on the wall. It shows a martyr. His name is barely visible under his portrait.“; „ coffee / It‘s about not having any kind of ‘break′ within which to begin again, detour something, or mark openings and closures. The chronic can thus name the state of being which is called in the United States a ‘frog in boiling water,′ where the intensity of something increases so gradually that you do not notice, whereas if it began at the boiling level you would call it a trauma or a crisis. There is something horrifying about the adage that one can get used to anything …“


Karlsaue.


Más Arte Más Acción (MAMA): Whispers of the Bark Beetles. Mehrkanal Soundscape, 180:00 Min., Loop, Holz, Sound, 2022.
Im Gewächshaus | Greenhouse, Karlsaue.

Dann ging es zum Komposthaufen. Da hatte ich mir gar nichts von erwartet bzw. halt einen Komposthaufen, und dann war es mit das Schönste der gesamten Schose. Eigentlich geht es hier um die Publikation The Book of The Ten Thousand Things, El Book Wei 2022, und leider habe ich keinen Titel des oh, so wundervollen Baumbanners gefunden.


La Intermundial Holobiente.
Mit der Künstlerin Claudia Fontes, der Philosophin Paula Fleisner und dem Schriftsteller Pablo M. Ruiz aus Buenos Aires.
Am Komposthaufen | Compost heap, Karlsaue.


La Intermundial Holobiente: Device QK22.
QK22 ist ein Druckverfahren, man lege einfach auf ein saugfähiges Blatt Papier ein Blatt, eine Blüte, hier wurden auch Käfer genommen, aber das muss ja nicht sein, dann eine Glasplatte darauf und lasse sie ein paar Stunden in der Sonne.

Die Drucktechnik ist so simpel so gut, aber dieses Banner!, seht selbst:









Hach, es ist schon auch schön, wenn Kunst nicht nur anklagt …

Weiter ging es gen Orangerie:


The Nest Collective: Return To Sender. Textile waste, electronic waste, video, 2022.


Ebd.


Cao Minghao und Chen Jianjun: Water System Refuge: Grass, Sand, and Global Environmental Apparatuses. Single-channel video installation, 19:14 min., loop, 2022.

Andere Orte in der Stadt:


Hotel Hessenland.


Ebd.: MADEYOULOOK. Klanginstallation.


FAFSWAG: Whānau Wall (Landscape). Photo print, n. d.
Participants: Vaimaila Baker, Steve Canals, Falencie Filipo, Tapuaki Helu, Elyssia Wilson-Heti, Ria Hiroki, Nahora Ioane, Ilalio Loau, Moe Laga, Māhia Te Kore, Khiyara Tinai, Pati Solomona Tyrell, Auckland Vogue Community, Jaimie Waititi.
Im Stadtmuseum Kassel.


Ebd.


Nhà Sàn Collective: Bến.
Nguyễn Phương Linh, Trương Quế Chi: A Mangrove Apple Tree. Detail, acrylic mirrors, wooden stairs, printed wallpaper, motor and bamboo stick, various children‘s toys: the wooden horse, the balance board, the balance seesaw, the ceramic pots with plants from the Vietnamese Immigrating Garden of Tuấn Mami, 2022.
Im Stadtmuseum Kassel.


Tanu Gago und Mahia Jermaine Dean, FAFSWAG: ATUA. Interactive AR sculpture, 4:00 min., loop, 2022.
Im Hessischen Landesmuseum, nett gedacht, aber leider nur kitschig. Der riesige Vorhang aus Papiertaschentüchern von Pınar Öğrenci, FAFSWAG: „Aşît“, 2022, war sehr schön.


ruangrupa: lumbung Film.
Im Gloria Kino hatte ich 2012 grandiose Filme und Dokumentationen gesehen. Von dem lumbung Film hatte ich mir mehr in netten visuellen Häppchen zusammengeschnittene Informationen über Hintergrund, Projekte, Ansichten, Einsichten, Ausblicke zu lumbung erwartet. Es handelte sich aber um eine Zusammenstellung verschiedener Kurzfilme, die großteils leider nicht überzeugten.


Dan Perjovschi: Horizontal Newspaper. 2022.
Text: „You scare me man / Militarysation/-saturation“.
Auf dem Rainer-Dierichs-Platz.


Ebd.
Text: „Flat White / Westplaning / This did not survive second look“.


Ebd.
Text: „Sol / Solid / ID / Solidarity“.


Mohammed Al Hawajri: Guarnica Gaza: Above City – Marc Chagall (1924). Print, 2010–13.
In WH22.


Ebd.: (Oben) Guarnica Gaza: Pause for a Nap – Jean Francois Millet (1865). Print, 2010–13.
(Unten) Guarnica Gaza: Harvesters Resting – Jean Francois Millet (1859). Print, 2010–13.


Ebd.: Guarnica Gaza: Liberty Leading the People – Eugene Delacroix (1830). Print, 2010–13.


Am Trafohaus.


Alice Yard, Toof Press: Toofprints. Digital print on paper, wheat paste, 2016– ongoing.


Am Lutherplatz.


Polizeiaufgebot auf dem Weg zum Königsplatz, ich habe etwa fünfzehn Minnas gezählt. Wem galt der Aufzug, dem Antisemitismus, dem Anti-Antisemitismus, wurden gar Theorien gesponnen, dass sich zwar ruangrupa friedlich gebe, aber ihr Aktionismus wer weiß welche unterjochten Kräfte des globalen Südens oder auch des hiesigen Prekariats wecken würde?


Art Attac: Compassion Is Not Enough!
Aktion für ein veganes Leben am Königsplatz.


Taring Padi.
C&A Fassade am Friedrichsplatz.


„Contemporary art has become outdated. The Floraissance has begun!“

Dann wurde einen Spaziergang angeboten, dem man durch die Stadt folgen konnte, genannt: A Landscape: Local Knowledge Kassel East: An Urban Trail. S. Tour Map. Dafür ging es vorbei an Schrebergärten, einer Solawi Gärtnerei, der Schwanenwiese und allgemein um Interventionen mit der Umgebung, um Selbstversorgung und vielleicht auch darum, den betonenen Eindruck der Stadt zu revidieren.


Taring Padi. O. A.
In einer Unterführung beim sonst sehr ungemütlichen Platz der Deutschen Einheit. Diese hier und andernorts präsentierten Holzschnittdrucke gefielen mir sehr. Sie erinnerten mich an Lu Xuns Holzschnittbewegung Ende der 1920er Jahren in China, die auf Käthe Kollwitzs Arbeiten Bezug nehmen und häufig Alltagsszenen der ärmeren Schichten darstellen, um eine breitere Bevölkerung zu erreichen und ihre Themen anzusprechen. Das Medium scheint also weiterhin aktuell zum Aufzeigen von Protest.
Auf dem Weg des urbanen Parcours, aber dort aus unerfindlichen Gründen nicht aufgenommen. Doch wer die anderen Arbeiten von Taring Padi gesehen hat, weiß, dass sie von diesem Kollektiv stammen.


Ebd.






Monument für Lucius Burckhardt. Flugzeugtreppe beim Selbsterntegarten Waldauer Wiese in der Fuldaaue, einem wunderbar idyllisch anmutenden Modellprojekt.




Beim Ahoi Bootsanleger.


Chang En-Man: Floating System for Snails. Mit: Han Fang Wang, Shueh Ching Lu, Ting Tsou.


Ebd.



Nicht zum Spaziergang gehörend, aber weiter in der Stadt unterwegs:


(Rechts unten) Black Quantum Futurism: Clepsydra Stage. Floating stage, 2022.
Im Hintergrund säumt die Anfang September bereits braune, trauernde Baumreihe die Uferpromenade.


Ebd.


Taring Padi: Pengungsi (Refugees). Acrylic on canvas, 1999.


Ebd., Detail mit Taube.
Ich gehe stark von einem Nachdruck aus, das Werk selbst hängt man eher nicht in hundert Wettertage.

Auf dem Weg zu dieser Leinwand ging es über die neuernannte Walter-Lübcke-Brücke:


Walter-Lübcke-Brücke.
Text: „Dr. Walter Lübcke, 1953–2019 / Kasseler Regierungspräsident 2009–2019 / Opfer eines politischen Attentats am 2. Juni 2019“.
Doch warum steht dort nicht wenigstens „eines rechtsradikalen politischen Attentats“?


Kazuo Katase: Blue Dancer. Lichtinstallation, 2003.
Auf der Lübcke-Brücke.


Nguyễn Trinh Thi: And They Die a Natural Death. Automatisierte Installation in Echtzeit, Bambusflöten, Chilipflanzen, Luftkompressor, LED-Leuchten, codegenerierte Steuerungen (Rondell), Windsensoren (Tam Đảo, Vietnam), 2022.
In dem Turm links neben der Brücke, rechts von der Taring Padi-Leinwand (aus Bild- und Gangperspektive). Da ohne Kontext hier vieles nicht verständlich ist: Die Arbeit „ist inszeniert von einer Szene, in der Gefangene in einem wilden Chili-Wald [außerhalb eines Gefangenenlagers in Nordvietnam in den 1960ern] erschossen werden, wie sie in dem autobiografischen Roman Tale Told in the Year 2000 des vietnamesischen Schriftstellers Bùi Ngọc Tấn (1934–2014) beschrieben wird.“, s. hier.

Im eindrucksvollen Museum für Sepulkralkultur, musste ich mich leider sputen. Von der documenta wurden hier zahlreiche Textbausteine platziert, dazu, wie auch an anderen Orten, Audioversionen.

Dazu eine Anmerkung: Es gab allgemein unglaublich viel Text, von kurzen Phrasen bis zu langen Pamphleten sah man sich nicht nur, aber sehr vielen Ausrufen entgegen. So wie mich Videos in Ausstellungen schwer zu halten vermögen, geht es mir dort normalerweise auch mit Text. Titel lese ich natürlich und freue mich über geglückte, dazu lese ich Grundüberlegungen und die eine oder andere Beschreibung, wenn mich das Werk anspricht, eigentlich komme ich aber für Visualisierungen. Die textliche Umsetzung hier hat mich sehr begeistert, von all den Fragmenten wurde man so maßlos überschüttet, dass man gar nicht alles lesen konnte und dadurch von einem möglichen Lesezwang befreit war. Dazu gab es gelegentlich Audioschnitte, die genau dieses Gefühl hör- und fühlbar werden ließen, etwa in den Unterführungen und hier im Museum für Sepulkralkultur, die verschiedenste Stimmen durch- und übereinander erzählen und damit zu einer Gemengelage werden ließen. Man konnte immer wieder einzelne Versatzstücke oder unterschiedliche Sprachen herausgreifen und fand sich sofort erneut im Rausch der vielen und innerhalb einer Massenwahrnehmung. Ich empfand das als bewegend und einnehmend, so ähnlich stelle ich mir Sirenengesang vor.


Transi-Statuette. Replik nach Hans Leinberger (ca. 1470–1530), Holz (Linde), um 1520.
Dieser Transi (ein verwesender Leichnam) gehörte zur permanenten Ausstellung und stand unten im Gewölbe.
Im Museum für Sepulkralkultur.

Richtig gut ist es besonders hinter dem Museum, man muss sich ein wenig zurechtsuchen, aber unter einer Auffahrt mit autobahnähnlichen Brückenpfeilern stehen alte, wie abgestellt wirkende Grabstehlen aufgereiht. In der Nähe ist ein Friedhof, deshalb auch das sepulkrale (zum Grabe gehörige, also mit Tod, Sterben, Bestattungen befasste) Museum.

Gleich nebenan ist allein der 2015 eröffnete Neubau der Grimmwelt Kassel einen Besuch wert, vor allem das Dach, aber auch das Restaurant hinten:





Von der documenta lief hier:


Versia Harris: They Say You Can Dream a Thing More Than Once. Filmstill, digital animation, 16:15 min., loop, 2013 (re-edited). View a sequence here.


Das große Exzerpieren beginnt. Ohne weitere Angaben, ab 1838.
Dieser und ähnliche von hinten beleuchteten Schaukästen gehören zur ständigen Ausstellung. Sie war teilweise auch auf Kinder ausgerichtet, aber weil Grimms Märchen ja nicht nur heile Welten zeigen, gibt es glücklicherweise nicht nur diese fadenscheinigen. Allerdings war ich am Anfang des Kasseltripps bei Grimm und hätte am Ende wohl auch nichts gegen ein wenig heile Welt gehabt.

Die Neue Galerie zeigte im Keller Arnold Bode Unframed: Malerei und Graphik des documenta Gründers, 3.6.–9.10.2022:


Selbstporträt. Holzschnitt, 1919–20.


Auszug aus den Plänen für ein „Kasseler Forum“, um 1975.

Außerdem zeigt die Neue Galerie die sehr sehenswerte Dauerausstellung about: documenta, kuratiert von: Dorothee Gerkens, Martin Groh und Harald Kimpel, 22.11.2019–23.11.2025:


Gerhard Richter: Portrait Arnold Bode. Oil on canvas, 1964.

Hier wird man durch die Jahrzehnte geführt, mit einer Bildleiste wichtiger politischer, gesellschaftlicher und technischer Ereignisse rechts von einem, während sich die einzelnen Boxen mit Beschreibungen, Statements und vereinzelten Werken links zu den jeweiligen documenta-Ausstellungen öffnen. Die anlässlich der Ausstellung veröffentliche Publikation ist ganz hilfreich: about: documenta: Ausstellung in der Neuen Galerie. Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK): Schnell und Steiner 2022. Noch besser hätte ich allerdings einen Band mit der Bildleiste gefunden.





Auch nützlich, die Documenta-Datenbank: documenta archiv.

Derweil läuft im Münchener Lenbachhaus: Was von 100 Tagen übrig blieb …: Die documenta und das Lenbachhaus, 19.7.2022–21.5.2023.

Ein paar ausgewählte Pressestimmen:

Auf monopol-magazin.de von Alia Lübben: Internationale Presseschau: Was das Ausland über die Documenta denkt, vom 9.8.2022.

Auf 99艺术网 fragt Li Zhenhua unter dem Motto „How art you today“: 李振华:卡塞尔的展览有你吗? [Bist du in der Ausstellung in Kassel vertreten?], vom 4.7.2022. Dort zu Chang En-Man 张恩满, ursprünglich aus Taiwan, zum Kollektiv Cao Minghao und Chen Jianjun 曹明浩和陈建军 aus Chengdu, zum Kunstraum BOLOHO 菠萝核 aus Guangzhou und zum Asia Art Archive 香港亚洲艺术文献库 aus Hongkong.

Auf geschichte der gegenwart von A. Dirk Moses: Die documenta15, Indonesien und das Problem geschlossener Welten, vom 24.7.2022.

Auf new mandala von Wulan Dirgantoro und Elly Kent: We need to talk! Art, offence and politics in Documenta 15, vom 29.6.2022.


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S. a. documenta 13, 2012.


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59. Biennale in Venedig 2022 | 2022年第59届威尼斯双年展


Hach, Venezia, es ist doch immer wieder schön, hier zu sein. Einen Groteskkopf für meinen Schreibtisch habe ich auch dieses Mal nicht auftreiben können, nicht einmal einen Knauf, aber ich gebe nicht auf.




„The Milk of Dreams“ ist ein Kinderbuchtitel der Surrealistin Leonora Carrington (1917–2011), unter dem sie zuerst in den 1950er Jahren auf ihren Hauswänden begonnen und diese dann in einem Notizbuch mit selbem Namen weitergeführt hatte und das, soweit ich es finde, 2013 posthum erschien. Auch wenn romanische Sprachen meist besser klingen, hört sich „Leche del sueño“ für mich nicht weniger anstößig an. Vielleicht ist das nur meine prüde Ader. Was es mit dem Titel auf sich hat, hatte ich mir vorher nicht angelesen und muss gestehen, zwar Carringtons feingliedrige, märchenhafte Zeichnungen auf der Ausstellung wahrgenommen, aber sie links liegengelassen zu haben. Als anrüchig habe ich sie nicht in Erinnerung, eher als zu lieblich und niedlich. Meint die Milch die nährende Muttermilch, die ich pervertiert habe? Überzeugt mich weiterhin nicht, aber möglicherweise kommt das noch in diesem Nachgang.

Cecilia Alemanis Kuration 2017 des italienischen Pavillons in Venedig, „Il mondo magic“, die magische Welt, habe ich nicht gesehen, auch ihre Performanceinszenierung auf der Art Basel 2019 habe ich leider verpasst, obwohl ich dort war. Alemanis Ausstellungen sind für mich also Neuland, aber offensichtlich scheinen sie fabelhafte, magische Welten zu faszinieren. Mythen finde ich prinzipiell spannend, wobei, und darauf pocht auch Christina unermüdlich, wenn ich das sage, „eine mythische Wahrnehmung der Wirklichkeit“, eine „Schlacht zwischen Gut und Böse“ schnell ins Verschwörungsmythische umkippen kann (hier nach Elena Racheva mit Blick auf Putins Russland im sehr empfehlenswerten Essayband „Testfall Ukraine“ von 2015, gruselig aktuell, S. 138). Fantasy ist eigentlich nicht so meins, allerdings liegen der sagen wir mal sichtbaren Realität abtrünnige Fabelwesen und -welten wohl seit ein paar Jahren im Trend, zumindest begegne ich ihnen mittlerweile regelmäßig in der Kunst – was ich dann doch wieder interessant finde. Entrückt man sich oder klappt sich wirklich etwas Neues, ein erneutes archaisches Bedürfnis in uns auf?

Wie die documenta 15 will die 59. Venedigbiennale uns andere Formen des Zusammenlebens und Möglichkeiten der Umgestaltung unserer Lebensmodelle auskundschaften lassen. Während der Ansatz auf der documenta sehr praktisch gemeint ist, geht es in Venedig etwas abstrakter um „otherworldly creatures, along with other figures of transformation, as companions on an imaginary journey through the metamorphoses of bodies and definitions of the human“ (Ausstellungskatalog „Short Guide“, im Folgenden AK: S. 43).

Es gehe um eine Vereinigung von Mensch, Tier und Mechanik, um die Fragen, was das Leben in der aktuellen Veränderung ausmache, wo unsere Verantwortlichkeiten lägen. Der Fokus sei auf das posthumane Verständnis von Körpern und ihre Wandelbarkeit gerichtet, auf ihre Bezüge untereinander, zur Umwelt, zur Technologie. Bei hybriden Scifi-Vorstellungen bin ich sofort an Bord, bei einer Neuordnung von Subjektivitäten, Hierarchien, Anatomien unbedingt (AK: 44), also gespannt auf künstlerische Visionen eines Endes des Anthropozentrismus (AK: 45).

Giardini: Zentralpavillon

Noch aber war ich nur vom Biennaletitel nicht überzeugt, strebte ansonsten aber unbefleckt und erwartungsfreudig ins Getümmel. Zunächst ging es ins Giardini und dort als erstes in den Zentralpavillon. Um es vorwegzunehmen, der hat mich im Gegensatz zur Corderie im Arsenale in seinen Bann gezogen. Wunderbare Positionen und besonders großartig die der endlich gewürdigten Surrealistinnen, die in einem Raum mit gelbem Teppich, der sich vom Boden über die Wänden bis an die Decke hochzog, ausgestellt wurden, leider aber nicht fotografiert werden durften. Präsentiert wurden von Cecilia Alemani insgesamt über zweihundert Künstler·innen aus knapp sechzig Ländern mit einer Mehrheit von Frauen, mit Werken der Gegenwart und unter anderem eben jener Surrealistinnen, die, als „transhistorischer Ansatz“ pro „Symbiose, Solidarität, Sisterhood“ (AK: 46), auf der Biennale in einer Art Zeitkapsel miteinander in Verbindung treten sollten (fun fact, mit Dank für den Hinweis an Herrn Friedrich: Zeitkapseln sind im Chinesischen 时间胶囊, Gummibeutel der Zeit, mit jiao als Kleber – wird Zeit damit dehnbar?).

Wie meist, halte ich mich auch hier an die Reihenfolge meines Rundgangs. Begrüßt wird man von Katharina Fritschs Elefanten, dazu Alemani: Unter Elefanten seien die Leittiere der Herde immer weiblich (AK: 26). So darf es gern sein.


Katharina Fritsch: Elefant | Elephant. Polyester, wood, paint, 1987.


Andra Ursuta: Phantom Mass. Lead crystal, 2021.


Gabrielle L‘Hirondelle Hill: Counterblaste. Pantyhose, tobacco, beer can tabs, wildflowers, thread, charms, 2021.


Mrinalini Mukherjee: (V. l. n. r.) Rudra. Hemp fibre, 1982.
Vanshree. Woven, dyed fibre, 1982.
Devi. Woven, dyed fibre, 1985.


Ebd.: Vanshree. Woven, dyed fibre, 1982.


Djuna Barnes: Ladies Almanack. Reprint from 1928, New York, Evanston, San Francisco and London: Harper & Row 1972.
Titel: „Ladies Almanack / showing their Signs and their tides; their Moons and their Changes; the Seasons as it is with them; their Eclipses and Equinoxes; as well as a full Record of diurnal and nocturnal Distempers / written and illustrated by a Lady of Fashion“.


Ebd.: Illustration, Paris: Edward W. Titus 1928.
Da mein Besuch im August stattfand: „August hath 31 days / Distempers / What they have in their Heads, Hearts, Stomachs, Pockets, Flaps, Tabs and Plackets, have one and all been some and severally commented on, by way of hint or harsh Harangue, praised, blamed, […?]“.


Unica Zürn: Untitled. Oil, ink, paper on board, 1967.


Ovartaci: Untitled. 2-dimensional life-seized dolls, gouache and crayon on canvas/ textile, n. d.


Ebd.


Paula Rego: Sit. Pastel on paper on aluminium, 1994.


Jana Euler: great white fear. Detail, 111 glazed ceramics on plinth, 2021.


Ebd.


Ebd.


Ulla Wiggen: Översättaren | The Translator. Acrylic on panel, 1967.


Shuang Li: Æther (Poor Objects). Filmstill, Video 18:26 min., 2021.


Christina Quarles: Don‘t Let It Bring Yew Down (It‘s Only Castles Burnin‘). Acrylic on canvas, 2021.

Hier am Ende, geht auch als Anfang:


Cosima von Bonin: What If They Bark 01-07. Glass reinforced plastic (GRP), wool babric, scarfs, steel base, ukulele, chains with four monoculars made of steel and glass, 2022.


Ebd.: Scallops (Glass Version). Epoxy resin, wood, lacquer, hemp rope, glittering garland, 2022.


Ebd.: Hermit Crab (Glass Version). Steel cement mixer, epoxy resin, rubber, 2022.


Giardini: Länderpavillons

Das Konzept von Länderpavillons auf einer Biennale könnte endlich überdacht werden, es handelt sich schließlich nicht um eine Image-Expo oder Verkaufsmesse, im Idealfall. Wurde eigentlich jemals getauscht, meinetwegen durch eine Tombola? Dann müsste sich zumindest Deutschland nicht jedes Mal an sich selbst abarbeiten. Gut, darüber können sich andere aufregen, ignorieren reicht mir hier. Aber auch die anderen waren mir zum Großteil zu lahm. Gefallen haben mir:

Belgien mit Francis Alÿs‘ weltweit gefilmten „Children‘s Games“:


La Roue. Filmstill, DR Congo, 2021.
Wahnsinn: „Over the city of Lubumbashi looms the mampala or slag heap of the Étoile du Congo cobalt mine, its lower slopes today sifted by the clandestine, lithium hunters who risk their lives to feed our global battery market. The film rests on dramatic contrasts – tiny bright figures against the expanse of darkness; a child who can barely see over the colossal tire he fights to push uphill. Then the adrenaline rush of rolling down inside it!“


Espejos. Filmstill, Mexico, 2013.
Geflasht: „Boys stampede through the shells of small geometric homes, fancy boxes falling to bits in a dry-grass wasteland like futuristic ruins. Each boy holds a piece of broken mirror and aims at the enemy with the light refracted by the sun. They can‘t resist making shooting noises though these burning bullets are flashes from millions of miles away. Once a player is blinded by the light, he slumps and dies.“


Imbu. Filmstill, CR Congo, 2021.
Großartig: „Mosquitoes‘ hearing is for the sole purpose of finding a mate. Individual males (more wingbeats per second, higher frequency) and females (slower, lower) adjust their flight tones until a pleasing harmony is achieved. These boys have found a pitch irresistible to one sex. Eros and Thanatos for the mosquitoes; for the boys, a small but satisfying cull of the horrible hordes.“

Spanien mit Ignasi Aballís „Corrección“, der den Pavillon von innen auf seiner Achse um ein paar Grad dreht, um ihn neu zu den beiden Nachbarn Belgien und den Niederlanden auszurichten:



Polen mit Małgorzata Mirga-Tas‘ „Re-Enchanting the World“:



Die USA mit Simone Leigh:



Japan zeigte die Gruppe Dumb Type. Ich kam über München nach Venedig und fand Arbeiten des Kollektivs dort besser umgesetzt im Haus der Kunst: Dumb Type, kuratiert von Damian Lentini, 6.5.–11.9.2022:


Memorandum Or Voyage. 2014.

Die Begeisterung einiger Stimmen vom koreanischen Pavillon kann ich nicht nachvollziehen. Für mich wirkte es wie eine Messevorstellung mit high-end aufpolierter Technikshow.

Die Schweiz hat mich verstört – das, was ich im Nachhinein über Ritualisierungen und Rhythmen lese, vermag mir die riesigen zerschlagenen und verkohlten, buddhaähnlichen Holzskulpturen nicht mit Leben zu erwecken. Es wirkte auf mich wie die Vernichtung oder Verbrennung von Kulturgütern, wovon ich gar kein Fan bin.


Arsenale: Corderie

Am folgenden Tag ging es ins Arsenale, zunächst in die Corderie, Artiglierie. Ich musste dreimal nachschlagen, ob dieser Ort wirklich von ein und derselben Person kuratiert wurde. Wurde er. Die Auswahl hier hat mich sehr verwundert, aber nicht auf die gute Art, wie Kunst einen stören und auf neue Gedanken bringen kann und möglichst soll. Sie rief eher Aversion hervor, ich muss leider gestehen, dass mein Durchschreiten zu einem Durchlaufen wurde und mich mehr und mehr anfraß. Was ich am Anfang noch ganz witzig fand, die schrillen Farben, die monströsen Formate, wurde mir schon bald zuwider. Nichts gegen Textil und als Statement auch nichts gegen Glitzer, aber Handarbeit ist das, was Frauen als Betätigung im Bauhaus usw. erlaubt war. Habe ich mich da hineingesteigert und übermäßig viele Stoffe gesehen, als wären das die Positionen von Frauen? Dann all die leidwimmernden Videos oder solche, die den Performancevideos aus China der Nullerjahre mit nackten Menschen, die zwischen Sehnsucht und Selbstzerstümmelung durch Wälder ziehen, ähneln oder es waren. Wobei doch beeindruckend ist, wie schmerzfrei hier mit geballtem Kitsch umgegangen wurde.


Bagriel Chaile: (Vorne) Rosario Liendro. Metal structure, adobe, bricks, 2022.
(Hinten) Pedro Chaile. Metal structure, adobe, bricks, 2022.


Myrlande Constant: Sirenes. Sequins, glass beads, silk tassels on canvas, 2020.


Ebd.: Rasanbleman soupe tout eskòt yo. Sequins, glass beads, silk on fabric, 2019.


Ebd.: Guede (Baron). Sequins, glass beads, silk tassels on cotton, 2020.


Rebecca Horn: Kiss of the Rhinoceros. Steel construction, aluminium, morots, electronic device, 1989.


Zhenya Machneva: Echo. Hand-woven tapestry, 2021.


Precious Okoyomon: To See the Earth before the End of the World. Div. material, 2022.


Arsenale: Länderpavillons

Darauf kommen weitere Länderpavillons im Arsenale, Giggiandre, Giardono delle Vergini. Besonders beeindruckt war ich vom italienischen Pavillon mit Gian Maria Tosattis „History of Night and Destiny of Comets“. Ich meine, man durfte fotografieren, aber ich war linsenunfähig. Hier betrat man über mehrere Räume und Stockwerke eine Fabrik vielleicht der 1950er Jahre, die irgendwie gerade verlassen wirkte, zumindest wie kurz vor oder im absehbaren Ende. Möglicherweise hatten deren Arbeiter·innen auch keine Nachtschicht mehr, weil das Gewerbe – eine Stofffabrik?, es gab einen Raum mit Nähmaschinen – unrentabel geworden war. Man befand sich hier in einem Dazwischen von etwas Hinterlassenem, das sich in Auflösung befindet und kurz vor dem Beginn von etwas Neuem steht, das aber noch nicht greifbar ist – bis man bemerkte, dass selbst alle Betonwände aufgemalt oder tapeziert waren. Das zerbrach die Illusion allerdings nicht, sondern machte die Atmosphäre noch zwielichtiger. Großartig.

Argentinien mit Mónica Hellers „The Importance of the Origin Will Be Imported by the Origin of the Substance“:



Türkei mit Füsun Onurs „Once upon a Time …“:





Lettland mit Skuja Bradens „Selling Water by the River“:



Slowenien mit Marko Jak?es „Without a Master“. So wenig man mich sonst mit fabelnder Fantasy an die Angel bekommt, hat mich diese Malerei doch in ihren Bann gezogen:


Let‘s Get Down to Work! 183x250cm, mixed media on canvas, 2016.


Blind Patriarch. 171x215cm, mixed media on fiberboard, 2010.


Red Smoke. 251,5x135cm, oil on canvas, 2016.

Vom ukrainischen Pavillon mit Pavlo Makovs „The Foundation of Exhaustion“ habe ich leider kein Bild, obwohl ich das Flirren in den Augen durch die irritierend buntgemusterten, die Wände hochlaufenden Bodenbeläge hinter dem vielbesprochenen Springbrunnen ganz ansprechend fand..

Toll war auch der Pavillon aus Singapur mit Shubigi Raos „Pulp III: A Short Biography of the Banished Book“. Dort habe ich mich eine ganze Weile aufgehalten, mir den Film und die Publikationen über Büchervernichtungen und deren Einfluss auf zukünftiges Wissen angesehen.

Ach, China. Kuratiert von Zhang Zikang 张子康 mit den Künstler·innen Liu Jiayu 刘佳玉, Wang Yuyang 王郁洋, Xu Lei 徐累 und der sogenannten AT Group | AT小组 (a joint project between Institute of Sci-Tech Arts at CAFA and Tsinghua Laboratory of Brain and Intelligence): „Meta-Scape 元境“. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob man heute überhaupt noch etwas meta nennen sollte, nachdem Zuckerberg es einem vereitelt hat, oder gerade deshalb trotzdem, als Rückermächtigung?, ist das eigentlich ein ziemlich guter Name. Leider wars aber ein langweiliger Showoff.



Im Garten endlich Groteskköpfe beziehungsweise mumifizierte, grotesk erscheinende Figuren:


Marianne Vitale: Bottles and Bridges: Advances in Collective Obliteration. Bronze, 2021.


Ebd.

Ein paar Länderauftritte und Begleitshows unterwegs:

Nepal mit Ang Tsherin Sherpas „Tales of Muted Spirits“:


Unsigned Painting of Religious and Touristic Sites in Nepal and Tibet. Distemper paint on canvas, 1990s.

Hongkongs Auftritt lief nicht als Länderpavillon, sondern als „Collateral Event“, das Netz schweigt sich darüber aus, ob die Volksrepublik China Einfluss auf die Biennale genommen hat. Ein wenig Hongkonger Gossip gibt es natürlich trotzdem, etwa dass kaum jemand zur Eröffnung anreiste in der: SCMP, vom 12.5.2022. Organisiert vom M+, von West Kowloon und dem Hong Kong Arts Department Council mit Angela Sus 徐世琪 „Arise, Hong Kong in Venice 懸浮香港在威尼斯“:



Ebenfalls als „Collateral Event“ zeigte die Nomas Foundation von Francesca Leone „Take Your Time“, kuratiert von Danilo Eccher, 23.4.–27.11.2022:


Untitled. Detail, site-specific installation, 14,7x2,7m, oil on rusty recycled sheets metal, 2019.


Untitled. Detail, 400x255cm, aluminium grids and small waste items (cigarette stubs, plastics, cards, bus tickets, small jewellery items), 2020.


Ebd., Detail.

Die Kukje Art and Culture Foundation zeigte Ha Chong-Hyun (*1935), kuratiert von Sunjung Kim, 23.4.–24.8.2022:


Conjunction 83-08 (A+B). 220x220cm, oil on hemp cloth, 1983.


Concunction 20-98. 130x97cm, oil on hemp cloth, 2020.

Na, so schlecht ist die Quote der Länderpavillons mit guten Auftritten doch nicht. Wenn man die uninteressanten rauslässt, wirkt das hier ziemlich sehenswert. Dafür revidiere ich mich gern.


Weitere Ausstellungen

Meine eindeutige Favoritin war die Ausstellung in der Fondazione Prada: Human Brains: It Begins with an Idea, kuratiert von Udo Kittelmann, 23.4.–27.11.2022.


George Guidall.

Die neurowissenschaftlichen Videoerklärungen im unteren Stockwerk haben mich nicht so getriggert, aber dafür allein der Aufbau in den beiden oberen Ebenen. Man betrat und durchschritt ein schwarzes, Gehirngängen nachempfundenes Gebilde. Dort waren in Winkeln die Exponate ausgestellt und 32 Autor·innen eingeladen, über sie zu schreiben. Ihre Texte wurden von immer demselben Vorleser, George Guidall, vorgetragen, dem man auf einem kleinen Bildschirm neben den jeweiligen Exponaten vor sich zusehen und dessen Stimme man über einem an der niedrigen Hirndecke angebrachten Lautsprecher lauschen konnte, wenn man sich direkt darunter stellte. Die weltweit zusammengesammelten Exponate und die mit ihnen korrespondierenden Erzählungen waren einigermaßen chronologisch angeordnet, wobei mich die älteren Ansätze mehr interessiert haben. Hier eine Auswahl:


Incan ceremonial knife (tumi). 13th–15th century, bronze casting; MARKK, Hamburg.
Text von Tilsa Otta: The Circular Illuminations.


Shiva Nataraja. India, 19th century, brass casting; Linden-Museum, Stuttgart.
Text von Charu Nivedita: Tandav at Tadaka.


Heart-shaped amulet engraved with chapter 30 of the Book of the Dead. Egypt, 25th–31st Dynasty, c. 712–332 BCE, green faïence; Museo Egizio, Torino.
Text von Ahdaf Soueife: Verso.


Aristotelis De animalibus libri, Theodoro Gaza inteprete [Aristotle‘s Book of Animals translated by Theodorus Gaza]. Italy, 15th century (original text 4th century BCE), Latin translation, illuminated manuscript on parchment; Biblioteca Apostolica Vaticana, Città del Vaticano.
Text von Daniel Galera: Guide to Manufacturing Bodies.


Huangdi Neijing [The Yellow Emperor‘s classic of internal medicine]. China, 19th century (original text c. 3rd century BCE–3rd century CE), printed book; private collection.
Text von Sheng Keyi: The Old Apprentice Scholar.


Ebd.


Ebd.


Hieronymus Bosch, The Extraction of the Stone of Madness. C. 1501–1505, oil on oak panel; exhibition copy; Museo Nacional del Prado, Madrid.
Text von Hervé Le Tellier: A Change of Perspective.
Man sieht es auf Fotos schwer, aber vor dem Original stehend glaubte man – ich zumindest, aber auch meine Reisebegleitung war darauf aufmerksam geworden –, vor einem Original zu stehen, las jedoch „Exhibition copy“. Auf Nachfrage wurde uns erklärt, dass sich ein Studio in Madrid auf Reproduktionen dieser Art spezialisiert und hier den Auftrag erhalten habe. Vgl. unten das Werk von Rembrandt, dort und hier sind selbst die kleinsten Unebenheiten nachgeahmt, hier gar Brandspuren. Um nicht als Fälschung verstanden zu werden, seien heutige Materialien verwendet worden. Faszinierend.


Pieter Jansz Quast, The Extraction of the Stone. C. 1630, oil on copper; Kunstmuseum St. Gallen.
Text von ebd.


M. Caimi, model of the anatomical theater of the Archiginnasio. Bologna, 18th century, wood; Museo di Storia della Medicina, Dipartimento di Medicina melocolare, Sapienza Università di Roma.
Text von Chloe Aridjis: Four Topographies.


Charles Bell, Illustrations of the Great Operations of Surgery: Trepan, Hernia, Amputation, Aneurism and Lithotomy. London: Longman 1821, printed book with black and white illustrations; The Syndics of Cambridge University Library.
Text von John Keene: The Great Operation.


Max Kohl loop galvanometer for measuring brain waves. Germany, 20th century, metal. Friedrich-Schiller-Universität, Jena.
Text von Akwaeke Emezi: Berger‘s Doll.


Luigi Galvani – Giovanni Aldini, De viribus electricitatis in motu musculari commentaries [Commentary on the effect of electricity on muscular motion]. Modena: Societas Typographica 1792, printed book, etched plates; The Royal Society, London.
Text von Helen Oyeyemi: Big Day.


Rembrandt van Rijn, The Anatomy Lesson of Dr. Jan Deijman (fragment). 1656, oil on canvas; exhibition copy; Amsterdam Museum.
Text von Daniel Kehlmann: Inside the Head of Black John.
S. für die „Exhibition copy“ oben unter Hieronymus Bosch.


Sigmund Freud, Meng de jiexi. Taipei: Chih Wen Publishing Co. 1972; National Central Library, Taiwan. (Eine von zahlreichen ausgestellten internationalen Ausgaben von Freuds „Traumdeutung“.)
Text von Esther Freud: During the Contortions.


Eugène Pirodon (after André Brouillet), A clinical lesson at the Salpêtrière. 1888, lithograph on paper; Freud Museum London.
Text von ebd.


Phrenology cabinet. 19th century, wood, felt, metal (cabinet), plaster and glue (heads); The Anatomical Museum, The University of Edinburgh.
Text von Ayòbámi Adébáyò: On the Head of an Idiot (No. 8).


Das oberste Stockwerk bot an einem Ende eine Wabe, in der Neurowissenschaftler·innen und Philosoph·innen, jede/r in eigenem Videoraum, willkürlich mit ihren Darstellungen abgespielt wurden und dadurch wie im Gespräch miteinander wirkten.


Ebd., Detail.

Die Temperaturen waren hier so extrem heruntergekühlt, dass ich in meinem eigens für diese Stadt übergeworfenen Sommerkleidchen zwischendurch vor die aufwärmende Tür treten musste. Glücklicherweise bietet eine Broschüre alle Texte, die ich jetzt auf Bahnreisen lese, leider nicht online verfügbar.




Im Palazzo Grassi lief Marlene Dumas: open-end, 27.3.2022–8.1.2023. Unbestreitbar große Malerei an einem wunderschönen Ort. Thematisch finden sich hier erregte Seelen, Körper zwischen Schmerz und Sex, gequält bis ächzend zu euphorisch, großteils in Extremsituationen. All die vielen gewollt ausdrucksstarken Gesichter blieben für mich leider meist an der Oberfläche und gingen mir selten unter die Haut, vielleicht wabere ich in meinem Dasein zu wenig exzessiv dahin, vielleicht sind mir aktuell theoretische Inhalte näher.


(V. l. n. r.) The Origin of Painting (The Double Room). 300x100cm, Öl auf Leinwand, 2018.
Time and Chimera. 300x100cm, Öl auf Leinwand, 2020.
The Making of. 300x100cm, oil on canvas, 2020.


Rat. 30x40cm, oil on canvas, 2020.


Magdalena (Out of Eggs, Out of Business). 200x100cm, oil on canvas, 1995.


Gallerie dell‘Accademia di Venezi und Palazzo Manfrin zeigten Anish Kapoor, 20.4.–9.10.2022. Hier nur aus der Akademie:


Sky Mirror. 330x330cm, stainless steel, 2018.


Pregnant White Within Me. Mixed media, paint, 2022.
Von der einen …


Ebd.
… und von der anderen Seite. Online finden sich aber definitiv nachvollziehbarere Fotos.


Mother as a Mountain. Mixed media, pigment, 1985.

Und durch die Flure der Akademie:


Sorry, habe leider die Angaben verpasst.


Antonio Canova (1757–1822): Leoni | Lions. 1783–1792.




Als eine Frechheit habe die Ausstellung im Punta della Dogana empfunden mit Bruce Naumans „Contrapposto Studies“, 23.5.–27.11.2022. Was ein grandioser, was ein riesiger Ort, der ihm zur Verfügung stand. Und was macht dieser in den 1970er Jahren so wegweisende Künstler hier und heute?

Auf wie vielen Ebenen, in wie vielen Räumen, auf wie vielen unzähligen Quadratmetern liefen auf teils massigen, definitiv sündhaft teuren Videotafeln in Endlosschleife fast ausschließlich die in Jeans gekleideten Beine von Bruce Nauman hin und her. Auf mich wirken Arbeiten, die sich exzessiv mit der eigenen Person beschäftigen, recht egoman. Ein Erkenne dich erst selbst, bevor du deine Sicht öffnest, finde ich natürlich in Ordnung, auch gelegentliche Selbstporträts spannend, Mäßigung vermessen, aber so sehr interessieren mich die Künstler·innen hinter ihren Arbeiten meist dann doch nicht. Frederik sieht das anders, sein Argument hier: Wenn Nauman schon Laufstudien zeigen muss, dann wenigstens mit der eigenen Person. Das sehe ich ein, also gut, davon einmal abgesehen.

Auch für Repetitionen gibt es gute Argumente, mich hat die Show allerdings nicht in erhellenden Trance versetzt, sondern bereits der erste Bildschirm in gähnende Langeweile. Normalerweise geht man weiter, wenn einen etwas nicht anspricht, nur dass es hier einfach nicht aufhörte. Mich wundert, und ich nervte meinen Reisekumpan damit die folgenden Tage, wie jemand, der bahnbrechende Kunst hervorgebracht hat, jetzt so einen Müll produzieren kann. Hat Nauman keine Beratung oder ist er beratungsresistent, sagt ihm vor lauter Ehrfurcht niemand die Wahrheit? Dass Orte Galionsfiguren lieben, ist vollkommen in Ordnung, dass dafür so viel offensichtliches Budget verschleudert wird, mit dem so viele tolle Sachen hätten produziert werden können, passiert leider häufiger als gerechtfertigt. Aber diese Show kann doch keiner ernst meinen. Warum stoppt die niemand, wenn schon niemand Nauman stoppt? Noch schrecklicher und auf einen selbst als Obacht für die Zukunft anwendbar: Merkt man ab einem gewissen Alter vielleicht einfach keine Einschläge mehr und glaubt, Narrenfreiheit für jeden Furz zu haben?

Einzig gut, weil es einen Trick mit der Erwartungshaltung spielte, fand ich einen 3D-Film irgendwo oben. In dem war wiederum das Motiv seines hin- und hergehenden Ichs, dieses Mal im Studio mit Hintergrund abgefilmt. Sehr simpel, aber effektiv ging er auf der oberen Hälfte in die eine, auf der unteren in die andere Richtung, die zusammengeschnitten ein Wabern ergaben. Aber bitte Auswahl, guter Herr, warum muss gleich im nächsten Raum eine weitere Version folgen? Ok, den Effekt im dritten Raum, in der eine angeschrägte Wand so gefilmt war, dass der dortige Ganzkörper-Nauman wirkte, als stünde er vor der Leinwand, fand ich dann auch wieder ganz witzig.



Gleich daneben an der Santa Maria della Salute in ähnliche Kerbe schlagend: Finanzierung muss schon sein, aber Cartiers Platzierung in Säulen und unter Heiligtum ist dann doch ziemlich obszön.


In der Basilica Santa Maria Gloriosa dei Frari wollten wir uns Tizians „Assunta: Mariä Himmelfahrt“ ansehen, leider in Restauration, aber, sofern die DeepL-Übersetzung italienischer Webinformationen korrekt ist, seit Anfang Oktober nun nach vier Jahren wieder zu bewundern, nächstes Mal.


Hier nur eine Reproduktion auf Tuch.



Zwischendurch für Charly gefunden und geknipst.
















Habe ich solange nicht mehr gebloggt, dass mir die hier doch recht miese Fotoauflösung wieder auffällt? Ich hoffe, es geht wenigstens auf dem Handy.

Siehe im Zuge dieses Beitrags auch 关于这个话题也看: 58. Biennale in Venedig 2019 | 2019年第58届威尼斯双年展.

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Dienstag, 4. Januar 2022
Hamburg: Benin-Kunst und China-Porzellan, Winter 2021/22

Gedenkkopf eines Königs Uhunmwun Elao | Commemorative Head of a King Uhunmwun Elao. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Detail, Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von J. F. Blech, 1898.

Raubkunst aus Benin

Zehn deutsche Museen sind mit 1163 Artefakten der Benin-Bronzen aktuell auf der Website der Ende 2019 beschlossenen und Mitte 2020 eingerichteten Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland gelistet. Drei Jahre soll die Kontaktstelle als Pilotprojekt vorerst laufen. Einige der Museen präsentieren aus diesem Anlass gegenwärtig ihre Sammlungsobjekte insbesondere der prominenten Benin-Bronzen. Die größte Sammlung befindet sich im Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, weitere Werke sind in Dresden, Köln, Stuttgart, Bremen usw.

179 Kunstwerke besitzt das Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt (MARKK, bis 2018 Völkerkundemuseum Hamburg), die jetzt ausgestellt sind in Benin: Geraubte Geschichte, 17.12.2021 bis voraussichtlich Ende 2022, wenn spätestens restituiert werden soll.

Zu sehen gibt es Gedenkköpfe, Zeremonienstäbe, Relieftafeln und vieles mehr. Ich habe Pfeilspitzen und Speere, Krüge und weitere Utensilien übersprungen und mich von den Tier- und Menschenfiguren einfangen lassen.


Gedenkkopf im Udo-Stil | Commemorative Head in Udo-Style. Unbekannte Bronzegießerwerkstatt Udo, Königreich Benin (?), Nigeria; Gelbguss, 16. Jh.; Ankauf von Adolf Heemke, 1904.


(Rechts) Gedenkkopf eines Königs Uhunmwun Elao | Commemorative Head of a King Uhunmwun Elao. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von J. F. Blech, 1898.
(Links) Sorry, habe die Daten für die Gefährtin(?) nicht mit aufgenommen, ich war zu fasziniert von den Klangstöckchen für die königlichen Pupillen; Detail s. erstes Bild dieses Blogposts.


Köpfchen mit drei Füßen | Small Head with three Feet. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf von John Paul Frisch, 1903.


Fehlguss eines Leoparden | Miscast of a Leopard. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von Hugo Warnholtz, 1901.


Osun-Stab | Osun Staff. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Detail, Gelbguss, 18. Jh.; Ankauf von Friedrich Erdmann, 1898.

Die folgenden Figuren habe ich aus ihrer Ausstellungsreihenfolge entnommen und zusammengestellt, weil sie alle einen wundersamen Ansatz auf dem Kopf tragen. Dieser wird jeweils in den Begleittexten der Ausstellungsschilder ganz unterschiedlich interpretiert, als Dorn mit unbekannter Bedeutung, als Ritus, als Frisur oder Stützsporn. Vielleicht handelt es sich einfach um die bildliche Erhöhung einer Persönlichkeit wie bei Polizeimützen oder Pickelhauben?


Gedenkkopf mit Dornfortsatz | Commemorative Head with Protrusion. Unbekannte Bronzegießerwerkstatt, Königreich Mahin (?), Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf von John Paul Frisch, 1903.

Im Werkstitel als „Dornfortsatz“ bezeichnet, heißt es im Begleittext: „Heute erinnern sich weder Angehörige des Königshauses noch weise Ältere an solche Köpfe.“


Bronzehorn mit Beilklingen | Bronze Horn with Axe Blades. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18. Jh.; Ankauf von Oskar Kaiser, 1904.

Hier heißt es im Begleittext: „Das schwere Horn ist wohl keine ‚Zeremonialkeule für Menschenopfer’, wie man im frühen 20. Jh., den vorherrschenden Vorurteilen entsprechend, angenommen hatte. Es diente vermutlich auch nicht als Blasinstrument, sondern für einen anderen rituellen Zweck.“


Stab mit Reiterfigur | Hand-Held Clapper with Horserider Figure. Unbekannter Künstler der Elfenbeinschnitzergilde Igbesanmwan, Königreich Benin, Nigeria; Elfenbein, 18. Jh.; Ankauf von Fritz Lüttge, 1901.

Im Begleittext wird nur auf den Stab an sich (hier ist der Haltegriff nur im Ansatz unten abgelichtet) und auf seine zeremonielle Bedeutung eingegangen, nicht auf den Pinökel auf dem Kopf der Figur.


(V. l. n. r.)
– Figur eines Oba mit Eben-Schwert | Figure of an Oba with Eben Sword. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1899.
– Figur einer Königinmutter | Figure of a Queen Mother. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18. Jh.; Ankauf von Albert Engelhardt, 1904.
– Fragment eines Altarstückes mit Kriegern | Altar Piece (Fragment): Group of Warriors. Unbekannte Bronzegießerwerkstatt, Königreich Benin (?), Nigeria; Gelbguss, 15./16. Jh. (?); Ankauf von Adolf Heemke, 1904.
– Kleine Frauenfigur mit Pfeife | Figurine of a Woman with a Pipe. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von Tierexport Theodor Knywel, 1911.

Im Begleittext heißt es zur Königinmutter (2. v. l.): „Charakteristisch für Darstellungen der Königinmutter ist die hohe, leicht nach vorne gebogene und mit einem Korallennetz überzogene Frisur.“


Altarfigur eines Königs | Altar Figure of a King. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1898.

Dieser ist noch am einleuchtendsten, weil einfach pragmatisch: „In der höfischen Kunst Benins gibt es kaum freistehende Königsfiguren. Diese beschädigte Figur entspricht einer Gruppe von Königsfiguren, die allesamt mit einem Sporn versehen sind. Mit diesem wurden sie vermutlich in den Lehmaltar gesteckt, um auf diese Weise eine Verbindung zum Inneren desselben herzustellen.“


Altarglocke mit menschlichem Gesicht | Altar Bell with Human Face. Unbekannte Bronzegießerwerkstatt, Niger Delta, Königreich Benin (?), Küstenregion (?), Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf von Friedrich Erdmann, 1898.


Hängelampe | Fendant Lamp. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1905.


Kleiner Leopard an Kette mit Haken | Small Leopard on Chain with a Hook. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh. (?); Ankauf von Friedrich Erdmann, 1898.


Holzschachtel in Form eines Welses | Mudfish Box. Unbekannter Omada-Künstler, Königreich Benin, Nigeria; Holz, 19. Jh.; Ankauf von W. D. Webster, 1900.


Deckelgefäß in Form eines Antilopenkopfes | Lidded Box in the Shape of an Antelope Head. Unbekannter Omada-Künstler, Königreich Benin, Nigeria; Holz und Messingnägel, 16./17. Jh.; Ankauf von Fritz Lüttge, 1901.


Gefäß in Form einer knienden Figur | Flask: Kneeling Figure. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf von F. W. Reichert, 1903.


(V. l. n. r.)
– Kleine Hahnenfigur | Rooster Figurine. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1898.
– Kleine Vogelfigur | Bird Figurine. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.
– Anhängerfigur eines Wahrsagevogels | Pendant Figurine: Bird of Prophecy. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.
– Tontöpfchen | Small Clay Pot. Unbekannte Werkstatt, Königreich Benin, Nigeria; Keramik, 19. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1898.


(V. l. n. r.)
– Oberkörper einer männlichen Figur mit Opferfrucht (Fehlguss) | Torso of a Man with Sacrificial Fruit (Miscast). Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von Julius Konietzko, 1911.
– Kleine Figur eines Kriegsherrn | Figurine of a Warrior Chief. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.
– Fehlguss eines Würdenträgers | Miscast of a Dignitary. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 19. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.


Aquamanille in Gestalt eines sitzenden Leoparden | Aquamanile in the Shape of a Seated Leopard. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16.–18. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.


Klangstab mit Wahrsagevogel (Fragment) | Staff with Bird of Prophecy (Fragment). Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 18./19. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1899.


Figurengruppe: König mit zwei Begleitern | Figure Group: King with two Attendants. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, spätes 19./ frühes 20. Jh.; Ankauf 1968.


Figurengruppe: Oba mit zwei Würdenträgern | Figure Group: Oba with two Dignitaries. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf von Friedrich Erdmann, 1898.


Armmanschette mit Portugiesendarstellungen | Armcuff with Portuguese Heads. Unbekannte Werkstatt der Elfenbeinschnitzergilde Igbesanmwan, Königreich Benin, Nigeria; Elfenbein, 18./19. Jh. (?); Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1898.


Anhänger mit zwei Portugiesen und Leopardenkopf | Pendant: Two Portuguese and a Leopard Head. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1899.

Über der Wand mit der ausgestellten Reihe Reliefplatten ist ein Zitat angebracht:

„‚Er ist in viele feine Paläste, Häuser und Räume für Höflinge unterteilt, und besitzt schöne rechteckige Laubengänge in vergleichbarer Größe zur Börse von Amsterdam, manche größer als andere, getragen von hölzernen Säulen, die von oben bis unten mit gegossenem Kupfer überzogen sind, auf denen die Kriegstaten und Kampfszenen geschnitzt sind.’
Über das königliche Palast-Gelände (Dapper 1668)“


Reliefplatte: Szene des Idah-Krieges | Relief Plaque: Idah War Scene. Meister der Schlachten, unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2021.


Ebd., Detail.
Das Schlachtpferd ragt etwa fünf Zentimeter aus dem Relief heraus, sehr beeindruckend ist auch, wie der Krieger von der Seite auf dem Pferdehals zu sitzen scheint und von vorne wie im direkten Angriff wirkt.


Reliefplatte mit Osuan und zwei Emuru | Relief Plaque: Osuan with two Emuru. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2021.


Reliefplatte: König mit zwei Würdenträgern | Relief Plaque: Oba with two Dignitaries. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 16./17. Jh.; Ankauf von John Lembcke, 1900.

Dazu wurde hinten und im Zentrum der Ausstellung ein zeitgenössisches Werk präsentiert, die Leihgabe eines Künstlers aus dem ehemaligen Benin. Kann man machen, netter wäre wohl noch gewesen, hätte man die Arbeit erstanden. Aber auch ich muss um Entschuldigung bitten, weil das Bild unscharf geworden ist:


Victor Ehikhamenor: Ich bin Ogiso, der König vom Himmel | I am Ogiso, the King from Heaven. Rosenkranzperlen und Faden auf Spitzentextil, 2017.


Kopf und Körperteil einer Schlangenskulptur | Body Fragment and Head of a Snake Sculpture. Unbekannte Werkstatt der Bronzegießergilde Igun Eronmwon, Königreich Benin, Nigeria; Gelbguss, 17./18. Jh.; Ankauf von Fritz Stahl, 1903, und Oskar Kaiser, 1904.

Die Artefakte lassen mich an die aus Sanxingdui 三星堆 des alten Shu-Königreichs in der Nähe des heutigen Chengdu von ein paar Jahrtausenden zuvor denken. Besonders die mysteriösen Kopferweiterungen der Benin erinnern mich in ihrer Unbegreiflichkeit an die hervorstehenden Augen der Shu.

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Figurenpaar Hehe Erxian | A Pair of Figures of Hehe Erxian. Porzellan mit Aufglasurfarben auf unglasiertem Scherben (émail sur biscuit), China, Kangxi-Ära (1662–1772); Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2008).

Porzellan aus China

Im Museum für Kunst und Gewerbe läuft Made in China! Porzellan, 2.10.2020 bis Oktober 2023 (verlängert).

Ich nehme natürlich alles mit, wo China draufsteht, um wenigstens mit den Augen reisen zu können. Gezeigt werden Porzellane aus China aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Es geht insbesondere um solche mit kaiserlichen Insignien, außerdem um einige speziell für den Export hergestellte Waren. Auch hier geht es um Provenienzen, mit einem kurzen Verweis zwischendurch und Angaben auf den Ausstellungsschildern. Dazu gibt es eine übersichtliche Zeitleiste, die die Entwicklung von Porzellan schildert, in China und Europa gegliedert. Dort ist etwa für 1871 zu lesen: „Der französische Sammler Albert Jacquemart unterteilt chinesische Porzellane mit Aufglasurfarben entsprechend der dominierenden Farbe in: famille verte (grüne Familie), famille jaune (gelbe Familie), famille noire (schwarze Familie) und famille rose (rosa Familie). Diese Begriffe werden heute neben chinesischen Begriffen wie doucai [斗彩, Kobaltblau], wucai [五彩, steht heute für bunt, damit sind die fünf chinesischen Hauptfarben gemeint: weiß, schwarz, rot, gelb und blau], yangcai [洋彩, ausländische Farben] etc. verwendet.“ Das gilt natürlich für das heimische Publikum.

Aus der Ming-Dynastie (1368–1644; ohne genauere Angaben):


Deckeltopf | Lidded Jar. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur und Deckel aus Ebenholz; Vorbesitz: Dr. E. A. Voretzsch, Hamburg (1912).

Aus der Xuande-Ära (1426–35):


Vase mit Qilin in Wellen | Vase with Qilin Between Waves. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau und Kupferrot unter der Glasur; Schenkung von Jan Philipp Reemtsma, Hamburg (1996).

Aus der Jiajing-Ära (1522–66):


Topf mit Drachen über dem Weltberg | Jar with Dragons above World Mountain. Porzellan mit gelber Emailfarbe und Aufglasurfarben in Schwarz und Rot. Schenkung von I. Salomonsen (1878).


Teller mit Wellen | Dish with Waves. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur. Schenkung von Jan Philipp Reemtsma, Hamburg (1996).

Aus der Wanlin-Ära (1573–1620):


Teller mit Zhong Kui | Plate with Zhong Kui. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur und Aufglasurfarben (wucai); Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (1990).


Ein Paar Luohan-Figuren | A Pair of Luohan Figures. Porzellan mit Aufglasurfarben auf unglasiertem Scherben (émail sur biscuit), späte Ming-, frühe Qing-Dynastie; Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2008).
Die linke Figur sieht ein bisschen aus wie Uli Sigg, oder?

Aus der Kangxi-Ära (1662–1722):


Kachel mit Flusslandschaft | Tile with River Landscape. Porzellan mit Aufglasurfarben der famille verte; Vorbesitz unbekannt (1986), alter Bestand.


Vase mit mythischen Tieren in Wellen | Vase with Mythical Creatures between Waves. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur; Schenkung von Legat Amsinck, Vorbesitz: Rolf Pilster, Berlin (1946).


Schalenpaar mit Gottheiten | A Pair of Bowls with Deities. Porzellan mit Aufglasurfarben; Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (1989).

Aus der Yongzheng-Ära (1723–35):


Ein Paar Chicken Cups | A Pair of Chicken Cups. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur und Aufglasurfarben (doucai); Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2012).


Teller mit Pfirsichen und Fledermäusen | Dish with Peaches and Bats. Porzellan mit Aufglasurfarben der famille rose; Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2008).


Tellerpaar mit Schmetterlingen | Pair of Plates with Butterflies. Porzellan mit Aufglasurfarben der famille rose; Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2008).


Zwei Teller mit europäischen Paaren | Two Plates with European Couples. Porzellan mit Aufglasurfarben der famille rose; Schenkung von Harold und Ingeborg Hartog, Hamburg (2008).

Aus der Qianlong-Ära (1736–95):


Schale mit Landschaften der vier Jahreszeiten | Bowl with Landscapes of the Four Seasons. Porzellan mit Aufglasurfarben und Ritzdekor in der Glasur; Vorbesitz unbekannt.
Weil mich die Landschaft mehr als das Siegel interessiert, ist das Bild umgedreht.

Aus der Qing-Dynastie (1644–1911; ohne genauere Angaben):


Schale | Bowl. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter der Glasur. Vorbesitz: H. Rozendaal, Zwolle (1881).


Teller mit floralem Dekor | Dish with Floral Decoration. Porzellan mit Bemalung in Kobaltblau unter und Grün auf der Glasur, 18. Jh.; Vorbesitz unbekannt (2005), alter Bestand.


Kanne in Pfirsichform | Peach-Shaped Pot. Porzellan mit Aufglasurfarben, 19. Jh.; Schenkung von Johanna Schaab, Hamburg (2005), alter Bestand.
Diese Teekanne erscheint mir äußerst raffiniert, weil ich sie nicht verstehe, was vermutlich daran liegen mag, dass ich sie nicht in die Hand nehmen konnte: Sie hat keinen mir ersichtlichen Deckel. Die grobe Linie oben scheint mir ein gekitteter Riss zu sein, zumindest sah es nicht so aus, als könne man dort einen Deckel lüpfen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es auf diesem Stück so eine schludrige Linie gegeben habe soll.

Dazu war Geschirr in Monochromfarben ausgestellt, in Grünblau, Rot, Gelb und Weiß:


(V. l. n. r.)
– Tuschewassergefäss | Ink Wash Bowl. Porzellan mit Mondscheinglasur (claur de lune) und eingeritztem Dekor (anhua), Kangxi-Ära; Vorbesitz: Dr. Ernst Hauswedell & Co., Hamburg (1962).
– Flaschenvase | Bottled Vase. Glasiertes Porzellan, Kangxi-Ära; Schenkung von Jan Philipp Reemtsma, Hamburg (1996).
– Balusterförmige Vase | Baluseter-Shaped Vase. Porzellan mit Kupferglasur, Yongzheng-Ära; Schenkung von Jan Philipp Reemtsma, Hamburg (1996).
– Flaschenförmige Vase | Bottle-Shaped Vase. Porzellan mit Kupferglasur, 18. Jh.; Schenkung von Jan Philipp Reemtsma, Hamburg (1996).


(Oben) Tuschwassergefässe und Deckeldosen für Tusche | Ink Wash Bowls and Ink Bowls with Lid. Kangxi- und Qianlong-Ära; div. Schenkungen.
(Unten) Teller | Plates. Yongzheng- und Qianlong-Ära; div. Schenkungen.


Vasen, Teller und Dose | Vases, Dish and Box. Jiajing- und Kangxi-Ära bis Qing-Dynastie; div. Schenkungen.


Fußschalen und Trankopferbecher | Stem Cups and Libation Cups. Qianlong-Ära und allgemein Qing-Dynastie; div. Schenkungen.

Ganz am Ende steht die folgende monumentale Vase neben zwei Qing-Holzstühlen von Ai Weiwei, die er während seines Auftritts auf der Documenta 12, 2007, verwendet hat. Der Qing-Bezug ist offensichtlich, vielleicht waren sie genauso wie ein Teppich im Vorraum als Auflockerung gedacht, vielleicht kann das Museums nichts dafür, dass ich dabei Aversionen kriege, vielleicht könnte man die fortwährenden Ai-Huldigungen, nur weil man mal einen Fehlkauf vorgenommen hat, aber auch einfach sein lassen. Doch die Vase ist großartig:


Monumentalvase mit höfischen Szenen | Monumental Vase with Court Scenes. Detail, Porzellan mit Aufglasurfarben, zweite Hälfte 19. Jh.; Vorbesitz unbekannt (2017), alter Bestand.


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Abschließend noch eine Buchempfehlung:



Kathrin Enzel, Oliver Hahn, Susanne Knödel und Jochen Schlüter (Hgg.) (2021): Farbe trifft Landkarte | Colour Meets Map. Ausst.kat., Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, Hamburg, 27.8.2021–30.1.2022. Hamburg: Center for the Study of Manuscript Cultures.

Zeitgleich zur Beninschau läuft bis Ende Januar 2022 im MARKK die Ausstellung Farbe trifft Landkarte, die erste Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojektes über das Kolorieren von Landkarten vorstellt. Es handelt sich um eine Betrachtung zweier Kartensammlungen vom 15. bis 20. Jahrhundert. Zum einen werden europäische Landkarten aus der Sammlung der Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv und der Commerzbibliothek vorgestellt, zum anderen ostasiatische Landkarten aus der Sammlung des MARKK. An dem Projekt arbeiten Geistes- und Naturwissenschaften der Universität Hamburg interdisziplinär miteinander, das Centre for the Study of Manuscript Cultures und das Mineralogische Museum des Centrums für Naturkunde. Mit Kolorierungshandbüchern aus Europa sowie Malereihandbüchern aus Ostasien wird eine kulturvergleichende Analyse eines, so der Begleittext, kaum erforschten Themenfeldes präsentiert. Bisher seien hauptsächlich geographisches Fachwissen der Schwerpunkt von Landkartenuntersuchungen gewesen und Kolorierungstraditionen erstaunlicherweise kaum betrachtet worden. Doch würden diese besonderen Aufschluss geben über „verschiedene Weltsichten“, „strategische Interessen“ und „die Wahrnehmung der eigenen Position in Beziehung zur Umwelt und anderen Gesellschaften“ (S. 10). Anhand der verwendeten Pigmente, Farbschemata und -kodes, Drucke oder Handzeichnungen und vielem mehr können „je nach Kultur, Kartierungsart oder Epoche“ „kulturelle Wechselwirkungen und Wandel“ verfolgt werden (S. 16). Es werden Bedeutungen erkundet und politische Macht- und Besitzansprüche von Grenzstreitigkeiten über Steuereinnahmen entschlüsselt. Begleitet wird das Projekt von Provenienzstudien, die aber in dieser Publikation, soweit ich sie überblicke, keinen Eingang gefunden haben.

Der knapp vierhundert Seiten starke, im wissenschaftlichen A4-Format gedruckte Ausstellungskatalog ist eine wahre Fundgrube und wird mit den fast auf jeder Seite abgebildeten bunten Landkarten zu einem wunderbaren Bilderbuch. Nach einer gut hundertseitigen Einführung in das Thema, mit Materialwissenschaft, Methodik und Technologie, folgen gut 170 Seiten europäische und knapp 80 Seiten ostasiatische Karten mit vielen aufschlussreichen Einzelthemen. Die eine Karte von Beijing aus dem späten 19., frühen 20. Jahrhundert ist leider unkoloriert, aber unbedingt spannend (S. 350f). Zu entdecken sind etwa kleine Figuren wie drei Plünderer. Wer sich für weitere Karten aus Beijing interessiert, der und dem seien das sich selbst als „Public History Space“ bezeichnende Beijing Postcards des Teams um Lars Ulrik Thom empfohlen. Hier ein erster Einblick in die Publikation von „Farbe trifft Landkarte“.


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Montag, 3. Januar 2022
Toulouse 法国图卢兹


Zwischen den Jahren war ich in Toulouse. In Europa habe ich wahrlich noch einige interessante Orte nachzuholen, und in Südfrankreich war ich gar bislang noch in keiner Großstadt. Hier ist alles pastellfarben, selbst die Leute kommen mir zuckerwattiger vor, vielleicht waren sie aber auch nur wie ich in Urlaubslaune. Auf die Dauer würde mir die lokalkalorierte Sanftheit vermutlich zu Kopfe steigen, doch für eine Woche ist es sehr einlullend. Toulouse gilt wegen seiner Gebäude aus rosafarbenem Backstein als „la ville rose“, die rosafarbene Stadt. Auch viele der Neubauten greifen das Farbschema auf, besonders sehenswert sind aber die zahlreichen Altbauten, die schmalen Gässchen der Altstadt, die vielen Kirchen und häufig auf Rondellen und Plätzen und in Parkstreifen platzierten Skulpturen. Neben Rosa ist Pastellblau die Farbe, die die Stadt Ende der Renaissance ab Mitte des 15. Jahrhunderts zu Reichtum gebracht hat – viele der Fensterläden sind in diesem oder ähnlichem Blau bemalt.

In der Regionalsprache Okzitanisch auch Tolosa genannt, war die Stadt unter dem Namen Tolose eine wichtige gallische Stadt, datierbar auf um 100 v. Chr. Durchzogen ist sie von der Garonne und dem 1681 fertiggestellten Canal du Midi, der seit 1996 Weltkulturerbe ist. Auf beiden Wassern kann man die Bateaux Toulousains nehmen, die Toulouser Lastkähne, allerdings nicht im Winter. Dann soll man an ein paar der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeischippern. Dazu kommt ein Seitenkanal der Garonne, besonders gut gefällt mir, dass die Kanäle die Stadt mit dem Mittelmeer und dem Atlantik verbinden. Zu beiden Meeren kommt man von hier aus auch so gut hin, dazu in die Pyrenäen, nach Andorra, auf den Jakobsweg und Charly machte uns darauf aufmerksam, dass auf der Autobahn gen Mittelmeer bereits Barcelona ausgeschildert steht. Toulouse pflegt unter anderem seit 1982 eine Städtepartnerschaft mit Chongqing. Davon war vor Ort nichts zu entdecken, ich werde die Augen offenhalten, wenn ich das nächstes Mal dort bin, ob dies in Chongqing anders gehandhabt wird.








Hôtel d‘Assézat.


Im Innenhof vom Hôtel d‘Assézat.


Ebd.


Französische Balkone, wie kann man sie nicht lieben.








Etwas schwer zu erkennen, aber hier ist vorne links eine Statue von Amor, der soeben seinen Pfeil abgeschossen hat. Geschätzt zwanzig Meter weiter steht hinten rechts eine Statue mit einem innig in sich selbst verschlungenen Liebespaar. Fand ich sehr charmant.


Statuen und riesige Bäume, manchmal kamen sie sogar zusammen, hier ein Jüngling mitten im Grün.


Und ein Kaki-Baum, der einen Beijing ersehnen lässt, hier leider unten nur als Mus.


Pont Neuf ist die älteste bis heute erhaltene Brücke über die Garonne, erbaut 1543–1632. Warum man damals allerdings neunzig Jahre an einer Brücke herumwerkelte, hat sich mir nicht erschlossen.
Links unten im Brückenbogen sitzt eine der über die Stadt verteilten roten Figuren von James Colomina, diese mit dem Namen: L'enfant au bonnet d'âne (Das Kind mit der Eselsmütze). O. J.


Von der Pont Neuf gen Norden links das Hôpital de la Grave aus dem 12. Jahrhundert mit anliegendem Hôtel-Dieu Saint-Jacques aus dem 14. Jahrhundert. Beide Gebäudekomplexe kümmern sich bis heute um die Versorgung und Betreuung von Bedürftigen, Pilger·innen und ausgesetzten Neugeborenen.


Pont Neuf von der Sonnenseite …


… und von dort die Stadtsilhouette den Grünstreifen entlang.








Hausboote am Canal du Midi.

Zwischendurch ein paar Kirchblicke:


Cathédrale Saint-Étienne.


Ebd.


Basilika Saint-Sernin, ein romanischer Bau, 11.–12. Jahrhundert, seit 1998 Welterbe.


Ebd. an einer Außenfassade. Vielleicht ist mir der biblische Kontext entgangen, andererseits würde es mich auch sehr erfreuen, Feldarbeit sakralisiert zu verstehen.


Aus der Rue des Arts mit Blick auf das Musée des Augustins.

Selbst Graffiti und Loggia-Bepflanzungen halten sich an das Farbschema der Stadt:






An Museen wird einem online zunächst das Flugzeugmuseum angepriesen, ansonsten ist Airbus nicht übermäßig präsent. Dazu gibt es noch ein Wissenschaftsmuseum, ein Naturkundemuseum, einen Technologiepark und einige Spezialmuseen wie ein Maschinen-, ein Medizinmuseum, aber auch ein Museum der Resistance und allerlei historische Museen. Viele der letzten Kategorie sind in alten Gebäuden untergebracht, in ehemaligen romanischen Klöstern oder angegliedert in als Hotels umgewandelten Patrizierhäusern im Renaissancestil. Viele waren über die Feiertage geschlossen oder nutzen wahrscheinlich weiterhin die Coronazeit für Renovierungsarbeiten. In ein paar konnte ich hineinschauen:

Zunächst ging es ins Les Abattoirs. Dafür wandelt man über die dieses Mal nebelverhangene Pont Neuf und ein Stück weiter hinter das Krankenhaus Hôpital de la Grave.


Das Krankenhaus von der Pont Neuf aus.


Das hier ist, wenn mich nicht alles täuscht, das Hauptgebäude der Kunstakademie auf der östlichen Seite der Garonne an der Pont Neuf.


Zufahrtsstraße zum Hôpital de la Grave.


Im angrenzenden Park des Abattoirs mit der Pont Saint-Pierre im Hintergrund rechts.


Les Abattoirs – Toulouse Modern and Contemporary Art Centre

Les Abattoirs ist die wohl sehenswerteste Anlage für Gegenwartskunst in Toulouse, ein im Jahr 2000 eröffnetes Kunstzentrum auf 3000m2 in einem ehemaligen Schlachthof von 1831. Aktuell liefen vier Ausstellungen.

Die beste Ausstellung wurde im Untergeschoss gezeigt, La Dame à la Licorne: Medieval and So Contemporary, 30.10.2021–16.1.2022. Sechs spätmittelalterliche Wandteppiche wurden mit mir leider sprachlich unverständlichen Interpretationen präsentiert. „Die Dame und das Einhorn“ lautet der Titel, die unterschiedlichen Damen wurden klassifiziert in so etwas wie Berührung, Geschmack, Geruch, Gehör, Blick (Original: le toucher, le gôut, l‘odorat, l‘ouïe, la vue, mon seul désir). Dazu wurden zahlreiche der dargestellten Tiere und Pflanzen einzeln vorgestellt. Und dann ging es mit der Gegenwart los. Zunächst gab es einen Wandteppich in aktualisierter Anlehnung an die mittelalten, s. u. von Husky, und daraufhin traten alle möglichen Einhörner in die Hallen. Ich war beeindruckt, wie unverfroren spielerisch hier der teils wildeste Kitsch ausgepackt wurde – beim Großteil sah ich mich außerstande, ihn abzulichten. Außerdem fand ich interessant, und das gilt für alle besuchten Ausstellungen, dass zu den Künstler·innen stets die Geburtsdaten angegeben wurden, dafür selten die Größenangaben. Die Materialangaben musste ich weggelassen, mein Schulfranzösisch ist leider längst vergessen. Zurück zu den Damen.

Zunächst die Wandteppiche, da viel zu groß für meine Linse, jeweils als Detail, um 1500:












Suzanne Husky (*1975): La Noble Pastorale. Wandteppich (Edition 2 von 18), 202x243cm, 2017.


Maïder Fortuné (*1973): Licorne. Videostill, 2005.


Pablo Picasso (1881–1973): La dépouille du Minotaure en costume d‘Arlequin (Rideau de scène pour le 14 juillet de Romain Rolland Réalisé à Paris). Detail, 1936.
Malerei in Kollaboration mit Luis Fernandez nach einem Gouache von Picasso, o. J.


Southway Studio, Bella Hunt & Ddc: Henri II – Roi Sorcier. 65x35x21cm, 2021.


Im Erdgeschoss lief La Déconniatrie: Art, Exile and Psychiatry around François Tosquelles, 14.10.2021–6.3.2022. Mit Dekoniatrie, Geburtshilfe, sind Werke der Art Brut gemeint, als deren Ausgangspunkt die Ansätze des katalanischen Psychiaters François Tosquelles (1912–1994) mit den Arbeiten seiner Patient·innen dargestellt wurden.


Antonin Artaud (1896–1948): La Révolution des anges sortis des limbes. 1946.


Léon Schwarz-Abrys (1905–1990) (alle drei): Sans titre. Ca. 1940.


Gyula Halász, dit Brassaï (1899–1984): Graffiti, La Magie, „Démon“, Belleville, Paris. 1955.


Jean Dubuffet (1901–1985): Pisseur en face I. 1961.


Im Obergeschoss wurden präsentiert:

Mezzanine Sud: Prix des Amis des Abattoirs“, 16.12.2020–9.5.2021 (verlängert).


Anna Solal (*1988): Tournesol. 2019.


Naomi Maury (*1991): The Song of a Phantom Limb. 2021.


Maxim Sanchez (*1992): Grolem. 2021.

„Artiste / Artisan? Nouvelle présentation de la collection Daniel Cordier“ (1920–2020), ohne Zeitangabe.


Katinka Bock (*1976): Sechs Prozent flüchtige Bestandteile – Ensemble 2. 2007.


Yolande Fièvre (1907–1982): Plan d‘une vieille cité pour rêver. 1960.


Louise Nevelson (1899–1988): Sans titre. 1959.


Artist unknown, France: Gouttières en imitation de tige de bambou. 19. Jahrhundert.


Daniel Dewar (*1976) und Grégory Gicquel (*1975): Legs. Videostill, 2009.


Musée des Augustins

Ein Großteil der hiesigen Ausstellungsfläche ist wegen Renovierung bis 2023 geschlossen. Es handelt sich um ein altes Augustinerkloster im gotischen Baustil, 14.–15. Jahrhundert, das 1793 als Museum eröffnete. Die aktuell nicht zugängliche Sammlung besteht aus Werken aus dem Mittelalter, historischen Architekturfragmenten sowie Gemälden und Skulpturen, 17.–20. Jahrhundert von Delacroix und anderen.





Um den Innenhof war eine Reihe von Wasserspeiern aufgestellt. Wikipedia sagt, dass die französische Bezeichnung „Gargouille“ lautet und lautmalerisch mit deutsch Gurgeln verwandt ist. Für mich waren es bislang Dämonen, die den Teufel von Kirchen abwehren sollen, und ich war sehr begeistert, sie von nahem sehen zu dürfen.







Dazu und hauptsächlich lief Théodule Ribot (1823–1891): A Delightful Darkness, 16.10.2021–10.1.2022.

Es ging um Ribot, seine Einflüsse und Zeitgenossen. Zur Unterscheidung der Werke wurden Ribots Arbeiten auf schwarzem Hintergrund präsentiert, die anderen auf blauem. Dazu gab es die Ausstellungsschilder von Arbeiten aus dem 17. und 18. Jahrhundert in Grün, die von Ribots Zeitgenossen in Rosa – so dezent wie hilfreich. Die Unterteilung verlief in Kategorien wie Küche, Porträts, Musiker·innen, Landschaft, Gemarterte (torturer) und Intellektuelle. Der dargestellte Realismus verlief meist ohne viel und auf dunklem Hintergrund. Die gelegentlich fotografische Unschärfe ist meine Schuld, pardon – allerdings war ich fasziniert von den malerischen Unschärfen in den Bildern mit den Asterisken (s. u. *), die dadurch etwas Cinematisches aufweisen.


Théodule Ribot: Autoportrait. Oil on canvas, ca. 1887–1890.


Théodule Ribot: Un gigot. Oil on canvas, o. J.


Théodule Ribot: Nature morte à la citrouille et aux prunes, cerises et figues avec pot. Oil on canvas, estimated 1850s.
Es soll in Korrespondenz mit dem Folgenden gestanden haben:


Eugène Boudin (1824–1898): Nature morte au potiron. Oil on canvas, o. J.


Joseph Bail (1862–1921): Marmiton portant des rougets. Oil on cardboard, 1887.


Théodule Ribot: Le Mitron. Oil on canvas, o. J.


Joseph Bail: Les Joueurs de cartes. Oil on canvas, 1897.


Ebd., Detail.


Théodule Ribot: Portrait de la mère de l‘artiste. Oil on canvas, o. J.


Théodule Ribot: La Charbonnière. Oil on canvas, 1880.


Théodule Ribot: Le Flûteur, dit La Recette. Oil on canvas, 1865.


Théodule Ribot: Les Empiriques. Oil on canvas, o. J.
(*, die Figur hinten rechts ist im Gegensatz zu den vorderen beiden unscharf, fast schon leicht verwischt gemalt.)


Alfred Philippe Roll (1846–1919): Tête de mineur. Oil on canvas, 1880.


Théodule Ribot: La Comptabilité. Oil on canvas, o. J.


Théodule Ribot: Paysage. Oil on canvas, o. J.


Gustave Courbet (1819–1877): Paysage aux lavandières. Oil on canvas, o. J.


Théodule Ribot: La Chorale. Oil on canvas, o. J.
(*, die Figur vorne rechts ist scharf gemalt, die beiden im Hintergrund sind auffällig unscharf.)


Théodule Ribot: Le Bon Samaritain. Oil on canvas, 1870.


Théodule Ribot: Trois vieux juifs. Oil on canvas, 1880.


Théodule Ribot: Les Philosophes. Oil on canvas, 1869.
(*, auch hier sind die beiden Figuren im Hintergrund, rechts im Bild, leicht unscharf gemalt, wobei die ganz rechte Figur auch in skeptischer Mimik begriffen sein könnten.)


Théodule Ribot: Héraclite. Oil on canvas, o. J.

In derselben Halle ist ein kleiner Teil der Museumssammlung zu sehen:


François Lucas (1736–1813) (Skulptur in der Mitte vorne): Jean Charles Ledesmé, baron of Saint-Élix (1721–1806). 1762.


Marx Arcis (1652–1739) (Figuren vorne, v. l. n. r., alle: after 1691(?)):
Saint Simon Stock. Elijah. Elisha. Agabus.




Galerie Le Château d‘Eau

Die staatlich unterstützte Kunstgalerie mit Schwerpunkt Fotografie befindet sich in einem ehemaligen Wasserturm aus dem 19. Jahrhundert, eröffnet 1974. In den angrenzenden Räumen scheint sich mir, zumindest auf den schnellen Blick, eine gutsortierte Bibliothek über Fotografie zu befinden. Die Website der Galerie ist abgelaufen, es werden wohl vermehrt Facebook und Instagram genutzt, hier der Wiki-Link (fr.).

Aktuell läuft: Nicholas Nixon: Une infime distance, 3.11.2021–16.1.2022.


The Brown Sisters. 1975–2021.
Dieses sind die letzten drei Bilder von 2019 bis 2021. Das Bild von 2020 musste wegen der Pandemie in vier Bildern, vermutlich sogar per Videoanruf geknipst werden.


Leider ohne Angabe, meine Schuld, sorry.


Außerdem haben wir einen Tagesausflug nach Narbonne ans Mittelmeer gemacht.




Als Lenticularis, linsenförmig, werden diese Wolkenformationen bezeichnet.


Hier wurde man gleich mit mehreren Wirbellinsen beglückt.




Und bis in ein grandioses Sonnenuntergangsszenario hinein.










Um nicht allzu himmlisch-harmonisch zu enden: Charlys Kinder machten mich gleich zu Beginn meiner Ankunft eindringlich darauf aufmerksam, bitte nicht ständig nur die Häuserfassaden hochzublicken. Denn obwohl überall Kottütchen hängen, nehmen es die Toulouser·innen scheinbar nicht so genau mit der Entsorgung beim Gassigehen. Die pastellene Lieblichkeit hat also ihre Grenzen, was ich wiederum als gerechten Ausgleich empfinde.




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Freitag, 17. Dezember 2021
Buchempfehlungen: China, Politik 2021
Meine Chinaliste der Orte und Besorgungen wird länger und länger, meine Reisehoffnungen für 2022 schwinden mehr und mehr. Aber auch wer aktuell nicht nach China reisen kann, kann doch über China lesen. Hier zwei schnelle Buchempfehlungen, gerade noch aus diesem Jahr:



Desmond Shum (2021): Red Roulette: An Insider‘s Story of Wealth, Power, Corruption and Vengeance in Today‘s China. London, Sydney und Neu Delhi: Simon & Schuster.

Die Geschichte eines Insiders, skeptisch und doch voller Erwartung reibt man sich da gleich die Hände. Desmond Shum (Shen Dong 沈栋, *ca. 1969) stammt aus Shanghai, ist in Hongkong aufgewachsen, studierte in den USA, verdiente besonders in den 2000er Jahren und vor allem in Beijing insgesamt umgerechnet 2,5 Milliarden USD (S. 1) und geriet dann mit seiner damaligen Frau Whitney Duan (Duan Weihong 段伟红) in die Fänge von „Macht, Korruption und Rache“.

„Am 5.9.2017 verschwand Whitney Duan im Alter von fünfzig Jahren von den Straßen Beijings“, so beginnt dieses Buch. Dieses Ereignis nimmt Shum zum Anlass, um über sein und Duans Leben zu schreiben und einen in das tiefe, politisch und wirtschaftlich motivierte Machtgeflecht in der Volksrepublik zu ziehen. Ob man Shum seinen gelegentlich durchschimmernden und in Kapitel zwölf dargestellten Philanthropismus nun abnimmt oder das Gewicht doch eher in seiner Partizipation sieht und ihn damit als Enthusiasten des gesellschaftlichen Aufschwungs des Landes oder einfach nur als Opportunisten unter vielen in den 1990er und 2000er Jahren, mag jeder/m selbst überlassen sein. Seine enttäuschten Hoffnungen auf eine offenere, freiere Gesellschaft fußten auf einem weitverbreiteten Optimismus. Das von ihm beschworene Ansinnen, etwas mit Bestand bauen zu wollen, kann eine eigene Hinterlassenschaft beinhalten und gleichzeitig ein guter Bau sein. Wenn man die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht einbezieht, sehe ich als einziges Beispiel seiner vielen Unterfangen die Bibliothek der Qinghua Universität. Immerhin. Auf jeden Fall birgt Shums Geschichte spannende Einsichten.

Die Time berichtete am 13.10.2021 in Why the Ex-Husband of a Missing Chinese Billionaire Is Risking All to Tell Their Story, dass Whitney Duan ihn kurz nach Bekanntgabe der anstehenden Veröffentlichung aus China anrief, um diese zu verhindern. Zumindest weiß er dadurch, dass sie noch lebt.




Timothy Cheek, Klaus Mühlhahn und Hans van de Ven (Hgg.) (2021): The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives. Cambridge: Cambridge UP.

Die Kommunistische Partei China (KPCh) feierte dieses Jahr, am 23.7.2021, ihr hundertjähriges Bestehen. In Beijing gab es Militärparaden und Reden, in ganz China wurde die glorreiche Geschichte auf allen Kanälen das gesamte Jahr über aus offizieller und damit gültiger Parteisicht erzählt. In Ausstellungen, Filmen, Fernsehserien, Theaterstücken und Opern, auf Plakatwänden und öffentlichen Bildschirmen, am Himmel und in Blumenteppichen, you name it. Aus nicht nur einer Perspektive lassen die Historiker und Sinologen Cheek et al. zehn Stimmen zu Wort kommen, die das Jahrhundert in ihren einzelnen Jahrzehnten durchschreiten. Jede/r Autor·in schildert ihr oder sein jeweiliges Jahrzehnt anhand einer Person des öffentlichen Lebens aus Politik, Kunst und Kultur oder dem Leben von Intellektuellen. Diese persönlichen Geschichten bilden eine kleine Facette des Lebens mit und unter dem sich aufbauenden Parteiapparat vom anfänglichen Enthusiasmus über den individuellen Aufstieg und Fall, dem Hin und Her zwischen Maßnahmen und Richtungswechseln, in sich aufzeigenden Möglichkeiten und zerschlagenden Hoffnungen, immer aber unter dem schlussendlich schonungslosen Diktat und Machtstreben der Partei. Den einzelnen Kapitel ist jeweils ein kurzer Überblick vorangestellt, der die skizzierte Person in ihr Jahrzehnt einordnet. Besonders gefallen hat mir das Kapitel zu den 1990er Jahren von einem der beiden Historiker dieses Bandes, die in der Volksrepublik tätig sind, Xu Jilin: Wang Yuanhua: A Party Intellectual Reflects. Hier geht es nicht um einen Dissidenten, sondern um eine moderate Stimme, die ihren Weg zu finden sucht.


Etwas älter, aber in diesem Zusammenhang erwähnenswert sind:

– Kai Strittmatter (2018): Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. München: Piper.
– Richard McGregor (2013 [2010]): Der rote Apparat: Chinas Kommunisten (Original: The Party. The Secret World of China‘s Communist Rulers). Übs.: Ilse Utz. Berlin: Matthes & Seitz.


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Sonntag, 21. November 2021
Hamburg und ein wenig München: Kunst 2021
Dieses Jahr habe ich offline extrem wenig Kunst gesehen. Unten gibt es eine Stippvisite nach München, in Hamburg liefen und laufen:

Tom Sachs

In den Deichtorhallen läuft Tom Sachs Space Program: Rare Earths (Seltene Erden), Halle für aktuelle Kunst, 19.9.2021–10.4.2022.


Hauptraum (Mitte): Landing Excursion Module (LEM) – Landefähre. Stahl, Sperrholz, Epoxidharz, verschiedene Materialien – steel, plywood, epoxy resin, mixed media, 703,5x668x668cm, 2007.

Aus Alltagsmaterialien hat Sachs hier sein NASA-Space Program nachgebaut – die hohe Deckenkonstruktion aus Stahl und Glas ist wie so häufig ideal für diese Bespielung der gesamten Halle. Im Eingangsbereich betritt man bereits das „Welcome Center“, der Hauptraum ist in verschiedene Szenarien unterteilt, hinten finden sich Extraräume, das „Anechoic Chamber“ (der schalldichte Raum), das „Museum of the Moon“ mit 16 Exponaten und das „Re-education Center“ mit sieben verschiedenen Videos. Ein weiterer Raum neben dem Eingang nennt sich „Indoctrination“, wo selbst gebastelt werden kann. Eine großartige Show, gestört haben mich einzig die überall angebrachten rüden Abweisungen wie „Don‘t fucking touch“, ich werde nicht so gerne angeraunzt.


(Mitte 中间) Mission Control Center (MCC). Verschiedene Materialien | mixed media, 297,9x490,4x151,8, 2007–16.
(Vorne 前面) MCC Console. Verschiedene Materialien | mixed media, 78,7x60,9x30,4cm, 2012.
(Links 左边) Male Fragility. Verschiedene Materialien | mixed media, 157,4x81,2x86,3, 2020.
(Links und rechts 左右边) Euronor (Set of 2 Speakers). Sperrholz, verschiedene Materialien | plywood, mixed media, 365,7x152,4x147,3cm, 2012.


Im Raum „Transubstantiation“: Transubstantiation. Verschiedene Materialien | mixed media, 430,4x269x90,2cm, Detail, 2021.


Im Raum „Museum of the Moon“: Doctor. Schichtholz, verschiedene Materialien | plywood, mixed media, 215,9x139,7x44,5cm, 2009–11.


Vehicle Assembly Building (VAB). Sperrholz, Latexfarbe, Stahlbeschläge | plywood, latex paint, steel hardware, 398,7x685,8x673,1cm, 2020.
Zwei wichtige Inspirationsquellen scheinen für Sachs Yoda und Jack Daniel‘s zu sein, die häufig in seine Werken eingebaut sind. Einer Yoda-Figur von etwa fünf Zentimetern ist hier gar ein eigener Raum in kompletter Finsternis mit beleuchtetem Altar gewidmet, vermutlich als Mausoleum für das „Golden Idol“ gemeint. Im Begleitheft ist zu lesen, dass „nur die tief Gläubigen und Indoktrinierten teilnehmen“ dürften.




Das Haus der Photographie der Deichtorhallen wird bis voraussichtlich 2024 saniert und umgebaut. Dafür eröffneten am 29.9.2021 die temporären Container mit Namen „PHOXXI“, was „Photographie“ plus „21. Jahrhundert“ bedeuten soll.




Werner Büttner

In der Hamburger Kunsthalle läuft Werner Büttner: Last Lecture Show, 15.10.2021–16.1.2022. Dem Malereiprofessor der HbK ist zum Abschied in den Ruhestand eine Retrospektive gewidmet. Daniel Richter studierte bei ihm und auch Jonathan Meese hat bei ihm gelernt. Mir gefallen insbesondere die Bildtitel.


Antagonismushaken | Antagonism Hook. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1997.


Russische Hochzeit | Russian Wedding. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1986.


Entrücktheit für Fortgeschrittene | Advanced Other-Worldliness. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 2011.


Der Ursprung des Landlebens | The Origin of the Country Life. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 2007.


Anpfiff zur Biographie | Starting Whistle for Biography. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1998.


Whirling Weltgeist. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 2020.


Ausgebrannter Hengst | Burned-Out Stud. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 2018.

Zu den Collagen wurde nur die Angabe „aus den frühen 1980er Jahren“ gegeben:


„Fatal orientierte Blechbläser“.


„Wenn das Böse siegt, ist dann endlich Ruhe?“


„Nur die Wirklichkeit darf es wagen, so zu sein“.


„Portrait einer Tante“.

Update, 13.12.2021: Der als „renitent“ (SZ) beschriebene Büttner, der „über das jämmerliche Patriarchat spottete“ (Zeit) musste sein Bild „Büttner geht von Bord“, 2020, abhängen, weil er es – noch streiten die Anwälte – von seiner ehemaligen Studentin Meng Yin plagiiert habe, s. Das verschwundene Bild, Zeit Online, 11.12.2021.


Raffael


Raffael: Kopf eines Cherubs | Head of a Cherub. Kohlezeichnung | charcoal, ca. 1509.

Ebenda lief Raffael: Wirkung eines Genies, Hamburger Kunsthalle, 2.7.–3.10.2021.

So wie bereits im Sommer 2019 von der Kunsthalle vier Skizzen von Leonardo da Vinci präsentiert wurden (von mir hier untergebracht, mit Strg.+f im unteren Drittel), waren nun drei Zeichnungen aus der hauseigenen Sammlung von Raffael Anlass einer Ausstellung. Auch bei Raffael ging es um Hommagen, nun allerdings sinnvollerweise bereits im Titel. Eine nette Ausstellung, die Postkarten des Engelskopfes waren sofort vergriffen.


Francois Perrier: Merkur schwebt vom Olymp herab | Mercury Descending from Olympus. Radierung | etching, ca. 1641.


Impressionismus

Außerdem läuft in der Hamburger Kunsthalle Impressionismus: Deutsch-französische Begegnungen, 29.10.2021–31.12.2023.

Die Verbindung mit Frankreich als Ursprung des Impressionismus macht natürlich Sinn. Es werden Kategorien wie Landschaft, Porträt, Stillleben, Pastelle und Stadtansichten, diese vor allem wegen einiger Auftragsarbeiten von 1889 des ersten Kunsthallendirektors, durchgegangen. Dann ist Max Liebermann (1847–1935) ein eigener Raum mit dem Titel „Vom Realismus zum Impressionismus“ gewidmet. Ein weiterer Raum beschäftigt sich mit der „Zeitenwende“ um 1900 (s. u.: Munch, Hodler), am Ende wird der Kubismus gestreift.


Max Beckmann: Große graue Wellen | Large Grey Waves. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1905.


Pierre Bonnard: Abend am Uhlenhorster Fährhaus | Evening at the Uhlenhorster Fährhaus. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1913.


Max Liebermann: Abend am Uhlenhorster Fährhaus | Evening at the Uhlenhorster Fährhaus. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1910.


Max Liebermann: Die Netzflickerinnen (Ölstudie) | The Net Menders (oil study). Öl auf Pappe | oil on cardboard, 1887.


Ebd.: Studie zu den Netzflickerinnen | Study to The Net Menders. Öl auf Karton auf Holz | oil on cardboard on wood, 1887.


Ebd.: Die Netzflickerinnen | The Net Menders. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1887/89.


Edvard Munch: Mädchen am Meer | Girls on the Shore. Mischtechnik auf Leinwand | mixed media on canvas, 1906/07.


Ferdinand Hodler: Thunersee mit Stockhornkette | Lake Thun with the Stockhorn Mountain Range. Öl auf Leinwand | oil on canvas, ca. 1910.


Ebd.: Blick ins Unendliche | View into Infinity. Öl auf Leinwand | oil on canvas, ca. 1903.


Lyonell Feininger: Regamündung III | Mouth of the Rega III. Öl auf Leinwand | oil on canvas, 1929/30.




Dazu leuchtet von Moritz Frei: I Don‘t Believe In Dinosaurs, 2017/ 2021, oben auf der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, März 2021 bis voraussichtlich Mai 2022. Zwar dem Altbau zugewandt, sieht man die Lichtinstallation nur mit diesem im Rücken, mit einem gedanklichen Dreher mehr würde es aber auch so funktionieren, oben auf der dicken Kunsthalle sitzend zu den Gegenwartsgrößen von: Ich seh euch nicht, ich glaub nicht an euch; hin in Richtung der Altmeister: Ich seh euch und glaub erst recht nicht an euch.


Emil Nolde

Nolde und der Norden, Bucerius Kunst Forum, 16.10.2021–23.1.2022.

Hier darf leider nicht fotografiert werden, Auflage der Sammler⋅innen für die Leihgaben. Eine eher merkwürdige Ausstellungskuration. Noldes Antisemitismus und NSDAP-Mitgliedschaft sowie anschließende Leugnung aufgrund des Beleges, dass er 1941 als entartet gewertet wurde, müssen natürlich thematisiert werden – werden es allerdings nur im Einführungstext mit der abschließenden Aufforderung „zur Diskussion“. Vielleicht folgt mehr in dem einstündigen Dokumentarfilm hinten im separaten Raum; in der knappen halben Stunde, die ich gesehen habe, kam es nicht zur Sprache. Gut, an diesem Thema kann man fast nur scheitern. Auch die titelgebende Gegenüberstellung mit weiteren Werken dänischer Zeitgenossen ist legitim, sie hat sich mir nur nicht erschlossen. Die Werke aus den etwa 1880er bis 1940er Jahren sind nicht chronologisch, sondern im Ansatz thematisch gehängt (Porträts, Interieur, Landschaft, Dorfleben), was prinzipiell ebenfalls vollkommen zu rechtfertigen ist. Aber was nur soll es einem sagen, dass impressionistische, realistische und expressionistische Arbeiten wild durcheinander angebracht sind? Dass es diese Strömungen gab und sie ihn beeinflussten? Dass das Leben aus Chaos besteht?

Zumindest wird deutlich, dass Nolde nicht nur in seinen Anfangsjahren, dort aber bildlich nachweisbar, mit seinen inneren Dämonen gekämpft haben muss – in einem Raum hinten links geht es von seinen Räuberbildern zu selbsterdachten, mythisch angehauchten Fabelwesen. Aber auch in späteren Bildern tritt seine Zerrissenheit hervor, die nicht nur an den harschen nordischen Wetterverhältnissen gelegen haben kann, und in ihrer Bandbreite von himmelhoch leuchtend bis zu Tode trüb alles aufweisen. Spannend bleibt die reiche Facette seiner Farbpalette, sein Umgang mit Licht und Schatten und die verschieden aufgegriffenen Malrichtungen.


München: Haus der Kunst

Im Haus der Kunst läuft Heidi Bucher: Metamorphosen, 17.9.2021–13.2.2022.


Bodyshells. 1-Kanal16mm-Film, digitalisiert, Farbe | single-channel 16mm film, digitised, colour, 1‘57‘‘, Filmstill, 1972.


Kleines Glasportal (Sanatorium Bellevue, Kreuzlingen) | Small Glass Portal (Bellevue Sanatorium, Kreuzlingen. Baumwolle, Fischleim, Latex | cotton gauze, fish glue, latex, 1988.


Ebd., Detail.


Hautraum (Ricks Kinderzimmer, Lindgut Winterthur) | Skin Room (Rick‘s Nursery, Linggut Winterthur. Gaze, Fischleim, Latex, Bamburg, Draht | gauze, fish glue, latex, bamboo, wire, 1987.


Räume sind Hüllen, sind Häute | Rooms Are Shells, Are Skins. 1-Kanal16mm-Film, digitalisiert, Farbe, Ton | single-channel 16mm film, digitised, colour, sound, 33‘, Filmstill, 1981.


Menhaut | Men Skin. Gaze, Latex, Haare | gauze, latex, hair, 1986.


Im oberen Stockwerk wird die Gruppenausstellung Sweat gezeigt, Haus der Kunst, 11.6.2021–9.1.2022.


Daniel Lind-Ramos: Con-junto (The Ensemble) | Mit-einander (Das Ensemble). Mixed Media, 2015.


Tschabalala Self: Loveseat Prototype 1–3 | Liebessitz Prototyp 1–3. Gipsabdruck, Hausfarbe | plaster cast, house paint, 2020.


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Vielleicht für die eine oder den anderen von Interesse: 2021–22 begleite ich das Projekt „Deutsch-chinesischen Museumsgespräche“ für das Goethe-Institut China, chinesisch unter: 中德美术馆对话, wir organisieren Workshops, Open Calls und andere Veranstaltungen, schaut gerne einmal vorbei.


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Samstag, 13. November 2021
Nord und Süd: Sylt und Allgäu 2021
In diesem Jahr war ich sehr wenig unterwegs. Hauptsächlich habe ich mich an meinem Schreibtisch aufgehalten, in meiner Wohnung, die ich seit Coronabeginn als woyou shi 卧游室, Kammer des Zuhausebleibenden Umherwandelns, bezeichne. Im September war ich dann aber gleich auf zwei Reisen und endlich einmal wieder ausgeflogen.

Im Norden auf Sylt



Pfeifender Wind, die schnurgerade Horizontlinie stets im Visier, kilometerlange Sandstrände und entsprechend endlose Spaziergänge, Dünen und diese halten zu versuchendes Gestrüpp, Gezeiten, ziemlich salziges Salzwasser mit Brechern, gegen die man sich herrlich werfen, in die man eintauchen, von denen man sich verwirbeln lassen kann. Und das Ganze nur gute drei Stunden in direkter Zugverbindung von Hamburg entfernt.






Der als Überblick von der Uwedüne. Im Flachland werden Höhenmeter mit Kommazahlen angegeben, Erhebungen als Dünen bezeichnet, von 52,5m ist dies der Blick gen Norden, im Hintergrund ist oben die dänische Insel Rømø zu sehen.






Land(wieder)gewinnungsversuche, die links mit Sand saugenden Rohren noch hunderte Meter in die Nordsee hinein weitergingen.


Im Süden im Allgäu















Die Farben wirken hier so unglaubwürdig gesättigt, dass man sie hinterher am Rechner drosselt. Ouh, aber dann kommt Nebel auf …








Neuschwanstein

Meine chinesischen Freund⋅innen waren, wenn in Deutschland, alle schon hier, das Marketing funktioniert in Absprache mit Disney und seinem Logo perfekt. Unter Coronabedingungen ist es zu ertragen, aber die Massenbewältigung mit ihren breiten, abgezäunten Wegen bleibt, ja, verständlich, mache ich in China auch alles mit, aber hierzulande ist es gruselig. Und an Schlössern gibt es in Deutschland bestimmt interessantere und schönere, auch abgesehen von meine vermutlich urdeutsch verklärte Seele reizenderen Ruinengebilden. Man kann sich diesen Pilgergang wirklich schenken. Eigentlich bin ich sogar ein wenig sauer auf mich, dass ich mich habe verlocken lassen. Gut, ich kann hier mal wieder ein bisschen stänkern, ich konnte Kitsch knipsen und habe jetzt die unnötige Gewissheit, dass man nicht jedem Werbegag folgen muss, und natürlich ist es immer nett, mit lieben Menschen einen Tag zu verbringen, aber für letzteres gibt es wahrlich andere Gelegenheiten.


Genau im Bildzentrum findet sich des Schlosses Zipfel, von der niedrigen Auflösung hier zerfressen, aber macht nichts, gleich gehts los.


Ein wenig widersprüchlich ist meine Anzahl der den Ergüssen König Ludwigs Nummer Zwoi von Bayern gewidmeten Bilder. Nichts gegen Exzentrik, deren Betrachtung genieße ich gerne und in vollen Zügen, wenn man mit ihnen nicht Menschen und Geldtöpfe ausgeblutet hat. Aber leider ist dieses Schloss auch rein ästhetisch von innen wie außen ein Reinfall. Ein Bild von meiner Seite hätte allemal gereicht, ein komplettes Verschweigen wäre mehr als gerechtfertigt. Wenn ich Sachen aus meinem Haushalt versehentlich zerstöre, Porzellan zerschlage oder Pflanzen aus unerfindlichen Gründen eingehen lasse, verstöre ich mich damit, sie mir als kleine Mahnmale über Monate hinweg in mein Blickfeld zu stellen. So ähnlich kann wohl die Zurschaustellung der hiesigen Fotos verstanden werden.


War alles gesperrt, diese Brücke genauso wie ein angepriesener Wasserfall in der Nähe. Sah man sich natürlich trotzdem aus der Ferne an, wegen der Anreise und des zugewiesenen Timeslots um 16 Uhr irgendwas.






Doch eine durch Wolken berstende Sonne vertreibt selbst den muffeligsten Graupel am Ende.


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Reisen benötigen Bücher, hier drei Romanempfehlungen:



Jonathan D. Spence (2005 [2001]): Verräterische Bücher: Eine Verschwörung im alten China (Original: Treason by the Book). Übs.: Susanne Hornfeck. München und Wien: Hanser.

Literarisch aufgearbeitet liest sich Spence‘ Recherche wie ein Roman. Anhand von Originalquellen verfolgt der altehrwürdige Sinologe und Historiker einen Brief, der einen General Anfang des 18. Jahrhunderts zur Rebellion aufrief. Es entspinnt sich eine Staatsaffäre, die, von einem unbedeutenden Übermittler ausgelöst, tief in die bürokratische Apparatur der Qing-Dynastie führt. Um der eigenen Anklage zu entgehen, muss sich General Yue Zhongqi (1686–1754), ein Nachfahre von Yue Fei (s. Kay unten), dieses Falles annehmen. Beschrieben werden die staatliche Überwachungsmechanismen bis in die hintersten provinziellen Verwaltungseinheiten des Landes, der Aufbau eines Regierungssystems mit Angst und Gehorsamkeit in ihren historisch gewachsenen Ausmaßen mit der steten Gefahr der Verbannung in malariaverseuchte Gebiete. Geboten werden Einblicke in die Komplexität der chinesischen Gesetze bis in ihre Hundertsten Paragraphen hinein, in das Berichtssystem und die Vorschriften des Protokolls zwischen Kaiser Yongzheng (1678–1735) und seinen Magistraten sowie in die Geschwindigkeit der Übermittlung von Botschaften. Thematisiert werden immer wieder ethnische Zugehörigkeiten und die damit einhergehenden Vorbehalte, etwa in der kaiserlichen Abneigung gegenüber Menschen aus Zhejiang, die der Mandschu Yongzheng für „arrogant und boshaft“ hält (S. 38). Es geht um Militärstrategien, um Probleme der Steuereintreibung, um die Überwachung der Moslems in Gansu und die Handhabung gegenüber Vertretern des Dalai Lama. Ein großartiger Fundus!




Guy Gavriel Kay (2017 [2013]): Am Fluss der Sterne (Original: River of Stars). Übs.: Ulrike Brauns. Frankfurt: Fischer Tor.

Der zweite Band aus dem fiktiven Reich Kitai ist ans Ende der chinesischen Nördlichen Song-Dynastie (960–1126) verlegt und folgt dem ersten Teil, „Im Schatten des Himmels“ von 2016 (Original: Under Heaven, 2010), der in der Tang-Dynastie bis zur An Lushan-Rebellion (8. Jh.) spielt.

Es geht um die Rückeroberung verlorener Gebiete an die nördlichen Barbaren, die Jurchen, Vorfahren der Mandschus, hier Altai genannt, und schließlich um den Verlust von weit mehr Territorium hin zum Untergang der Nördlichen Song. Mit magisch-fantastischen Elementen allgegenwärtiger Erwähnungen von Geistern, dann der Figur eines Fuchsgeistes, mit den literarischen Anleihen Gesetzloser in den Sumpfgebieten aus dem Shuihu zhuan (auf Deutsch: Die Räuber vom Liangshan-Moor, 14. Jh., spielt um 1120), verknüpft mit der Geschichte des historischen Heerführers Yue Fei (1103–1142), besticht Kay mit etlichen überlieferten Referenzen. Dabei kommt er angenehmerweise ganz ohne Erklärungen aus. Es geht um Hofintrigen von Ministern und Eunuchen, um Verbannungen von Dichtern und Gelehrten. Der Aberglauben von Kaiser Huizong, der hier Wenzong heißt, und der verbreitete Geisterglaube werden nie ins Lächerliche gezogen, sondern als zu jener Zeit selbstverständlich dargestellt. Den Beschreibungen beispielsweise von Kaiser Huizongs Vorlieben der Kunst vor seinen Staatsgeschäften, von seinem kalligrafischen Stil des schlanken Goldes, seines Gartenbaus und daoistischen Umgangs mit Konkubinen, der Vermessung seiner Handlänge für Musikreformen und ihrer Aufnahme durch seine Untertanen fehlt es dabei nicht an Witz, selbst wenn man die Bezüge nicht kennt oder einem etliche entgehen. Gerade gegen Ende wird die wiederholte Erwähnung des Verfahrens von Geschichtsschreibern etwas ermüdend. Aber es ist ein wunderbar kurzweiliges Vergnügen, von Action bis Romance ist hier alles enthalten, was einen Hollywood-Blockbuster ausmacht.




Viet Thanh Nguyen (2017 [2015]): Der Sympathisant (Original: The Sympathizer). Übs.: Wolfgang Müller. München: Blessing.

Einer der besten Romane, die ich seit langem gelesen habe. Mit diesem, seinem ersten Roman erhielt der vietnamesisch-US-amerikanische Schriftsteller Nguyen 2016 wohlverdient den Pulitzer-Preis für Belletristik.

Die Hauptthemen dieses Werkes, der Vietnamkrieg und die US-Migration in der selten dargelegten vietnamesische Perspektive, wären wohl kaum zu ertragen, wenn die Hauptfigur besonders in ihren nebensächlichen Anmerkungen nicht so unglaublich witzig wäre, um nicht zu sagen sympathisch. Wobei hier mit Sympathien die für den Kommunismus gemeint sind, als Sympathisanten bezeichnet sich der unzuverlässige Erzähler selbst, weil er mit zwei Perspektiven sehen kann. Die Verlagsbeschreibung des Romans als Politthriller, Spionageroman, historisches Kriegsdrama, politische Migrantengeschichte, im Englischen noch als Metafiktion, gibt sich ziemlich übertrieben. Und doch ist es all dies. Es handelt sich um die anonymen Aufzeichnungen eines erzwungenen Geständnisses von einem politischen Gefangenen, einem nordvietnamesisch-kommunistischen Spion in der südvietnamesischen Armee, der in der südvietnamesischen Exilgemeinde in Los Angeles landet. In rasantem Tempo erzählt der darüber hinaus noch mit der Problematik eines französischen katholischen Priesters als Vater beglückte Protagonist von seinen Erlebnissen seit dem Fall von Saigon 1975 und kommentiert diese Ereignisse unverfroren ehrlich in ihren politischen und in seinen persönlichen Widersprüchen. Die eindimensionale amerikanische Sicht auf den Vietnamkrieg wird etwa besonders deutlich in einem Nebenjob der Hauptfigur als Vermittler für einen amerikanischen Film zu diesem Thema beschrieben. Die Fortsetzung ist bestellt: Die Idealisten (Original: The Committed), beide 2021.


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Freitag, 12. November 2021
Hamburg: Unterwegs 2021
Was treibt man eigentlich so, wenn man hinaus möchte und sich weiterhin ein wenig im Sozialisierungsschockzustand suhlt?

Freiluftmusik



Musik ist nicht so mein Ding, aber die Ankündigung von Freiluftmusik, besonders die eines Orchesters auf einer Hochhaussiedlung hörte sich interessant an. Einen schönen Titel gab es dazu, es spielten die Dresdner Sinfoniker: Himmel über Hamburg, organisiert von Kampnagel und der Elbphilharmonie, auf den Hochhäusern in der Lenzsiedlung, Eimsbüttel, 17.7.2021.

Es war beeindruckend, was ein Aufwand getrieben wurde, kilometerlange Kabeltrassen wanden sich die Plattenbauten hoch, jedem Musiker standen Rigger und sonst nicht welche Schutzmaßnahmen zur Verfügung. Das Ganze fand auf dem wiederum verkabelten Sportplatz davor statt – der mit Granulat unterfütterte Plastikrasen tat schon vom Hinsehen weh, hier kann man sich als Siedlungskind nur schreiende Knieverbrennungen abholen, dass so etwas noch erlaubt ist? Musikalisch kann ich nur mit Laienunverständnis herangehen. Tatsächlich war es wohl egal, dass über einem gespielt wurde. Alle Töne liefen über je Musiker⋅in ein Mikro in ein Mischpult, das diese aufeinander abgestimmt in die unten aufgestellten Boxen übertrug. Das fand ich doch etwas schade. Natürlich ist jeder Ton je nach Entfernung unterschiedlich lang und je nach Windrichtung unterschiedlich wirr unterwegs, Gleichzeitigkeit würde ein Chaos verursachen. Ich hatte mir dennoch eher etwas wie ein Gipfelduett mit Ansprache, Hall, Horchen, Antwort vorgestellt. Gut gefallen haben mir die chinesischen Trommler⋅innen auf dem Sportplatz, die ebenfalls in ihre Mikros wummerten, aber deren Echos zusätzlich von den Platten zu einem herüberschwangen. Die wohl für das Berggefühl gewählten Alphörner versuchten ähnliches, einige unten auf dem Platz, andere oben auf den Häusern. Ich muss gestehen, dass ich zuvor noch keine Alphörner gehört hatte. Schon merkwürdig, klangen die nur in meinen Ohren wie Sirenen, so wie ich mir die Fabelwesengeräusche vorstelle, oder teils wie Unterwassertiere, wie diffuse Wahlklänge? Definitiv nicht so meins. Auch die sonst ausgewählten Stücke waren für meinen Geschmack etwas grotesk ausgewählt, ich würde sie als barocke Marschmusik bezeichnen, aber wie gesagt, ich habe keine Ahnung von Musik. Immerhin stimmte das Wetter.






Freiluftkino



Freiluft ist schon eine gute Corona-Maßnahme. Wie letztes Jahr fanden auch in diesem Openair-Kinoschauen statt, etwa das OpenAir Kino, veranstaltet vom Filmraum, im Stadtpark Eimsbüttel, 1.7.–4.9.2021, oder die Filmnächte, vom 3001, im Schanzenpark, 9.–25.7.2021.

Auf Alles ist eins. Außer der 0., der Doku über den CCC, hatte ich mich sehr gefreut. Ich weiß es nicht, vielleicht lag es an der langen Kulturpause, vielleicht waren meine Erwartungen dadurch übermäßig überhöht. Dachte ich doch, auch alle anderen hätten so lange nichts zeigen wie ich sehen können. Und weiß ich doch gleichzeitig, dass es immer nur gelegentliche Perlen zu entdecken gibt (auch wenn ich an objektive Kunstwertigkeit glaube, meinetwegen gerne mit subjektiven Tendenzen). Diesen Film empfand ich wie die Himmelsklänge über den Platten leider als eher enttäuschend. Klar, es gab den einen oder anderen Lacher, einige neue Informationen, der Film war auch ganz gut zusammengeschnitten mit altem Doku- und aktuellem Interviewmaterial, die Katze durchs Bild als Schrödingers, meinetwegen. Aber mir war er zu langatmig und mit Vanessa stimme ich überein, dass sich die Regisseure ruhig auf die Anfänge hätten beschränken können. Die Jahre nach 2000 wurden am Ende auf die Schnelle abgehakt, noch kurz dazugepresst und dadurch vielmehr marginalisiert. Ein zweiter Teil wäre auch in Ordnung gewesen, der Fokus auf Gründungslegende Wau Holland hätte nach seinem Tod 2001 gut enden können. Außerdem war es wahrlich gruselig zu sehen, wie wenig Frauen auftauchten. Ich erinnere mich nur noch an die fraglos großartige Constanze Kurz, aber das kann doch nicht alles sein.


Nostalgie: Blaues Wunder



Die Cremonbrücke, auch „das blaue Wunder“ genannt, über die Willy-Brandt-Straße, ganz in der Nähe des chinesischen Visa-Servicebüros, wurde inzwischen (Ende Oktober 2021) abgerissen. Im Endeffekt stand sie neuen Immobilien im Wege, die Barrierefreiheit mit ständig defekten, wartungsintensiven Außenrolltreppen musste als Argument herhalten. Ich mochte sie.




HafenCity


Joiri Minaya: Die Verhüllung. Intervention an der Kornhausbrücke beim Zollkanal gen HafenCity, 4.6.–30.9.2021.

Auf den Brückenpfeilern sind normalerweise die Statuen von Kolumbus und Vasco da Gama zu sehen. Für das Stadtentwicklungsprojekts „Imagine the City“ wurden im Sommer 2021 16 Künstler⋅innen eingeladen.


Jungfernstieg: U1



Noch frisch und neu blinkt es, von chinesischen Restaurants wissen wir, dass Spiegel an den Wänden besonders gerne schmale Räume optisch vergrößern. Das Design stammt von WRS, ich finde es für die Ecke Hamburgs passend. Ob das empfindliche Schwarz und Weiß die beste Wahl sind, mag im nächsten Jahr bewertet werden. Achja, und der Jungfernstieg wurde/ wird ja auch neugestaltet, attraktiver, autofrei, die Perspektiven gehen auseinander – mir gefällt es radelnd.



Ewig schon möchte ich nach Moskau, um mir dort die alten U-Bahnstationen anzusehen. Irgendwann einmal.


Prismatischer Blick: Alter Wall



Zu Olafur Eliasson habe ich ein sehr gespaltenes Verhältnis. Sein physikalischer Ansatz der Arbeiten etwa in seiner Ausstellung 2018 im Red Brick Art Museum 红砖美术馆 ist umwerfend. Dann wieder gibt es Lächerlichkeiten bis Monstrositäten von Pseudo-Gutmenschentum wie seine Show in der Fondation Beyerler, die Farbe in Wasser kippen, um – ist richtig – auf Verschmutzung aufmerksam machen zu wollen, oder wie seine Little Sun-Solarlampen, die Afrika mit Plastikschrott zumüllen. Naja, auf jeden Fall hat ihm der Alte Wall in Hamburg bestimmt einiges mehr in die Kassen gespült für seinen sogenannten „Gesellschaftsspiegel“. Die angedeutete Gesellschaftskritik im Titel kann man sich getrost schenken, da kann ich ihn tatsächlich nicht ernstnehmen. In die beiden Säulen, eine vorne am Rathausmarkt Nähe Bucerius Kunst Forum, eine hinten weiter die Straße hoch, kann man trotzdem einmal hochschauen.




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Dienstag, 15. Juni 2021
Buchempfehlungen: China, Gegenwartskunst
Weiterhin bin ich etwas zaghaft öffentlich unterwegs. Um aber endlich wieder einmal etwas zu posten, stelle ich hier den Teil meiner Lockdown-Lektüre vor, der sich mit Gegenwartskunst in China beschäftigt. Es handelt sich um deutsch- oder englischsprachige Werke und um Übersetzungen. Dazu streife ich den einen oder anderen Randbereich. Die Reihenfolge ist alphabetisch nach Autor:innen geordnet, unterteilt in zunächst die Sachbücher und unten zusätzlich ein paar Romane.

Diese Liste ist natürlich längst nicht als erschöpfend, sondern als (relativ oder immer noch) aktuelle Auswahl zu begreifen.


Sachbücher: Kunst in China



Cheek, Timothy (2015): The Intellectual in Modern Chinese History. Cambridge: Cambridge UP.

Dem Alphabet folgend, beginnt diese Liste mit einem der Randbereiche für die Gegenwartskunst in China, mit den chronologisch beschriebenen Diskursen der Intellektuellen von 1895 bis 2015, von der Niederlage im Sino-japanischen Krieg bis zum Aufschwung im Zuge der Olympischen Spiele 2008 und ihren Nachklängen. Cheeks Inhaltsverzeichnis ist sehr aussagekräftig, weshalb ich es hier wiedergebe. In Zwanzigjahresschritten sind stets ein Umbruch und ein Motto genannt, die sich auf die politische Situation beziehen. Cheek beginnt mit China in den 1910er Jahren: „Reform: making China fit the world“, die 1930er nennt er: „Revolution: awakening New China“, die 1950er: „Rejuvenation: organizing China“, die 1970er: „Revolutionary revival: overthrowing the lords of nation-building“, die 1990er: „Reviving reform: correcting revolutionary errors“ und endet mit den 2010er Jahren: „Rejuvenation: securing the Chinese Dream“. Die Darstellung folgt den wichtigsten Protagonisten, ihren Ideen und Begrifflichkeiten sowie ihren Ansätzen und Aktionen auf Grundlage der politischen Lage.

Für den Anschluss an diese Abhandlung möchte ich gerne auf Minzners unten empfohlenes Werk „End of an Era“ verweisen.




Cheng, François (2004 [1991]): Fülle und Leere. Die Sprache der chinesischen Malerei (Original: Vide et plein. Le langage pictural chinois). Berlin: Merve.

Chengs „Fülle und Leere“ ist hier, genauso wie Lis „Path of Beauty“ und Zhus „Philosophie der chinesischen Kunst“, als Ergänzung zum Verständnis der Gegenwartskunst aufgenommen.

Bei Cheng geht es um den bis heute wichtigen traditionellen Begriff der Leere im Verhältnis von Mensch und Universum als Theorie in der chinesischen Philosophie und als praktische Anwendung in der Malerei. Nach einer Einführung von der Tang- bis zur Qing-Dynastie werden das grundlegende Konzept der Leere und die grundlegenden Begriffe der traditionellen chinesischen Malerei vorgestellt. Mit anschaulichen Bildbeispielen werden die verschiedenen Pinselführungen genauso beschrieben wie Form und Volumen, Verhältnis und Proportion und die drei Perspektiven der Malerei. Es folgt eine Zusammenfassung der Fachbegriffe der verschiedenen Ebenen: „Pinsel-Tusche“, „Dunkel-Hell“, „Berg-Wasser“, „Mensch-Himmel“ und „Die fünfte Dimension“, also die Leerheit (S. 126–132). Das letzte Viertel des kleinformatigen, 180 Seiten umfassenden Buches ist beispielhaft der Malerei von Shi Tao 石涛 (ca. 1641– ca. 1707) aus Wuzhou, Guangxi gewidmet.




Gladston, Paul (2016): Deconstructing Contemporary Chinese Art: Selected Critical Writings and Conversations, 2007–2014. Berlin und Heidelberg: Springer.

Ganz witzig finde ich, dass diese Ausgabe das Format meines alten Diercke Weltatlas hat, leider fällt dieses Buch im Gegensatz zum Diercke schnell auseinander. Es handelt sich um eine Ausgabe der „Chinese Contemporary Art Series“, von 2015 bis heute, der China Academy of Fine Arts (CAFA) in Beijing, in der der Australier Paul Gladston die stellvertretende Chefredaktion innehat. Nach Gladstons „Contemporary Chinese Art: A Critical History“, London: Reaktion Books 2014, sowie etlichen anderen Büchern und Artikeln aus seiner Feder, handelt es sich hier um eine Zusammenstellung verschiedener seiner Schriften, Gespräche und Ausstellungsbeschreibungen zwischen 2007 und 2014 und basiert insbesondere auf seinem Aufenthalt in China 2005–2010. Dargestellt wird die chinesische und internationale Entwicklung der Gegenwartskunst in China. Dies geschieht etwa unter Aspekten der Modernität und Tradition, der kuratorischen Praxis und der internationalen Problematik der Deterritorialisierung von Identitätsausstellungen, der Avantgardekunst, der kulturellen Übersetzbarkeit und des intellektuellen Dünkels, des Kults um Ai Weiwei – sehr zu empfehlen.




Harris, Jonathan (2017): The Global Contemporary Art World. Hoboken, NJ: Wiley.

Der Brite Jonathan Harris müsste etwa Jahrgang 1960 sein, er versteht sich als Autor, Kritiker und Historiker mit dem Fokus auf moderne und Gegenwartskunst und war an verschiedenen Universitäten tätig, zuletzt leitete er die Birmingham School of Art der Birmingham City University. Seit über dreißig Jahren ist Harris schreibend und unterrichtend, wie er sagt: „weltweit“ unterwegs. Genaue Zeitangaben macht er nicht, aber da er von 2011–15 an der Winchester School of Art der University of Southampton tätig war, muss es in diesem Zeitraum gewesen sein, dass er deren Partnerprogramm mit der Dalian Polytechnic University begleitete und in dem Zuge in China war (vgl. S. 130–32).

Sein „Global Contemporary Art World“ versteht Harris als dritten Teil „in my trilogy exploring the character, history and meaning of art made in the 20th and 21st centuries“ (S. 5), nach „Globalization and Contemporary Art“ von 2011 und „The Utopian Globalists: Artists of Worldwide Revolution, 1919–2009“ von 2013 (vgl. S. 5–7). Ähnlich ambitioniert, wie das Gesamtunterfangen klingt, ist auch diese Abhandlung. Nach einer Einleitung bespricht er in sechs Kapiteln die fünf Kunstwelten von Hongkong, Südkorea, Indien, China und Palästina. Es folgt ein Fazit als Abschlusskapitel. In dem Kapitel über China (S. 127–154) geht er auf das Bildungssystem und den, wie er es nennt, „Contemporary Chinese Art Marketed for Global Consumption“ ein. Stets ist er bemüht, die Hintergründe aufzuzeigen. Seine Vermittlung springt von einem zum anderen Großbereich und bleibt recht oberflächlich. Nicht ganz sicher bin ich mir, ob er die Verwendung chinesischer Namen einfach missversteht oder tatsächlich Ai Weiwei durch die Benennung von „Weiwei“ als seinen Buddy ansieht. Beides würde ich ihm nach der Lektüre zutrauen. Das Kapitel über Hongkong (S. 35–64) beschäftigt sich insbesondere mit dem Kunstmarkt und geht im Zuge des M+ Museums auch auf Privatmuseen vor allem in Shanghai ein (S. 48–50). Dieses Buch kann nur unter Vorbehalt empfohlen werden, ist aber als subjektive Einschätzung des Autors durchaus interessant. Sympathisch bleibt, dass Harris Utopien nachzujagen scheint.




Koch, Franziska (2016): Die „chinesische Avantgarde“ und das Dispositiv der Ausstellung. Konstruktionen chinesischer Gegenwartskunst im Spannungsfeld der Globalisierung. Bielefeld: transcript.

Dieses Buch umfasst 742 Seiten, es ist größer als die Standardgröße bei Transcript und recht eng bedruckt. Es handelt sich um die kunsthistorische Dissertation von Franziska Koch, die sie 2012 im Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg abgegeben hat. Es gab eine Druckkostenförderung, aber ich bin immer wieder begeistert, was für Nischenprodukte beim Transcript Verlag zu finden sind. Die ebenfalls dort publizierte Dissertation von Meng Schmidt-Yin (2019): „Private Museen für Gegenwartskunst in China: Museumsentwicklung in der chinesischen Kultur- und Gesellschaftstransformation“ kann man sich leider getrost schenken. Doch Kochs „Dispositiv der Ausstellung“ ist eine echte Perle.

Es handelt sich um eine Untersuchung von zwanzig Großausstellung zur chinesischen Gegenwartskunst von 1982 bis 2014, die außerhalb von China im Westen stattgefunden haben. Sie stellt die jeweiligen, wie sie sie nennt, Agenten vor, ihre Institutionen und Diskurse und setzt die Ausstellungen ins Verhältnis zur innerchinesischen Entwicklung. Sie macht kleine Fehler und ihr unterlaufen marginale Ungenauigkeiten, die man bemerkt, wenn man eine Sache selbst recherchiert hat. Aber im Großen und Ganzen ist dies ein fulminant gelungenes Nachschlagewerk relevanter Ausstellungen und ihrer, wie ich sie nenne, Akteure.




Kraus, Richard Curt (2004): The Party and the Arty in China: The New Politics of Culture. Lanham, Maryland: Rowman & Littlefield.

Seit Erscheinen dieses Bandes 2004 hat sich natürlich einiges verändert. Dieses Buch bleibt dennoch relevant für die direkte Verbindung von Kunst und Politik und für das Verhältnis zwischen Künstler:innen und der Politik. Richard Kraus ist inzwischen emeritierter Professor der Politikwissenschaften für Asienstudien der University of Oregon. Sein Fokus waren die vergleichenden Politikwissenschaften, chinesische Politik und Kulturpolitik.

Kraus beschreibt die Kulturpolitik in China in ihrem Wandel von der Zeit unter Mao als Staatskunst über die Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping hin zur Marktwirtschaft. Der Boom des Kunstmarktes hatte 2005/06 seinen ersten Höhepunkt, der mit der Weltwirtschaftskrise 2008 nicht wirklich einbrach – zwar zogen sich die Sammler aus dem Westen zurück, aber dafür betraten die chinesischen Sammler das Feld, alsbald danach auch das internationale. 2004 war Kraus diesem Phänomen bereits auf der Spur, es muss in der Luft gelegen haben, die Nullerjahre, so auch Karen Smith in „Art Unlimited?“ (s. unten Schultheis et al., S. 81), „the first decade of the 21st century was all about economics“. Kraus geht von drei Thesen aus: erstens der intellektuellen Liberalisierung durch Kommerzialisierung, die gleichzeitig Künstler:innen vor wachsende Herausforderungen stellte; zweitens dem Wandel zu einem gemischten System privater und öffentlicher Förderung – auf öffentlicher Ebene steht leider immer noch einiges aus –, wobei sein Punkt eher ist, dass Wirtschaftsreformen ernsthafte politische Reformen bedeuteten; und – mittlerweile relativiert – die westliche Anerkennung der Reformen in China, die – wobei, weiterhin vorhanden – in der Westperspektive durch eine Kombination aus „ignorance, ideological barriers, and foreign policy rivalry“ (S. vii) verschleiert betrachtet werde. Außerdem geht er Fragen der Ideologie, Propaganda und vor allem der Zensur nach. Sein ganzes Kapitel zur Nacktheit mutet etwas überholt an, ist als Hintergrund aber sinnvoll. Es bleibt ein Werk, das gut gealtert ist und in dem man weiterhin einiges nachschlagen kann.




Leduc, Marie (2018): Dissidence: The Rise of Chinese Contemporary Art in the West. Cambridge, Mass.: MIT.

„Dissidence“, Opposition und Widerspruch klingen als Übersetzung eher harmlos, Dissens von Dissident:innen, es handelt sich um einen Begriff, mit dem man in Bezug auf restriktive Systeme stets Aufmerksamkeit erwecken möchte und der deshalb diesem Beigeschmack nicht entrinnen kann. Noch schlimmer ist Dissidentenkunst, aber über Ai Weiwei sind wir ja auch hierzulande nach seinem Berlinaufenthalt glücklicherweise hinweg. Nicht, dass ich gegen Konfrontation wäre, beileibe nicht. Sie findet in China nur anders statt, auch, aber nicht immer so direkt-plakativ, dass man sie im Westen sofort versteht, traditionell sowieso eher zwischen den Zeilen. Marie Leduc spricht dieses Thema nicht so platt abwertend wie ich an, aber auch ihr geht es um die Sehnsucht des Westens nach politischer Provokation, die nach dem Tian‘anmen Massaker 1989 begann und sich daraufhin verstärkte. Dafür steht der Verweis des Emblems auf dem Cover, das von der „China/Avant-Garde“-Ausstellung 1989 in Beijing stammt, im Februar, als man sich noch frei wähnte und die Avantgarde war. Ab Juni 1989 wurde der Westen aufmerksam, in China selbst zog man sich vermehrt zurück. Zunächst fragt Leduc nach dem Wert des Dissens in der Kunst und stellt Künstler:innen vor, die als Dissident:innen bekannt wurden. Sie untersucht die Ausstellung „Magiciens de la Terre“ von 1989 im Centre Pompidou, einer frühen Ausstellung gegen die eurozentrische Perspektive mit Arbeiten von hundert zeitgenössischen Künstler:innen aus aller Welt – nagut, immer noch eher Künstlern, aus China waren Huang Yongping, Gu Dexin und Yang Jiechang dabei. Mit dem Vermächtnis auch dieser drei als der Avantgarde hinterfragt sie weitere Themen wie Kunst und Revolution (als Dissens), freie Meinungsäußerung und Gegenwartskunst im Zuge der Globalisierung. Ich bin des Themas ein wenig müde, es bleibt leider weiterhin notwendig, dafür gibt es zu wenige – jetzt möchte ich Direktheit – Primärstimmen aus China.




Li Zehou 李泽厚 (1994 [1981]): The Path of Beauty: A Study of Chinese Aesthetics (Original: 美的历程). Übersetzung: Gong Lizeng. Hongkong und New York: Oxford UP.
Li Zehou (1992): Der Weg des Schönen: Wesen und Geschichte der chinesischen Kultur und Ästhetik. Übersetzung: Karl-Heinz Pohl und Gudrun Wacker. Freiburg im Breisgau u. a.: Herder.

Es gibt wirklich hässliche Coverdesigns. Li Zehou trifft keine Schuld, alle chinesischen Versionen sind um Meilen angenehmer, so auch die deutsche Ausgabe von 1992 und das englische Hardcover von 1989. Nur noch antiquarisch und einigermaßen erschwinglich blieb mir dieses ehemalige Bibliotheksexemplar. Kann das irgendjemand ernst meinen, selbst Mitte der 1990er Jahre, selbst als akademische Publikation, vor allem aber bei einem Buch über Ästhetik? Wenigstens existiert kein Hinweis auf das Grafikbüro. Es handelt sich um ein Standardwerk, das nicht wegen des Covers, sondern seines Inhalts gekauft werden sollte. Man muss sich nur überwinden, es aufzuklappen, dann verschwindet die hellbraune Verstörung von selbst.

Wie oben Chengs „Fülle und Leere“ und unten Zhus „Philosophie“ habe ich Lis „Path“ als Hintergrund hier aufgenommen, der dabei hilft, durch die Tradition die Gegenwart einzuordnen. Es existieren etliche wunderbare Abhandlungen zur traditionellen chinesischen Malerei, allgemeine Sammelbände über Kunst in China, häufig in gewaltigen Schritten durch die einzelnen Kaiserreiche schreitend. Diese drei exemplarischen Werke ermöglichen einen Einblick in die Gedankenwelt des alten China und dessen künstlerische Herangehensweisen, die chinesischen Künstler:innen auch heute noch präsent sind.

Chronologisch aufgebaut, beginnt diese Abhandlung mit dem mythologischen Zeitalter der „Drachen und Phönixe“, der Bronzezeit und Prä-Qin bis zur Einigung des Landes unter dem ersten Kaiser. Stets kunsthistorisch, also mit historischen Hintergründen und sozialen Veränderungen, begibt Li sich dann in die Zeit, die er die „Romantik der Chu und Han“ nennt. Durch die Epochen wandernd, sortiert er unterschiedliche Stilrichtungen, bespricht buddhistische Einflüsse, die Hochphase der Tang, die Vorstellung von Rhythmus und wie damit umgegangen, darüber hinausgegangen wird, wie es zur wichtigen Phase der Landschaftsmalerei der Song kam. Kunst und Literatur als Künste zusammen betrachtend, schließt Li mit den Haupttrends in der Ming- und Qing-Dynastie, er endet mit dem Ende des Kaiserreiches mit den Einflüssen der Umgangssprache und reflektiert über die Kunst als Handwerk. Die nur gut 230 Seiten liefern eine empfehlenswerte Grundlage zum Verständnis von Kontext und Entwicklung der Künste.




McIntyre, Sophie (2018): Imagining Taiwan. The Role of Art in Taiwan‘s Quest for Identity (1987–2010). Leiden und Boston: Brill.

Selbst war ich noch nie auf Taiwan und habe keine Ahnung von dem Land. Eine Übersetzung für das Palastmuseum in Taipei war bislang mein einziger direkter Kontakt mit der abtrünnigen Insel aus meiner Festlandsperspektive. Letztens meinte eine Freundin, sie würde gerne hin, wenn das Reisen denn wieder möglich wird, solange Taiwan, so ergänzte sie quasi prä-nostalgisch, noch Taiwan sei. Die Australierin Sophie McIntyre kennt Taiwan. Sie ist Kuratorin und Dozentin an der Queensland University of Technology. „Imagining Taiwan“ basiert auf ihrer Dissertation, die sie, eine Jahresangabe ist nicht zu finden, an der Australian National University eingereicht hat. Die vorliegende Abhandlung habe sich über zwanzig Jahren hinweg entwickelt. Es geht um die Kunst taiwanesischer Künstler:innen, um Museumspolitik, Identität und Anerkennung, anhand von Fallstudien um die Dekonstruktion, die Erzählbarkeit, um die Identitätsbildung und Entmythologisierung des Begriffs und Verständnisses von Nation. Weiter geht es um den Aufstieg Chinas und die Notwendigkeit der Neuorientierung Taiwans, hier werden etwa die Biennalen in Taipei und Venedig gegenübergestellt. Das Buch hat beinahe das Format eines Ausstellungskataloges, es ist reich bebildert und man merkt ihm die Kuratorin an.




Minzner, Carl (2018): End of an Era: How China‘s Authoritarian Revival is Undermining Its Rise. New York: Oxford UP.

Auch dieses Werk bietet einen Hintergrund, in diesem Fall einen politisch-gesellschaftlichen. Mit dem titelgebenden Ende einer Ära ist die unter Deng Xiaoping begonnene Reformära gemeint, und da jedem Ende ein Anfang innewohnt, bezieht sich dieser gleichzeitig auf den Beginn der Neuen Ära von Xi Jinping. Der amerikanische Juraprofessor Carl Minzner ist auf chinesisches Recht und Governance in China spezialisiert und charakterisiert hier die Kernfaktoren im Wandel von Ende und Anfang. Diese beinhalten politische Stabilität, ideologische Öffnung und rasantes Wirtschaftswachstum. An der Oberfläche erscheine es, dass Chinas Führung sich einer tiefgreifenden Reform seit den 1990ern verweigert habe. Während um das Land und weltweit Aufruhr herrsche, erscheine China als stabil und in stetigem Aufschwung. Doch seit den letzten dreißig Jahren habe ein erstarrtes politisches System die fest verwurzelten Interessen innerhalb der KPCh und die systematisch unterentwickelten Regierungsinstitutionen angetrieben. Wirtschaftliche Spaltungen haben sich genauso vermehrt wie soziale Unruhen und ideologische Polarisierung. Der Umgang damit sei ein progressives Ausschlachten institutioneller Normen und Praktiken von Seiten der Führungsebene. Die technokratische Führung weiche dem, was Minzner Blackbox-Säuberungen nennt, und das kollektive Regieren falle zurück auf eine Ein-Personen-Herrschaft. Die Reformära der Öffnungen sei beendet, China mache dicht. Minzner betrachtet dies unter den Aspekten Gesellschaft und Wirtschaft, Politik, Religion und Ideologie sowie in vergleichender Perspektive insbesondere zu Taiwan und Südkorea. China stehe an einem gefährlichen Wendepunkt. Am Ende seines Buches spielt Minzner mögliche Zukunftsszenarien durch, den Untergang des liberalen Traums, die Weiterführung autoritärer Führung, die Verstärkung des Nationalpopulismus, eine Wiederbelebung des dynastischen Zirkels, einen Zusammenbruch des Regimes und verschiedene Möglichkeiten weltweiten Umgangs damit.




Phillips, Christopher und Wu Hung (Hgg.) (2018): Life and Dreams: Contemporary Chinese Photography and Media Art. New York und Göttingen: The Walther Collection und Steidl.

Vor mir liegt ein sehr schöner, dicker Bildband mit einer Zusammenstellung von knapp fünfzig Fotograf:innen. Es handelt sich insbesondere um bekannte Namen wie Cang Xin, Cao Fei, Hong Hao, Rong Rong, Song Dong, Sun Xun, Wang Gongxin, Yang Fudong, Zhang Dali, Zhang Peili, Zhou Tiehai, Zhuang Hui und vielen mehr. Jede/r Fotograf:in erhält meist drei, mal eins, mal fünf Bilder Platz, die Titel finden sich gesondert am Ende, wodurch keine Ablenkung von den Bildern entsteht. Wie es sich gehört, finden sich ebenfalls am Ende die Biografien der vorgestellten Künstler:innen. Ergänzt wird dieser Band mit einer Reihe von Essays, etwa von Wu Hung mit seinem Ruinenansatz, Rong Rong zur Avantgarde-Fotografie, Karen Smith über Aufklärung durch die Linse, Lu Yang zu neuen Medien und anderen. Es sind keine neuen Positionen zu erwarten, aber ein guter Überblick des Bekannten.




Pollack, Barbara (2018): Brand New Art from China: A Generation on the Rise. London und New York: I.B. Tauris.

Barbara Pollack, Journalistin (New York Times, ARTnews), Kunstkritikerin und Kuratorin (in China etwa im Yuz Museum und im Long Museum), schreibt neben anderen Themen seit gut fünfzehn Jahren über die Kunstszene in China. So verfasst sie seit Mitte der 2000er Artikel über Ai Weiwei – weshalb vermutlich ein Zitat von ihm ihr „Brand New Art“-Cover ziert. Davon sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen. Mit teils etwas rudimentären, aber anschaulichen Einschätzungen zur kulturellen, politischen und gelegentlich historischen Lage, vor allem aber mit vielen Beispielen von Künstler:innen ab der 1980-Generation basiert Pollacks Buch auf Gesprächen mit den Akteur:innen der Szene. Die thematische Unterteilung ist grob chronologisch und beschäftigt sich etwa mit Chineseness, Abstraktion, Post-Truth und Post-Internet Kunst und endet in New York. Ai kommt auch vor, der Fokus richtet sich aber auf die Generation von Cao Fei und jünger. Pollacks Darstellung bietet eine kurzweilige Momentaufnahme insbesondere der Metropolkunst in China der 2010er Jahre.




Schultheis, Franz, Erwin Single, Raphaela Köfeler und Thomas Mazzurana (2016): Art Unlimited? Dynamics and Paradoxes of a Globalizing Art World. Bielefeld: transcript.

Man ist doch immer wieder überrascht, wie viele Leute ohne jegliches Vorwissen in ein fremdes Land gehen, sich dort ein paar Monate oder ein Jahr aufhalten und dann ein Buch darüber schreiben. Häufig erschauern einen die getroffenen Aussagen, genauso häufig ist man erstaunt, wie viele der relevanten Kontakte ausfindig gemacht wurden. Vermutlich ist die Szene wirklich so klein, die leichte oder schwierige Zugänglichkeit mag eine Charakterfrage sein – oder berufsbedingt.

Die Autoren dieses Bandes sind alle Soziologen, die sich offensichtlich erstmals mit China beschäftigen. Es handelt sich um eine Sammlung von Interviews mit Kurator:innen, Galerist:innen, Sammler:innen und ähnlichen Akteuren, die 2013/14 im Zuge eines Studienprojektes der Universität St. Gallen geführt wurden. Es ist ganz lustig, wie immer wieder ähnliche Fragen gestellt werden. Offensichtlich sind die Autor:innen die gesamte Zeit dabei, das Phänomen zu verkraften, dass chinesische Sammler:innen, zumindest wenn sie gerade mit dem Sammeln beginnen, sich zunächst über die Auktionshäuser – und nicht wie im Westen primär über Galerien – dem Markt nähern. Auch sonst drehen sich viele Fragen um das Marktverständnis. Die Autor:innen scheinen ihren Hauptzugang über die Art Basel in Hongkong erhalten zu haben und von dort losgezogen zu sein. Lesenswert sind besonders die Interviews mit Karen Smith (damals Beijing, heute Xi‘an, vermutlich bald Shanghai), Robin Peckham (damals Hongkong), Colin Chinnery (Beijing) und Tobias Berger (damals Hongkong). Vor allem Meg Maggio (Beijing) und Gu Ling (damals Shanghai) setzen einiges an Westlerperspektive der Autor:innen zurecht, was sich ganz amüsant liest.

Um die bei Kraus oben bereits zitierte Stelle von Karen Smith aufzugreifen, hier ihre sehr schön prägnante Einordnung der jeweiligen Dekaden (S. 81): „The 80s was pervaded by a kind of freedom; the 1990s was very political. Suddenly, the first decade of the 21st century was all about economics. This second decade feels rather flat. Perhaps it is needed as a period to reflect and put everything in perspective. Out of that, some new, stronger contemporary cultural identity will emerge for the 2020s, which will be tied to what will happen in China as China‘s position in geopolitics becomes ever more clearly defined.“




Wang, Peggy (2020): The Future History of Contemporary Chinese Art. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Der Ansatz von Peggy Wang ist ganz interessant. Hier geht es um die international renommierten Künstler:innen der 1950er/1960er-Generation Zhang Xiaogang, Wang Guangyi, Sui Jianguo, Zhang Peili und Lin Tianmiao. Auch hier geht es (wie oben bei Leduc) zunächst, da auf Englisch und entsprechend hauptsächlich für ein westliches Publikum geschrieben, nicht um, sondern gegen die westliche Suche nach Sozial- und Politikkritik bei Dissidenten. Diese ist in den besprochenen Kunstwerken auch vorhanden, aber natürlich steckt viel mehr dahinter. Als „Zukunftsgeschichte“ bezeichnet Wang ihre Neuinterpretationen in Form, Bedeutung und Möglichkeiten der Werke für sich und in Bezug auf die Kunstgeschichte in China und global. Sie legt die häufigen Fehllesungen dar, auch der Künstler:innen selbst, etwa in Bezug auf den Westen. Außerdem geht es gelegentlich um die Einflüsse, die diese fünf Künstler:innen auf andere genommen haben.




Welland, Sasha Su-Ling (2018): Experimental Beijing: Gender and Globalization in Chinese Contemporary Art. Durham und London: Duke UP.

Als ethnografische Feldarbeit beschreibt Sasha Welland ihre Untersuchung, die sie unter der Prämisse der Kommerzialisierung besonders von experimenteller Kunst vorgenommen und seit und auf die Olympischen Spiele 2008 zugehend wahrgenommen hat. Entsprechend lässt sie Stimmen von Künstler:innen, Kurator:innen, von offizieller Seite und von Stadtplaner:innen zu Wort kommen. Diese tarieren die soziale Rolle von Kunst aus und beschäftigen sich mit dem Aufbau neuer Kulturinstitutionen. Welland vertritt die These, dass Genderthemen ein verändertes Bewusstsein der Kunstgeschichte in China herbeiführen würden, die Globalisierung scheint als Dialog gemeint. Klar, für China nicht aber doch recht gewagt? Da mir genderspezifische Themen in China bislang nur eher am Rande untergekommen waren, lese ich natürlich gerne mehr davon. Vor allem ihre Einordnung von Begriffen und besonderen Pop-up-Phänomenen finde ich ganz interessant.

Zu dieser Druckversion hat Welland ein kleines digitales Kompendium geschaffen.




Wu, Weiping und Piper Rae Gaubatz (2013): The Chinese City. London und New York: Routledge.

Hier geht es nicht um Kunst, sondern um Stadtentwicklung in China – einem äußerst wichtigen, da lebensessentiellen Thema der chinesischen Gegenwart und damit in der Gegenwartskunst und deshalb eine passende Ergänzung in dieser Liste. Obwohl diese Abhandlung bereits ein wenig älter ist und etwa die Abrisswucht unter Xi Jinping insbesondere von 2017 in Beijing noch nicht miterleben musste (s. als Beispiele aus Beijing hier, hier oder hier), bietet sie reichlich Material zum strukturellen Verständnis chinesischer Städteplanung. Wu und Gaubatz liefern fundierte Hintergründe, nicht nur, aber auch an historischem Kontext und geografischer Kulisse. Mit zahlreichen Statistiken, meist von 1949 bis 2009, beleuchten sie das Urbanisierungsphänomen, die Entwicklung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation, der Infrastruktur sowie der Land- und Hausreformen und -bedingungen. Sie hinterfragen den urbanen Lebensstandard unter zivilgesellschaftlichen Gesichtspunkten und die urbane Governance. Ich habe bereits die eher architektonische Sicht von Dieter Hassenpflug (2009): „Der urbane Code Chinas“, Basel und Berlin: Birkhäuser, mit Gewinn gelesen, es gibt auf diesem Gebiet natürlich zahlreiche Essays und für mich handelt es sich eher um ein Hobbythema, dennoch finde ich, dass Wu und Gaubatz hier ein bemerkenswertes Fundament bieten.




Xu Yong 徐勇 (2015): Negatives. Dortmund: Kettler.

Gerade jährte sich das Tian‘anmen Massaker am 4.6.2021 zum 32. Mal. Zum ersten Mal gab es dieses Jahr kein offenkundig öffentliches Mahnmal in Hongkong. Der Fotograf Xu Yong hatte 1989 etliche Filmrollen auf dem Platz des Himmlischen Friedens belichtet. Er ließ sie über zwanzig Jahre in den Tiefen seiner Schubladen ruhen. Auch für diese Publikation im Ausland von 2015 wählte er nicht den direkten Weg der Positiventwicklung, das Thema war und ist einfach noch viel zu heikel. Mit einer einfachen Einstellung lassen sich die Bilder auf dem Handy im Positiv betrachten, tatsächlich changieren aber die negative Fotoästhetik und der dadurch gewonnene Abstand auf ihrer ganz eigenen Skala von Schönheit und Grauen.




Zhu Zhirong 朱志荣 (2020 [2012, 1997]): Philosophie der chinesischen Kunst (Original: 中国艺术哲学). Übersetzung: Eva Lüdi Kong. Berlin: LIT.

Wie oben bereits geschrieben, habe ich diese Abhandlung genauso wie Chengs „Fülle und Leere“ und Lis „Path of Beauty“ mit aufgenommen, weil sich Gegenwarten durch Blicke auf Vergangenheiten und ihre Traditionen erhellen.

Man könnte sagen, dass es sich um die Neuauflage von Lis „Path of Beauty“ handelt. Hier erfolgt allerdings anstelle der chronologischen eine thematische Unterteilung. Diese ist sehr detailliert, was den großen Reiz des Buches ausmacht. Allein durch das ausschweifende Inhaltsverzeichnis erhält man einen guten Einblick in das Themenfeld der chinesischen Ästhetik und Gedankenwelt.

Die Einordnungen „zur energetischen Wirkung und geistigen Ausstrahlung“ seien von daoistischen und konfuzianischen Weltanschauungen durchdrungen, weshalb diese Abhandlung mit „Philosophie der chinesischen Kunst“ betitelt sei (S. i). Die Kunsttheorie des alten China wird mit ihren eigenen Kategorien dargestellt. Die fünf Kapitel („Das künstlerische Selbst“, „Kunst an sich“, „Besondere Eigenschaften“, „Geistiger Ausdruck“ und „Entwicklungsgeschichte“) sind in angenehme kleine Häppchen unterteilt. Nach der Herangehensweise, den schöpferischen Quellen, dem Umgang mit Ruhe, Erkennen und Vitalität, werden Bedeutung, Form, Struktur, Rhythmus, Bildgestalt, Resonanz und vieles mehr behandelt. Zhu geht auf das Verständnis von Zeit und Raum, Innen- und Außenwelt, Subjekt und Objekt ein, und es folgen immer wieder Abschnitte zu den grundlegenden Eigenschaften. Die zahlreichen Zitate der Dichter und Denker werden stets in Kontext gesetzt und bilden mit der poetischen Denkweise der Dichtkunst die Basis zu den Erklärungen und Einordnungen. Die Begriffe, Personen und Werke sind durchweg auch auf Chinesisch wiedergegeben, Eva Lüdi Kong lebe hoch. Leider muss dieses Buch ganz ohne Abbildungen auskommen.


Romane aus und über China

Ich behaupte immer, nie Krimis zu lesen, und auch Scifis machen bei mir normalerweise keine 4/5-Romanration aus. Hier gibt es von mir einen Krimi und vier Sciencefiction-Romane, alle fünf taugen genauso wunderbar als Lockdown- wie als sommerliche Urlaubslektüre.




Dath, Dietmar (2019): Neptunation. Frankfurt a. M.: Fischer Tor.

In diesem Scifi bricht ein deutsch-chinesisches Rettungsteam dreißig Jahre nach Ende des Kalten Krieges auf, um dem Signal einer damals von der Sowjetunion und der DDR entsendeten Mission nachzugehen.

Neben der marxistischen Grundeinstellung hat mich besonders gefreut, dass der Beijinger Künstler Wang Guangle hier einen kurzen Auftritt hat, S. 290f. Es geht bei der „schwebende[n], konvex elliptische[n] Form aus weißer Farbe“ um Wangs Arbeit, die er 2011 in der Beijing Commune im 798 ausgestellt hat (s. hier). Einerseits soll die Arbeit nicht interpretiert werden, „also bitte keine Kunstvorträge jetzt von Cordula, dass das irgendwie das Unbewusste der Macht oder die Dialektik der Arbeitsteilung oder so was darstellt“, andererseits erinnere diese Arbeit „uns nicht an das, was wir sind, sondern lässt uns vergessen, wo wir sind: im Weltraum, wo es nicht nur keine Kunst gibt, sondern nicht mal was zu essen“. Den einen oder anderen Dath kann man sich unbedingt gelegentlich gönnen.

Passenderweise lief kürzlich ebenda wieder eine Soloshow von Wang: „Wang Guangle 王光乐: Waves 波浪“, in: Beijing Commune 北京公社, 15.4.–28.5.2021.




French, Paul (2012 [2011]): Midnight in Peking. The Murder That Haunted the Last Days of Old China. London: Penguin.

Der Brite Paul French lebte um 2010 zehn Jahre in Shanghai, spricht Chinesisch (das muss leider immer noch gesagt werden) und schreibt als Journalist und Schriftsteller über Gesellschaft und Geschichte in China, mit Fokus auf das Ende des Kaiserreichs und die Republikzeit. „Midnight in Peking“ ist eine Dokufiktion über den unaufgeklärten Mord an der jungen Britin Pamela Werner im Jahr 1937 im Gesandschaftsviertel von Beijing. Es geht um das Leben der damaligen Expats, um Gesandte, Händler und andere Lebenskünstler, in Konfrontation mit der chinesischen Polizei zu Beginn der japanischen Invasion vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Mit, so Frenchs Erzähler, bislang unbekannten Dokumenten wird der Mord gar aufgedeckt ? Wie auch in seinen anderen Büchern, scheint French den Duktus der damaligen Zeit glaubwürdig zu beherrschen. Es ist ein Genuss, ihm durch die Hutongs und die Stadtmauern entlang zu folgen.

Berichten zufolge (Forbes 2012, 澎湃 2019) wird gelegentlich über eine Verfilmung von „Midnight in Peking“ spekuliert – ich würde mich sehr darüber freuen.




Lao She 老舍 (1985 [1933]): Die Stadt der Katzen (Original: 猫城记). Übersetzung: Volker Klöpsch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Wer noch nichts von Lao She gelesen hat, dem sei besonders dieser Scifi empfohlen – oder auch Gesellschaftsroman, darüber streiten sich die Geister. Zumindest spielt er auf einem fernen Planeten mit Katzen als Bewohnern. Das Gesellschaftsbild ist so wunderbar auf Lao Shes Zeit übertragbar wie auf die heutige, aber das soll bei Scifis ja gelegentlich auch der Fall sein.




Liu, Cixin 刘慈欣 (2017 [2006]): Die drei Sonnen (Original: 三体). Übersetzung: Martina Hasse. München: Heyne.
Teil 1 der Trilogie.
Teil 2: Der dunkle Wald (2018 [Original: 黑暗森林, 2008]), Übersetzung: Karin Betz.
Teil 3: Jenseits der Zeit (2019 [Original: 死神永生, 2010]), Übersetzung: Karin Betz.

Liu Cixins Trilogie braucht kaum noch eine Vorstellung, so allgemein bekannt ist dieser Scifi. Der dritte Teil erschien mit einer leider immer holpriger werdenden Übersetzung auf Deutsch bereits vor Corona, ich habe ihn damals natürlich sofort gelesen. Der erste Teil bleibt der stärkste und, wenn man Cliffhängern widerstehen kann, besonders lesenswert. Andererseits sollte dazu unbedingt der zweite Teil gelesen werden, denn wer möchte schon die Theorie des dunklen Waldes in seinem Leben missen? Wer auf sich aufmerksam macht, wird angegriffen, bevor er/sie angreifen kann – gibt es in Lius Version natürlich um Seiten länger und Bildlängen grandioser.

Als Einschätzung aus sehr deutscher Perspektive sei die Podcastfolge von Kapitel Eins: Die drei Sonnen von 2018 empfohlen.




Robinson, Kim Stanley (2019 [2018]): Roter Mond (Original: Red Moon). München: Heyne.

Leider sollten Scifis (zumindest die von Heyne publizierten?) wohl im Original gelesen werden, kein Wunder, dass das Genre nicht als Hochliteratur bekannt ist. Aber wenn man sich durch den gruseligen Anfang gebissen hat, weil man wieder zu faul war, sich technischen Erklärungen auf Englisch, geschweige denn auf Chinesisch zu stellen, dann hat man sich an die Schreibe gewöhnt und kann über Hunderte von Seiten in fremde Welten abtauchen.

2048 hat China hier die Vorherrschaft in der Kolonisierung des Mondes übernommen, weshalb er der Rote Mond genannt wird. Vielleicht haben Xi Jinpings Taikonauten Robinson gelesen, bevor sie Anfang 2019 auf der Schattenseite unseres Trabanten landeten – dieser Plan war wahrscheinlich bereits vorher gereift, aber auch verkündet? Und was haben sie dort wirklich angestellt? Bei Robinson befindet sich auf der Schattenseite des Mondes etwa ein unterirdisches, einem traditionellen chinesischen Landschaftsgemälde nachempfundenes Gelände. Die Chinesen wissen hier einfach nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Ein Mord auf dem Mond verbindet einen alten chinesischen Dichter, der inzwischen nur noch Videoblogs publiziert, eine chinesische Kadertochter und einen amerikanischen Techy miteinander. Natürlich geht es auch hier letztendlich um die Rettung der Welt.

„Inzwischen waren die Generationen, die bis zur ersten um Mao zurückreichten und zu der Zhou Enlai, Deng Xiaoping und die anderen Acht Unsterblichen gehört hatten, eher eine nominelle Angelegenheit. Die Folgegenerationen wurden lediglich anhand der jeweiligen Generalsekretäre, der Parteikongresse und des gesetzlichen Rücktrittsalters durchnummeriert. Unterm Strich kam dabei heraus, dass heutzutage alle zehn bis zwanzig Jahre eine neue Führungsgeneration antrat. Im Prinzip handelte es sich um einen ziemlich konstruierten Begriff, aber trotzdem wurde er oft verwendet und kombinierte die chinesische Vorliebe für nummerierte Listen mit einem allgemeineren menschlichen Bedürfnis nach einer Periodisierung der Geschichte, in dem hoffnungslosen Versuch, den menschlichen Geschicken einen Sinn abzuringen, indem man eine Art Feng Shui mit der Zeit betrieb.“ (S. 182f.)

Im Prinzip erwarte ich eher, dass Xi bis 2048 durchregiert, dann wäre er 95 Jahre alt, das halte ich nicht für abwegig. Und ist eine generative Nummerierung spezifisch chinesisch? Andrew Batson ist in „How plausible is the China in Kim Stanley Robinson‘s *Red Moon*?“, 2.3.2019, nicht überzeugt von Robinsons China-Vision, die er mehr als heutige Version mit etlichen Fehlern liest. Ich mochte das Buch trotzdem und fand es gerade wegen der Zustandsbeschreibungen von China aus amerikanischer Sicht interessant.

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Aktuell werde ich gut unterhalten von Dana Spiottas (2008 [2006]): „Eat the Document“, Köln: KiWi; ohne China-Bezug.


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Donnerstag, 4. Juni 2020
Hamburg: Kunst im Frühjahr 2020
Zurück zur Kunst. Gerade noch kurz vor Corona liefen drei beachtenswerte Ausstellungen in Hamburg an, sie laufen bis in den Sommer.

Jetzt! Junge Malerei in Deutschland, Deichtorhallen, 14.2.–6.9.2020 (verlängert).


Mona Ardeleanu: Kuro 2018/IV. 2018.


David Lehmann: Waste Land. 2014–15.

Merkwürdigerweise nicht im Katalog gelandet ist Stefanie Heinze, weshalb es von mir alle drei ihrer ausgestellten Bilder gibt:


Stefanie Heinze: a 2 sie. 2018–19.


Ebd.: Caress. 2019.


Ebd.: Silver Lining (Steady Downpour Infusions). 2019.

Einer der Kuratoren muss ein Faible für Morbides und Dystopien haben, die meisten waren mir etwas arg schreiend, dieses Bild fand ich ganz witzig:


Laura Link: Badass Nails. 2018.


Stefan Vogel: Ach- sowieso-- genau--. Detail. 2015.


Moritz Neuhoff: brushstrokes (gray on white). 2019


Simon Modersohn: Heckenschütze. 2019.


Markus Saile: Ohne Titel. 2016.


Ebd.: Ohne Titel. 2019.


Li-Wen Kuo: Pars pro Toto. 2019.


Anna Nero: UFO. 2016.


Installationen aus 25 Jahren Sammlung Falckenberg, Sammlung Falckenberg, 30.11.2019–30.8.2020.


Martin Kippenberger: Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln = Fred the frog rings the bell. 1990.


Atelier van Lieshout: Hanging Michelangelo. 2004.


Nicole Eisenmann: Hoegarden! 2012.


Paul Thek: Tar Baby. 1975–76.


Nam June Paik: Video Scooter. 1994.


Ebd.: TV-Buddha. 1997.


Erwin Wurm: Sonniger Morgen. 1984.


Rebecca Warren: Family Badge. 2004.


John Bock: Klappdiagramm. 2013.


Jimmie Durham: Contemporary Gargoyle for Home or Office. 2007.


Ebd.: Baby, please don’t go. 2000.


C. O. Paeffgen: Brüsseler Spitze. 1976.


David Hockney: Die Tate zu Gast, Bucerius Kunst Forum, 1.2.–13.9.2020 (verlängert).


The Berliner and the Bavarian. 1962.


Lithographic Water Made of Lines, Crayon and Two Blue Washes Without Green Wash. 1978–80.


Red Celia. 1984.


The Wave, a Lithograph. 1990.


Eine (Part 1). 1991.


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Hamburg: Auf der Suche nach Badeseen
Schon während meiner Studienzeit musste ich mit Bedauern feststellen, dass es keinen Badesee in Hamburg gibt. Wasser und Parkerholung sind reichlich vorhanden und werden weidlich genutzt, aber wo schwimmt der Hamburger? Nicht in Bädern, denn seit meiner Erinnerung nach Mitte der 2000er Jahre Bäderland die Schwimmbadwelt fast, es scheint mir komplett übernommen hat, soll man in dieser Stadt Wellness betreiben – das mag gelegentlich ganz nett sein, ist aber zum Bahnenziehen nicht von Vorteil.

Badeseen gab es auch damals schon nicht. Es könnte sein, dass der Stadtparksee mittlerweile etwas sauberer geworden ist, aber mit seinem engen Gafferkäfig bietet er keine Alternative. Ins Brackwasser am Elbstrand mag ich nicht, vielleicht stelle ich mich an, aber die Wasserqualität wird auch weiterhin nicht lobend hervorgehoben. Eine schöne Flussmöglichkeit ist knapp 20km die Elbe runter die Regattastrecke am Allermöher Deich – der Vorteil von Fließgewässern ist, dass man im Gegenstrom auf der Stelle schwimmen kann.

Aber eigentlich hätte ich gerne einen See in Fahrraderreichbarkeit – Kinderjahre seien Katzenjahre, heißt es, es muss nicht gleich der Neversdorfer oder der Mözener See sein, selbst einer wie der als sumpfig verschrieene Poggensee wäre schon in Ordnung. Während sich die Stadt wieder locker macht und Corona abschüttelt, treibe ich noch in meinem Hypochonderdasein. Doch da Bewegung nach Monaten nun nicht die schlechteste Idee ist und es langsam warm wird, machte ich mich kürzlich aus dem Gewusel hinaus auf die Suche nach Seen. Leider habe ich keinen mit Badeerlaubnis gefunden – und mit näherem Blick scheint mir Wildbaden meist eher nicht erstrebenswert. Immerhin kommt man raus und ein wenig herum und kann Grün atmen.

In Halstenbek, schon in Schleswig-Holstein, doch noch kurz hinter der Grenze von Hamburg, liegt der Krupunder See (Wiki-Link mit netten Entstehungssagen).


Krupunder See, Halstenbek.

Allgemein alles sehr kindgerecht, überall gibt es Spielplätze und umzäunt veranschaulichende Ameisen- oder Asthaufen – für meinen Geschmack etwas zu didaktisch, aber ich gehöre schließlich nicht zur Zielgruppe. Zumindest kommt man einmal um den schönen, kleinen See und hat so wenigstens seinen Biathlon in der Tasche.

Weiter nordnordwestlich, bereits in Pinneberg, liegt der See an den Funktürmen, auch Wollnysee genannt. Allerdings machen zwei Namen keinen besseren See, wie der Blick durch den himmelblauen Spiegel außerhalb des Fotos offenbarte.


See an den Funktürmen, Pinneberg.

Darauf habe ich mein Glück weiter im Osten versucht. Der Ziegelteich lag auf dem Weg und ist eine kleine Oase unterhalb der Gleisüberbrückung am Holstenkamp.


Ziegelteich, Holstenkamp.

Da ich mit der Karte von Outdooractive unterwegs war (der Dank für den Hinweis gilt Andi), wurden mir attraktivere als die Google-Routen vorgeschlagen, und so kam ich auf dem Weg zu meiner nächsten Station durch den wunderschönen Lutherpark in Bahrenfeld. Es gibt tatsächlich Hügelungen in Hamburg.


Lutherpark, Bahrenfeld.

Der Helmuth-Schack-See im Bornpark liegt an der Grenze zu Schleswig-Holstein in Lurup. Der angrenzende Angelsee ist nur für Vereinsmitglieder zugänglich. Dies war der einzige braune See, den ich traf.


Helmuth-Schack-See, Lurup.

So groß die Badelust sein mag, jeder Pfütze muss man nun nicht hinterherjagen.



Allerdings gibt es an jeder Ecke Grün und Erholung vor Teich.



Beim Hinausfahren gefällt mir, wenn am Horizont vor weiter Flur Platten platziert sind:





Für die nächste Radroute setzte ich auf das, was Hamburg wirklich gut kann: Alsterkanäle. Sehr schön finde ich die Strecke Richtung Ohlsdorf hinauf.


Alster, Ecke Eppendorf.

Dort kommt man Eppendorfer Moor vorbei – das war das idyllischste Fleckchen Wasser, an dem ich auf diesen Stichproben vorbeikam.


Eppendorfer Moor, Groß Borstel.

Aber ich gebe ich nicht auf, Hamburg hat schließlich viel Wasser zu bieten. Mit Mein Badesee: Hamburg bin ich noch nicht durch …


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Freitag, 27. März 2020
2020 KW12: Mal kurz Kippen holen


Heute musste ich aus dem Haus. Leider kann ich nicht ohne Erkältung mit dem Rauchen aufhören, aber auf die habe ich momentan nun gar keine Lust. Also musste ich Kippen kaufen gehen – dafür habe ich nicht mal nach Lieferanten gesucht, es wäre mir doch sehr unangenehm, für diese Sucht jemand anderen laufen zu lassen. Außerdem konnten beim Ausgang auch gleich der Gemüse- und Obstvorrat aufgefüllt werden – der einzige Biokisten-Lieferant, der in Hamburg noch Neukunden aufnimmt (Biokiste Hamburg) wird erst in einer Woche kommen können. Als Weinlieferanten habe ich einen alten Bekannten aus Oldesloe gefunden und damit Alexander Eick von Jacques’ Barmbek-Depot auserkoren – ich empfehle den Weißen Vernaccia di San Gimignano.

Seit zehn Tagen sah ich mir das zwar abnehmende, aber weiterhin rege Treiben draußen nur durchs Fenster und täglich eine Stunde Vitamin D tankend vom Balkon aus an. Gestern ließ ich mich von Kaijin beraten, wann und wie ich am besten unter Menschen trete. Früh morgens war definitiv ein guter Rat, nachdem ich aus dem doch schon recht vollen Edeka trat, wartete davor eine 50 Meter lange Schlange Menschen, wenns hoch kommt mit einem halben Meter Abstand dazwischen. Neben meinem selbstgenähten, vierlagigen DIY-Mundschutz (ohne Nähmaschine habe ich fünf Stunden daran gefrickelt), einem Schal für die Haare und Einmalhandschuhen, empfahl Kaijin eine Regenjacke wegen glatter Oberfläche. Das ist wahrscheinlich wieder nicht Drosten-verifiziert, aber der bezweifelt schließlich auch den Schutz von Masken abgesehen von einem auslösenden Abstandsreflex. Immerhin kommt aus der Bundesärztekammer mittlerweile der Rat Masken zu tragen, Stand: 26.3.2020. Und immerhin hat mein Aufzug Abstand ausgelöst. Außer bei den Alten, und das hat mich doch gewundert, noch mehr hat mich allerdings gewundert, sie überhaupt draußen zu sehen. Immer wieder lief mir eine kleine, alte Dame geradlinig vor sich hinstarrend in den Wagen oder wollte sich an einem vorbeiquetschen, man konnte kaum schnell genug in den Regalen verschwinden. Ansonsten lief es beim Edeka ganz gesittet ab und die meisten waren auf Abstand bedacht.

Abgesehen von den Plexiglasscheiben vor den Kassen, bei der Apotheke glatt einer dreiseitigen Box und Markierungen vor den Märkten scheint der Ernst der Lage jedoch noch nicht recht angekommen. Es ist weniger los, aber wenig nun auch nicht. Und ok, es gibt alleinerziehende Eltern, aber muss man einen ungeschützten Säugling Supermarktreihen aussetzen, kann man nicht jemanden um Hilfe bitten? Und müssen selbst um neun Uhr morgens die Typen beim Kippenmann rumhängen? Warum trägt nicht mal eine Apothekenhilfe einen Mundschutz? Warum hat abgesehen von mir nur eine Frau pseudomäßig ein Tuch vor den Mund gehalten? Warum ist nicht Handcreme ausverkauft, wäscht sich hier keiner die Hände? Und warum müssen Schuhkay und Blume 2000 noch geöffnet haben? Wenn wir schon mal dabei sind: Warum hält der DHL-Bote einem eigentlich weiterhin seinen Stift entgegen? Wann gibt es endlich mehr Gehalt statt Applaus …?

In der Apotheke gab es übrigens nur Wund-Desinfektionsspray für 7 Euro/ 30ml. Dafür findet man bei der WHO (H=Health) eine Anleitung zum Selbermachen von Desinfektionsmitteln, momentan wird man wohl nicht des Terrors verdächtigt, wenn man sich Glycerin bestellt. Ansonsten kann ich gut noch die Folge Corona: Hygienemaßnahmen von Tim Pritlove auf seinem Kanal UKW empfehlen.

Ich habe mir Tabak gekauft und hoffe auf weniger Konsum durchs Drehen.

Bleibt alle gesund und vielleicht doch auch mal in euren vier Wänden.


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Sonntag, 16. Februar 2020
2020 KW7: Was hat er nun wieder gemacht?

Ai Weiwei: Safety Jackets Zipped the Other Way. Screenshot aus: Hornbach: Bauanleitung Demokratische Kunst.

Ich frage mich immer wieder, warum wir ständig über ihn schreiben? Normalerweise versuche ich, dem PR-Gig Ai Weiwei aus dem Weg zu gehen. In den letzten zwei Wochen bin ich jedoch glatt drei Mal auf Herrn Ai gestoßen worden – und seinen letzten Coup finde ich zu skurril, um ihn unerwähnt zu lassen. Er widerspricht sich selbst einfach zu schön, um nicht gelegentlich den Finger hineinzubohren und ihn dreckig auszulachen. Nebenbei bietet er Abwechslung zum allgegenwärtigen Virus.

Zunächst schickte Alice die erste Aische Schimpftirade im Guardian: Ai Weiwei On His New Life In Britain: “People are at least polite. In Germany, they weren’t”, von Simon Hattenstone, 21.1.2020.

Ai hat also vor ein paar Monaten Berlin verlassen, ist nach Cambridge gezogen und weint sich bei den Britten über das blöde Deutschland, die gemeinen Deutschen aus. Zwar fragt der rasende Reporter, ob Ai meine, die Britten „will prove a haven of tolerance?“, lässt ihn aber seinen Rant austoben: „“in Germany you have to speak German (…) very rude”“, und widersprüchlich werden: „For 15 years, he adds, the world has treated his work with respect, and that is never good for creativity.“ – nun hat sich das in Deutschland geändert und er keift beleidigt herum. Nicht, dass in Deutschland alles rosig wäre, ganz im Gegenteil und gerade für Ausländer. Ein chinesischer Freund von mir meinte einmal, dass unter Ausländern in Deutschland gesagt wird, wenn du es in Deutschland schaffst, kannst du es überall schaffen; dass es einem die Deutschen also wahrlich nicht leicht machten. Und Ai hat nicht einmal in Rostock gelebt.

Dass der Autor der Selfie-Tradition, so mag man sie fast schon bezeichnen, mit Ai erliegt, sei ihm verziehen, meinetwegen für sein Instagram auch vergönnt. Aber das Buddy-mäßige Arm um Schulter und dann auch noch Kopf Anlehnen zeugt nicht gerade von journalistischer Raffinesse.

Mehr gab es bald darauf im Perlentaucher: „Ai Weiwei wütet …“, Zusammenfassung vom 12.2.2020 aus Berliner Zeitung und Der Tagesspiegel, die ich hier, weil so schön und schön kurz, komplett zitiere:

„Kunst
Ai Weiwei wütet in einem wirklich anstrengenden Interview mit Susanne Lenz in der Berliner Zeitung gegen Berlin, "die langweiligste, hässlichste Stadt, die es gibt", gegen die Berlinale, die schon wieder seinen Film nicht ins Programm genommen hat, gegen die faulen Studenten, das korrupte System und überhaupt die chinahörigen Deutschen. Ernst nehmen kann man das Rumgemotze nicht: "Ich könnte ein ganzes Buch über Deutschland schreiben. - Tun Sie das doch. - Ich bin zu beschäftigt. Es gibt Wichtigeres als Deutschland. Genießt doch eure Berlinale, oder wie das heißt. - Werden Sie Ihr Studio hier behalten? - Wenn die Deutschen mich weiter unter Druck setzen, muss ich es aufgeben. - Wer setzt Sie unter Druck? - Das möchte ich Ihnen nicht sagen. Ich werde von der deutschen Gesellschaft unter Druck gesetzt. Das ist okay. Ich kenne ihre Geschichte, weiß, wer ihre Großeltern sind. (Eigene Hervorhebung.)" Ach ja, und noch nie hat ihn die deutsche Presse nach seiner Meinung gefragt, wie eine kleine Stichprobe beim Perlentaucher, ähem, nicht bestätigt! Im Tagesspiegel versucht Birgit Rieger, angesichts von Ai Weiweis Tiraden fair zu bleiben.“

Das Beste zum Schluss. Christine leitete mir dann diesen Beitrag von Page Online weiter: Ach du meine Güte! Ai Weiwei für Hornbach, von Sabine Danek, 14.2.2020.

Ai kam also für ein paar Tage nach Berlin zurück, um seine neuste Aktion zu bewerben, verschlagwortet mit „Kunst für alle“ oder auch „Demokratische Kunst“. Prinzipiell halte ich das Projekt für gar keine so schlechte Idee: Ein Ai zum Einkaufspreis für jedermann. Bei Hornbach kann man sich ein Ai-Kunstwerk zusammenbasteln und, aus verschiedenen Versionen wählend, sich etwa für die „Stand-Version“ ein Set von 6 Warnjacken (Stück: 36 Euro) und 4 Stahlrohren (Stück: 67,96 Euro) plus Kabelbinder kaufen, dazu einen Katalog mit Bauanleitung und Interview Ai-Obrist (18 Euro oder als kostenloser Download ohne Interview). Das Ganze nennt sich „Safety Jackets Zipped the Other Way“. Dann hat man: Ritterlich hoch hinaus aufgespießte, mit Reißverschlüssen innig vereinte Arbeitshäute?

Ai bezeichnet sich im Hornbach-Werbeclip als „Realist“, als volksnah – oder so ähnlich, ich kann mir das Video kein zweites Mal antun. In jedem Fall solle das einfache Volk einmal in der Lage sein, sich einen echten Ai Weiwei zu kaufen. Ob die Arbeiterklasse, die Ai hier als Kundschaft im Visier zu haben scheint, sich so plakativ mit ihrem eigenen Material abspeisen lassen will, bleibt zumindest in Bezug auf die Auswahl fragwürdig. Das Selbstbauen als eigenes Hand an Kunst Legen finde ich eigentlich nicht dumm, aber die neun Arbeitsschritte können genauso gut als Verhöhnung verstanden werden. Was man sich jedoch wirklich fragt: Wer außer Sammlern hat Platz für 4,10m Höhe und 2,60m Breite – wollte man seinen Ai nicht draußen im Vorgarten, Schrebergarten, Hinterhof im Regen stehen lassen, was unser PR-Gig wahrscheinlich brilliant fände im Sinne der Realität ausgesetzt und solch Trallala, siehe Documenta 12. Schickt ihm über Hornbach Fotos und Videomaterial davon, dann kann er gleich weitere Kunst draus schaffen und ihr werdet ein Teil davon und … Endlosschleife.

Im Guardian schimpft er übrigens, dass er drei Mal aus Berliner Taxis geworfen wurde, weil die Fahrer nicht wollten wie er, die Dienstleister also nicht wie in China alles erduldeten und kuschten, wie dem zahlenden Herrn es gemach. Noch einmal aus dem Guardian: „“I don’t like a state or culture that so obeys authority.”“ Widersetzen soll sich das Volke wohl nur abstrakten Staatsgebilden, nicht Ai, nennt mich Weiwei, denn er ist doch, ja, wer nur?

Der edle Gönner. „Jaja: Jippieh, jippieh, yeah!“


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