Sonntag, 16. Juli 2017
Beijing wird geschlossen


Nach dem Frühlingsfest diesen Jahres 2017 hatten sie angefangen. In meiner Straße im Nordosten innerhalb des 2. Rings blieben zunächst jede dritte der erst kürzlich (zur 70-Jahrfeier des „Sieges über den Antifaschismus“ im September 2015) neben anderen Vereinheitlichungen der Fassaden für alle angebrachten Ladentore aus Stahl auch tagsüber heruntergezogen. Darunter von mir frequentierte Läden wie der Copyshop von Laoyang, der Nussmann, ein Expressservice, ein Kiosk, ein Frischnudelladen, eine Eisenwarenhandlung. Im mich hauptsächlich ernährenden Gemüse- und Obstladen meinten sie letztens, sie wüssten nicht, ob oder wann es bei ihnen soweit sei.



In der Min’an jie und von dieser abgehend in der Dongzhimen beizhongjie finden sich im Umkreis von keinen hundert Metern drei kleine Supermärkte in den Erdgeschosswohnungen des Eckblocks. Ich nenne sie Russenläden, da sie der Kundschaft in unmittelbarer Nähe der Russischen Botschaft mit einer Palette russischer Waren aufwarten. Im von mir besonders häufig aufgesuchten, der vor Jahren meine bevorzugten Wein, Milch, Kaffee, Kippen ins Angebot geholt hat, sprechen sie gar russisch.



Sie packt mir die letzten sechs Weißweinflaschen in einen Karton. Heute machen sie zu. Alle drei auf einen Schlag. Vor fünf Tagen kam der Bescheid. Seit 24 Jahren ist Frau Wang hier vor Ort. Sie kennt meine Mutter, alle in meinem Gästezimmer Nächtigenden führe ich nach Anmeldung bei der lokalen Polizeistation hier her. Als ihr Kind sechs war, hat sie den Laden eröffnet, in ihm ihre Blütezeit zugebracht, wie sie sagt.



Im zweiten Laden haben sie bereits zu demontieren begonnen, im dritten heißt es, sie würden noch einen Monat durch die Hintertür verkaufen, hinten durch den Compound dreimal rechts erreichbar. Die anderen, längst weit weniger als Zweidrittel noch geöffneten Läden in der Beixiaojie des in diesem mittlerweile in den Juli gewanderten Jahres, werden nicht mehr lange ihr Geschäft weiterführen können, so Frau Wang. Dieses Jahr wird hier noch alles geschlossen. Nicht von der Stadtregierung, es ist die Zentrale, von der die Anweisungen kommen.

Zunächst entziehen sie den Ladeninhabern die Lebensgrundlage des geöffneten Ladens, und damit entziehen sie gleichzeitig den Anwohnern die Lebensgrundlage der Versorgung. Sie wollen uns aus der Stadt heraus, nach Tongzhou, besser noch Langfang oder sonst wo in Hebei, in all die Lebens-, Geschäfts-, Gesellschaftszentren, die sie gerade erschließen. Dies ist ihr Mittel.




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Sehr interessant danke. Und was wird jetzt aus Herr und Frau Wang? Werden die auf irgendeine Art entschädigt oder sind die jetzt Freiwild? Das kann sich doch nicht sein oder? Ist ja nicht der Wilde Westen sondern China. Da wird doch die Partei was anbieten.

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Meibanfa
Frau Wang will erst einmal eine kleine Pause einlegen. Außerdem heiratet ihr Sohn in den kommenden Monaten, was baldigen Nachwuchs ankündigt. Dann will sie überlegen, was sie als nächstes macht. Das Ehepaar mit dem Hintereingang für einen weiteren Monat möchte auf Reisen gehen und sehen, wo all die internationalen Kunden herkommen, die sonst bei ihnen aufschlagen. Hier gilt unter der Bevölkerung die meibanfa-Regel, dass einem nichts anderes übrig bleibt. Die Ansage ist gemacht, man kann nur andere Wege einschlagen, sich etwas Neues ausdenken. Entschädigungen wird es in diesen Fällen nicht geben, denn sie bleiben die Besitzer von ihren Gebäudeflächen – halt ohne gewerbliches Nutzungsrecht.

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