Mittwoch, 26. Dezember 2012
Architektur in Beijing
Architekten finden in Beijing – und überall in China, aber die Hauptstadt bietet neben Shanghai doch mehr Prestige – eine wunderbare Spielfläche. Man müsste denken, dass die zur Verfügung stehenden Flächen langsam weniger werden, aber zur Not reißt man halt wieder hier ein bisschen Altstadt ab oder dort ein vor fünf Jahren hochgezogenes und inzwischen bereits schäddrig aussehendes Gebilde. Immer wieder kochen die Emotionen bei nationalen Architekten und Intellektuelle hoch, dass hiesigen Architekturbüros nicht der Vortritt gelassen wird, sondern renommierte internationale Architekten das Feld bestimmen und mittlerweile viele hier eine Zweigstelle eröffnet haben (natürlich auch, um auf lokale Gepflogenheiten etwa durch Aufgreifen cn. Symbolik besser eingehen zu können).

Dieser Post ist den Prestigebauten der selbsternannten "avantgardistische Architektur" Beijings gewidmet – dabei handelt es sich bis auf eine Ausnahme um Bauten des enormen Investmentprogramms im Zuge der Olympischen Spiele 2008. Die Reihenfolge richtet sich ganz klassisch chronologisch nach dem Eröffnungsdatum der einzelnen Werke und ist jeweils überschrieben mit zunächst dem meist belächelnd gemeinten Namen des Volksmundes (Protest ist natürlich nicht drin, Sarkasmus bleibt als Antwort auf die Bauwut) und danach dem offiziellen Titel. Vorangestellt werden soll, dass ich persönlich alle Gebäude aus architektonischer Sicht großartig finde, vielleicht abgesehen von der merkwürdigen Bemusterung der Unterhose und der blubbeligen Außenansicht des Galaxy SOHOs. Aber der Reihe nach …

Großes Behördenei (大局蛋) – Nationaltheater (国家大剧院)

Architektur von Paul Andreu. Gelegen westlich vom Tian'anmen hinter der Halle des Parteikongresses, wurde es eröffnet im Dezember 2007. Das Ju von Da Judan, dem Großen Behördenei, ist gleichlautend mit DaJUyuan für Theater.


Von der Seite.


Von vorne.


Von hinten.


Mit dösender Aufsicht am Rande.

Große Unterhose (大裤衩) – CCTV Headquarter (中央电视台新台址)

Architektur von Ole Scheeren und Rem Koolhaas, OMA. Gelegen im CBD (Central Business District) am 3. Ring im Osten. Eröffnet am 1.1.2008 im Jahr und als weiteres Vorzeigeobjekt der Olympischen Spiele.

Im Sommer 2007 konnte man sich noch auf die Baustelle schleichen, nun ist das im Volksmund als Große Unterhose bekannte Propagandaschiff hermetisch abgeriegelt.

An seiner nördlichen Seite wurde, ebenfalls von OMA und zur gleichen Zeit konstruiert, das Hotel (Television Cultural Center, TVCC, genannt) errichtet – aus Feuerwerksfeierlust der sturzbetrunkenen Bauleiter fackelte es einen Monat nach Eröffnung zum chinesischen Neujahr im Februar 2008 ab. Beijinger sahen dies als schlechtes Omen für die Spiele und das ganze Jahr (der beginnenden Finanzkrise). Erst dieses Jahr, 2012, traute man sich an eine Generalüberholung, bald ist sie vollbracht. Die Statik des gesamten Gebietes erlaubte keinen einfachen Abriss, was viele wegen der schlechten Vibes vorgezogen hätten, aber hebt man hier ein paar Megatonnen an, sacken dort andere ein. Auch war die massive Stahlkonstruktion noch intakt – im Gegensatz zu den anderen verbauten Materialen, die eigentlich Auflagen feuerfester Sicherheitsbestimmungen unterlagen, bei denen aber aus Gründen der Raffgier gepfuscht wurde. So oder so war verboten, dort herumzufackeln, aber hätte man sich an die Bestimmungen gehalten, wäre die Feuerwehr ev. in der Lage gewesen, kostbare Rettungsminuten für sich zu nutzen. Mittlerweile hat das CCTV-Personal die Unterhose bezogen und sendet nun hauptsächlich aus ihr heraus.


Blick von der 3. Ringstraße gen Norden, Hotel hinter linkem Beim.






Im Süden der Hose klafft eine neue fette Baugrube.

Flughafen (首都国际机场)

Terminal 3-Architektur von Norman Foster. Eröffnet am 29.2.2008.


Unscheinbar zunächst beim Heranfahren.






Unter dem Schildkrötenpanzer begibt man sich in den Airport Express.

Vogelnest (鸟巢) – Nationalstadion (国家体育场)

Architektur von Herzog & de Meuron, und Ai Weiwei und Li Xinggang. Gelegen im Olympiapark als Weiterführung der Nordsüd-Achse von Qianmen, Tian'anmen, Verbotener Stadt und Trommelturm. Eröffnet wurde es am 18.4.2008, wobei ich auf einer Radtour im Juli 2008 kurz vor Beginn der Spiele fand, dass man einmal einen Putztrupp über die Stahlträger schicken könnte, drum herum sah alles noch extrem trist aus, die Bauarbeiter verweilten im Mittagsdelirium, aber in China kann man ja in Windeseile in der Nacht vor der Eröffnung Tausendschaften zum Grünpinseln von Landstrichen losschicken und schon ist alles schön und hach.

Um dieses Stadion rankte sich viel Gezeter, v. a. was die Teilnahme von Ai Weiwei betrifft – vielleicht wusste er einfach nicht, dass es sich um einen Nimbusbau der Regierung handelt?

Gelegentlich werden hier nach Ende der Spiele eine Eisfläche ausgebreitet oder irgendwelche internen Events veranstaltet, hauptsächlich lebt es aber das einsam und verlassene Leben vieler ehemaliger Olympiazentren. Für 50 Kuai Eintritt darf man rein und dort herumwandern.


Perspektive von der Nord-Süd-Achse, die durch BJ gezogen ist.


Jaaa.

Galaxy SOHO (银河SOHO)

Architektur von Zaha Hadid. Gelegen innerhalb des 2. Rings im Osten gegenüber des Justizministeriums. Eröffnet am 27.10.2012, aber noch nicht bezogen.

Als SOHOs werden Stadteile bezeichnet, ein Bezirk in Manhattan oder im Londoner West End, in Birmingham und in Hongkong, es steht – neben etwa der Bezeichnung einer nordkoreanischen Marinefregatte – auch als Abkürzung für "Small Office, Home Office", für Kleinunternehmer. Meinem Verständnis nach beinhaltet es eine Ghettoisierung, und in China – wenn ich mich recht erinnere, liegen die Anfänge in Australien, wo erstmals Megagebäudekomplexe errichtet wurden, aus denen man sich nicht mehr herausbewegen muss, ein Alles in Einem für Wohnen, Arbeiten und Freizeit, mit Ärzten, Fitnessanlagen, zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten, Kinos und Theatern – in China hat dies hauptsächlich SOHO China Ltd., die größte Immobilienfirma Chinas, s. Wikipedia für ein paar Details, übernommen. In Beijing sprießen seit ein paar Jahren überall SOHOs aus dem Boden, das Jianwai SOHO war eines der ersten, es folgten das Chaowai SOHO, das Shangdu SOHO bei Dongdaqiao, das (ziemlich tote) Sanlitun SOHO (neben dem 2008 errichteten und anhaltend überbeliebten Sanlitun Village), und nun neu eben das Galaxy SOHO. Allerdings bleibt der SUV doch nicht immer in der Tiefgarage, denn so nett es vermeintlich sein mag, so verquer bleibt es dann doch in der Praxis.


Blub, von hinten …


… und von vorne.


Von innen.


Schon ziemlich cool.


Einfluss auf Nachbargebäude.

Tags für diesen Beitrag 这本文章的标记: Architektur 建筑, Beijing 北京, Fotografie 摄影, Häufig gelesen 频看

... link (0 Kommentare)   ... comment