Sonntag, 16. Februar 2020
2020 KW7: Was hat er nun wieder gemacht?

Ai Weiwei: Safety Jackets Zipped the Other Way. Screenshot aus: Hornbach: Bauanleitung Demokratische Kunst.

Ich frage mich immer wieder, warum wir ständig über ihn schreiben? Normalerweise versuche ich, dem PR-Gig Ai Weiwei aus dem Weg zu gehen. In den letzten zwei Wochen bin ich jedoch glatt drei Mal auf Herrn Ai gestoßen worden – und seinen letzten Coup finde ich zu skurril, um ihn unerwähnt zu lassen. Er widerspricht sich selbst einfach zu schön, um nicht gelegentlich den Finger hineinzubohren und ihn dreckig auszulachen. Nebenbei bietet er Abwechslung zum allgegenwärtigen Virus.

Zunächst schickte Alice die erste Aische Schimpftirade im Guardian: Ai Weiwei On His New Life In Britain: “People are at least polite. In Germany, they weren’t”, von Simon Hattenstone, 21.1.2020.

Ai hat also vor ein paar Monaten Berlin verlassen, ist nach Cambridge gezogen und weint sich bei den Britten über das blöde Deutschland, die gemeinen Deutschen aus. Zwar fragt der rasende Reporter, ob Ai meine, die Britten „will prove a haven of tolerance?“, lässt ihn aber seinen Rant austoben: „“in Germany you have to speak German (…) very rude”“, und widersprüchlich werden: „For 15 years, he adds, the world has treated his work with respect, and that is never good for creativity.“ – nun hat sich das in Deutschland geändert und er keift beleidigt herum. Nicht, dass in Deutschland alles rosig wäre, ganz im Gegenteil und gerade für Ausländer. Ein chinesischer Freund von mir meinte einmal, dass unter Ausländern in Deutschland gesagt wird, wenn du es in Deutschland schaffst, kannst du es überall schaffen; dass es einem die Deutschen also wahrlich nicht leicht machten. Und Ai hat nicht einmal in Rostock gelebt.

Dass der Autor der Selfie-Tradition, so mag man sie fast schon bezeichnen, mit Ai erliegt, sei ihm verziehen, meinetwegen für sein Instagram auch vergönnt. Aber das Buddy-mäßige Arm um Schulter und dann auch noch Kopf Anlehnen zeugt nicht gerade von journalistischer Raffinesse.

Mehr gab es bald darauf im Perlentaucher: „Ai Weiwei wütet …“, Zusammenfassung vom 12.2.2020 aus Berliner Zeitung und Der Tagesspiegel, die ich hier, weil so schön und schön kurz, komplett zitiere:

„Kunst
Ai Weiwei wütet in einem wirklich anstrengenden Interview mit Susanne Lenz in der Berliner Zeitung gegen Berlin, "die langweiligste, hässlichste Stadt, die es gibt", gegen die Berlinale, die schon wieder seinen Film nicht ins Programm genommen hat, gegen die faulen Studenten, das korrupte System und überhaupt die chinahörigen Deutschen. Ernst nehmen kann man das Rumgemotze nicht: "Ich könnte ein ganzes Buch über Deutschland schreiben. - Tun Sie das doch. - Ich bin zu beschäftigt. Es gibt Wichtigeres als Deutschland. Genießt doch eure Berlinale, oder wie das heißt. - Werden Sie Ihr Studio hier behalten? - Wenn die Deutschen mich weiter unter Druck setzen, muss ich es aufgeben. - Wer setzt Sie unter Druck? - Das möchte ich Ihnen nicht sagen. Ich werde von der deutschen Gesellschaft unter Druck gesetzt. Das ist okay. Ich kenne ihre Geschichte, weiß, wer ihre Großeltern sind. (Eigene Hervorhebung.)" Ach ja, und noch nie hat ihn die deutsche Presse nach seiner Meinung gefragt, wie eine kleine Stichprobe beim Perlentaucher, ähem, nicht bestätigt! Im Tagesspiegel versucht Birgit Rieger, angesichts von Ai Weiweis Tiraden fair zu bleiben.“

Das Beste zum Schluss. Christine leitete mir dann diesen Beitrag von Page Online weiter: Ach du meine Güte! Ai Weiwei für Hornbach, von Sabine Danek, 14.2.2020.

Ai kam also für ein paar Tage nach Berlin zurück, um seine neuste Aktion zu bewerben, verschlagwortet mit „Kunst für alle“ oder auch „Demokratische Kunst“. Prinzipiell halte ich das Projekt für gar keine so schlechte Idee: Ein Ai zum Einkaufspreis für jedermann. Bei Hornbach kann man sich ein Ai-Kunstwerk zusammenbasteln und, aus verschiedenen Versionen wählend, sich etwa für die „Stand-Version“ ein Set von 6 Warnjacken (Stück: 36 Euro) und 4 Stahlrohren (Stück: 67,96 Euro) plus Kabelbinder kaufen, dazu einen Katalog mit Bauanleitung und Interview Ai-Obrist (18 Euro oder als kostenloser Download ohne Interview). Das Ganze nennt sich „Safety Jackets Zipped the Other Way“. Dann hat man: Ritterlich hoch hinaus aufgespießte, mit Reißverschlüssen innig vereinte Arbeitshäute?

Ai bezeichnet sich im Hornbach-Werbeclip als „Realist“, als volksnah – oder so ähnlich, ich kann mir das Video kein zweites Mal antun. In jedem Fall solle das einfache Volk einmal in der Lage sein, sich einen echten Ai Weiwei zu kaufen. Ob die Arbeiterklasse, die Ai hier als Kundschaft im Visier zu haben scheint, sich so plakativ mit ihrem eigenen Material abspeisen lassen will, bleibt zumindest in Bezug auf die Auswahl fragwürdig. Das Selbstbauen als eigenes Hand an Kunst Legen finde ich eigentlich nicht dumm, aber die neun Arbeitsschritte können genauso gut als Verhöhnung verstanden werden. Was man sich jedoch wirklich fragt: Wer außer Sammlern hat Platz für 4,10m Höhe und 2,60m Breite – wollte man seinen Ai nicht draußen im Vorgarten, Schrebergarten, Hinterhof im Regen stehen lassen, was unser PR-Gig wahrscheinlich brilliant fände im Sinne der Realität ausgesetzt und solch Trallala, siehe Documenta 12. Schickt ihm über Hornbach Fotos und Videomaterial davon, dann kann er gleich weitere Kunst draus schaffen und ihr werdet ein Teil davon und … Endlosschleife.

Im Guardian schimpft er übrigens, dass er drei Mal aus Berliner Taxis geworfen wurde, weil die Fahrer nicht wollten wie er, die Dienstleister also nicht wie in China alles erduldeten und kuschten, wie dem zahlenden Herrn es gemach. Noch einmal aus dem Guardian: „“I don’t like a state or culture that so obeys authority.”“ Widersetzen soll sich das Volke wohl nur abstrakten Staatsgebilden, nicht Ai, nennt mich Weiwei, denn er ist doch, ja, wer nur?

Der edle Gönner. „Jaja: Jippieh, jippieh, yeah!“


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