Willkommen 欢迎

Willkommen auf meinem Blog, der Vernetzung von „Kulturgut 文化财富“ mit dem täglichen Leben, einer Ergänzung zu meiner Website. Hier finden Sie regelmäßig meine Sicht des Lebens in Beijing und China, in Hamburg und Deutschland – rein subjektiv und selektiv. Ich schreibe meist auf Deutsch, setze aber auf die internationale Sprache der Bilder, weshalb auch die Tags zweisprachig sind.

Viel Spaß wünscht Stefanie Thiedig.

欢迎访问我的博客,它不仅是"Kulturgut 文化财富"与日常生活的网络展现,同时也是对我个人主页的补充。在这里我会定期地以纯粹主观并带有选择性地的视角来观察北京和中国。大部分的时候我是用德语来撰写文字,但同时对图片也加注国际语言已达到标签双语效果。

由甲祝您好!

Mittwoch, 21. Januar 2015
Düsseldorf und Köln, Januar 2015
Düsseldorf 杜塞尔多夫



Im Zuge von Out of the Fence war ich in Düsseldorf und hatte zwischen Ausstellungsaufbau und Eröffnung immer wieder kurz ein paar Minuten, um die Augen offenzuhalten.


Ein bisschen Mini-Hamburg gabs.





Winter in Deutschland sind herrlich, diese Farben, kühl und distanziert, unprätentiös und unaufdringlich. Wenn man dann durchs Land unterwegs ist, all das angedeutete Braun und Gelb in Grau mit leichten Schattierungen von Grün, hach, diese Wälder und Felder. Und hier schreien alle nach Sommer und weinen, kaum je einen zu haben – wohnt mal eine Weile in Beijing …



Für viel blieb nicht Zeit, aber ins K21 bin ich kurz gesprungen. Es gab Tomás Saraceno: In Orbit, was mir allerdings nach Antony Gormley in den Deichtorhallen im August 2012 eher wie interaktive Eventhascherei vorgekommen ist.




Tomás Saraceno: Canis Major Dwarf Anelosimus eximius. 2013.

Jetzt schnell kommentarlos durch die Flure:


Thomas Struth: Audience 11. 2004.


Georg Herold: O. T. 1989.


Ebd.: Mon Dieu. 2009.


Ebd.: Silent Revolution. 1989.


Matthias Bitzer. Der Zerfall der Eigenschaften (The Collapse of Features). 2014.


Ebd.


Ebd.
Text: A crack in a wall in a room in a house in a field in a landscape in a world in a space


Richard Serra: Out-of-Rounds XIX. 1999.


Ebd. Detail.


Ebd.: The New York Times Manufactures Censorship. 1989.


Hans-Peter Feldmann: Lichtrechteck(?) 2014(?)


Katharina Fritsch: 2. Zeitungsillustrationen "Ein schrecklicher Sturz" (Newspaper Illustration 2 "A Terrible Fall"). 2006.


Ebd.: 1. Zeitungsillustrationen "Auffindung eines Leichnams eines weiblichen Passagiers in dem Salon des auf dem Vierwaldstätter See gescheiterten Dampfschiffes Brüning" (Newspaper Illustration 1 "Finding the Corpse of a Female Passenger in the Salon of the Steamship Brüning Wrecked on Lake Lucerne"). 2007, Detail.


Ebd.: 4. Zeitungsillustrationen "Szene im Schlangenkäfig des zoologischen Gartens zu London: Herausziehen einer bereits verschlungenen Boa aus dem Rachen einer Pythonschlange" (Newspaper Illustration 4 "Scene from the London Zoo: Pulling an Already Swallowed Boa from the Mouth of a Python"). 2008.


Ebd.: Mönch (Monk). 1997–99.


Dann natürlich die Bechers, hier: Wassertürme (Water Towers), 1999.


Nam June Paik: TV-Garden. 1974–77/ 2002.


Imi Knoebel: Genter Raum. 1979–80.


Und raus und weiter …


Nachts die erleuchteten Bänke irgendwo im Vorbeifahren (mit Dank an Daniel für den Fingerzeig) neben einem mächtig rabiat an einen Kirchenturm skulpturierten Jesus, der es nicht vor die Linse geschafft hat.

Am Samstag darauf, am 17-Jan, habe ich dann die Galerien in der Nähe, die Galerien Flingern besucht, von denen ebenfalls einige am Tag zuvor mit neuen Sichten eröffnet hatten. Hier eine kleine Auswahl der Arbeiten, die mir gefielen, chronologisch nach meinem Zickzacklauf.

Galerie Kadel Willborn


Vlassis Caniaris: Space in Space. 1960.


Ebd.: Zeuge. 1980.


Benedikt Hipp: einig im Bestand. 2010.

Petra Rinck Galerie:


Nadine Städler: Touch Sun Such Fun. 2014(?)

Schönewald Fine Arts


Hedwig Eberle: O. T. 2014.


Ebd.


Ebd.


Lutz Braun: Vacancy. O. A.


Georg Fuchssteiner: Lichtung. 2014.


Matthias Dornfeld: Blumenstrauß. 2012.

Galerie Conrads


Anna Vogel: Strategien für Trabanten. 2014.


Ebd.


Ebd.

Galerie Linn Lühn


Alexander Bornschein: O. T. (use no hooks). 2015.


Ebd.: O. T. 2015.

Galerie Max Mayer


Asier Mendizabal: O. T. (Illustrated). 2014.

Details:










Soweit, nun bereiten sich alle vor auf das Photo Weekend vom 30-Jan bis 1-Feb-2015.




Köln 科隆

Und dann, schon einmal in der Nähe, gab es noch einen kleinen Abstecher über Köln. Dort hat mich Martin wunderbar herumgeführt, ich durfte ein paar Bekannte wiedersehen und ein paar neue, besonders die tolle Nicola Richter, kennenlernen.

Zunächst waren wir abends im Galerienhaus An der Schanz:

Galerie Hammelehle und Ahrens

Leider ohne Namen und Werkliste, schien aus dem Bestand heraus:









Krupic Kersting Galerie


Irma Markulin: O. A.


Ebd.: Ansicht von hinten.


Ebd.: Siegerinnen. O. A.


Ebd.


Ebd.: Absturz. 2014.

Galerie Berthold Pott


Michiel Ceulers: O. A.


Dean Levin: O. A.


Samuel Francois: because sunrise is yellow. 2015.


Nathlie Provosty: O. A.

Am Tag darauf ging es in die Südstadt. Dies nun hervorgehoben markiert, weil es wirklich gut war. Ist!, läuft noch bis 18-April-2015. Wer in Köln ist, sehr sehenswert:

Bettina Flitner: Face to Face

In der Michael Horbach Stiftung.



Das Konzept ist einfach. So einfach, dass man erst einmal drauf kommen muss: Porträts mit Statements.

Aus der Serie: Mein Denkmal. 1996.






"Mein Name ist Margarete Schulze. Ich möchte ein Denkmal dafür, daß ich so viel durch hab'. In Zwickau in der Milchbar gearbeitet. 500 Mark im Monat und sechs Kinder. Mein Erster ist im Krieg gefallen. Mein Zweiter – immer zuhause – herzkrank. Mein Jetziger hat es am Rücken, nur Sitzen und Liegen geht. Aber ich, ich kann steppen."

Aus der Serie: Mein Herz. 1994.




"Mein Herz? Das kann ich gar nicht mehr zählen, wie oft ich das verloren habe. Heinz hat sich nach 15 Jahren in Bad Driburg 'nen Kurschatten angelacht. Ismail war verheiratet und ist in die Türkei zurück. Klaus kam aus dem Knast, fing an zu trinken und ist an 'ner Gehirnblutung gestorben. Der wär's vielleicht gewesen …"


"Am Anfang will ich immer die Macht behalten. Und dann kriege ich Angst. Wie bei David, der war Punk und hat getrunken. Das hat mich so an meine Mutter erinnert. Ich will denjenigen dann immer so an mich ketten. Vielleicht weil ich auch schon meine Eltern verloren habe … Lange bevor ich von zuhause weggelaufen bin."

Aus der Serie: Mein Feind. 1992.

Ein Studio, ein Arsenal an Theaterrequisiten, die Frage Was würdest du mit wem tun, wenn keine Strafe drohte. Die Serie wurde auf lebensgroßen Tafeln in der Kölner Fußgängerzone ausgestellt. Die Reaktionen mit teils entstandenem Tumult und erhitzten Diskussionen kann man sich in einer Doku vom WDR ansehen.


Links: "Mein Feind ist einer von der Schule, auch Türke. Der zieht mir immer das Kopftuch runter. Ich würde dem gerne vor der Schule den Kopf abhacken. Auf dem Schulhof wäre schlecht, da stehen die Lehrer rum."
Rechts: "Mein Feind ist eine Person. Ich kenne ihn mein Leben lang. Er hat mich nie anders behandelt als mit Verachtung. Aber ich könnte nie eine Waffe nehmen, das geht bei mir alles so nach innen. Jetzt ist er 93, wenn er tot ist, in ich froh."

Aus der Serie: Ich bin stolz, ein Rechter zu sein. 2001.



Mehr Fotografie und auch ein Interview mit Bettina Flitner (S. 42) gibt es in Damian Zimmermanns gratis und online betretbarem Magazin L. Fritz

Zum Kontrast waren wir dann abends noch auf dem Vor-Möbeldesignmessen-Preisvergabe-Hype. Der Champagner stieg schnell zu Kopfe und entsprechend hatte ich meinen Spaß.



Den Entwurf hier fand ich gut:


Michele De Lucchi. 2010.


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Mittwoch, 21. Januar 2015
Zwischendurch: Im Wald


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Donnerstag, 8. Januar 2015
16-1 bis 3-3-2015 in Düsseldorf: Out of the Fence


Von Beijing aus geht es weiter nach Düsseldorf! 从北京到杜塞尔多夫!

Künstler 艺术家

Zhang Xinjun 张新军, *1983 Zhengzhou/ Henan 河南郑州
Zhai Liang 翟倞, *1983 Houma/ Shanxi 山西侯马
He Jian 何健, *1980 Beijing 北京

Kuratiert von Stefanie Thiedig 由甲策展

Zeit und Ort 时间与地点

16. Januar 2015 bis 3. März 2015
Eröffnung: 16-Jan-2015, 19:00
Galerie Philine Cremer
Ackerstraße 23, Düsseldorf

Wir freuen uns auf Sie und euch!

Und so sieht er aus: Der Zustand der Zaunhandhabung



Zhang Xinjun 张新军

Possibilismus: Es war einmal ein Gebäudeskelett am Ende der Stadt, seit Jahren halb fertig, vielleicht war der Investor abgesprungen, man wusste es nicht so recht. Ein riesiger Baustellenzaun verlief außen entlang des Betongerippes. Dort schlenderte eines schönen Tages Xinjun herum und entdeckte, ob durch Zufall oder angelockt ist nicht überliefert, ein Schlupfloch. Er sah sich um, keine Menschenseele war zu entdecken und so kroch er hinein. Eine ganz eigene Welt eröffnete sich ihm. Ein ganzes Volk lebte hier unter eigenen Bedingungen, nicht unähnlich von den unsrigen, aber komplett abgeschirmt und selbstverwaltet. Vögel zwitscherten, Mauergrün hatte sich seinen Platz erobert und führte ein unberührtes Eigenleben so wie das kleine Volk sich selbst auch nicht im Weg zu stehen schien. Wenn ihr wissen wollt, was Xinjun dort gesehen hat, kommt in seinen Kokon und vergesst nicht eure Fantasie einzuschalten.

可能性:从前,有一具建筑的骨骸,长年地立在在城市的尽头。也许是投资商携款而去,人们无从知晓。一张巨大的建筑工地铁丝网将这座水泥骨架包围。在一个晴朗的日子,新军漫步到此——出于偶然或是被吸引前来不详——发现了这个庇护所。四周空无一人,他闯进这片工地,一个奇特的世界展现在他面前。一个庞大的族群生活在这特殊的境况中,这里与我们的社会并非全然不同,只是完全自立自制。小鸟在这里歌唱、野草在墙上扎根,这里的一切如此不受外界干扰,就像这里的居民一样,一切任凭自己的愿望。如果想知道新军在那儿看到了什么,那么请到他做的“茧”里坐一会儿,同时,一定不要忘了打开想象力的开关。






Zhai Liang 翟倞

Possibilismus: Man dreht sich im Kreis. Du sollst, du musst, du darfst, du kannst. Wir befinden uns in einem Konglomerat aus Erwartungen und Anforderungen. Die Welt ist gemacht, geschaffen, vorgegeben die Bewegung in ihr, die persönliche Entwicklung angelegt nach bestimmtem Muster. Das Selbst klopft an, verlangt danach, sich strecken zu können. Es will den Rahmen nicht gleich sprengen, darum geht es nicht, soll dieser sich doch um sich selbst kümmern. Aber wenn es zu eng wird, braucht man ein Schlupfloch, einen Ausweg. Die Unendlichkeit entwickelt ein Eigenleben, schert sich nicht um die mahnenden Zeigefinger und sucht nach persönlicher Freude. Im Ausfallschritt rechts um oder links befindet sie sich zwischen den Zeilen, aufrecht untertauchend wirbelt sie herum, zum Greifen nah. Lass dich von ihr führen, nimm sie selbst in die Hand. Wer mag, kann folgen. Wer besseres zu tun hat, soll er doch.

可能性:人们不停地画着一个圈。你应该、你必须、你允许、你可以。我们徘徊在期待和诉求之间。世界被塑造、被创造,充满了预设的运动。某种特定的模式左右着个体的发展。“自我”请求并渴望得到伸展,但目的并不是要去打破现有的一切条条框框,实际上,这些规则只要管好自己就好。但是,当外界的束缚过于紧迫的时候,我们需要一个庇护所、一条出路。于无穷尽中衍生出一个独立的生命,它不在乎说教式的劝告,找寻着属于自己的乐趣。这些乐趣左闪右避地隐藏在字里行间,自顾自地旋转着,近在咫尺。接受她的带领,将她握在手心。只要愿意,就可以跟随。若实在无暇,则尽管去忙。








He Jian 何健

Possibilismus: Ist die Suche nach einem Ausweg möglicherweise ein Irrweg? Dort ist ein Schild zum Notausgang, ein Glück. Ist dort ein Schild, wird man sich seiner Not gewahr oder sie stellt sich gar dadurch ein. Man fängt nicht an, die Not zu suchen, sondern den Ausgang aus ihr heraus. Eine Tür, mit mächtigem Sog zieht sie einen an, flugs hindurch, das wäre geschafft, weiter geht es, dort entlang, da ist das nächste Schild. Wir durchmessen die Räume, vermessen sie mit jedem Schritt, vermessen gehen wir auf die nächste Tür zu. Auf. Hindurch. Trepp auf, Trepp ab, noch voller Tatendrang, die Tat im Blick, alles andere wird nebensächlich. Nicht greifbar die Bedrohung hinter einem, doch sitzt sie einem im Nacken, man spürt sie doch. Oder etwa nicht? Lassen wir uns fangen von diesem Miniaturdasein im vielleicht sogar selbstgestrickten Labyrinth, ohnmächtig, undurchschaubar? Fühlt sich kafkaesk an? Gehen Sie ruhig weiter, bitte immer weiter …

可能性:对于出路的探寻过程是否可能反而误入歧途?那里有一个标明紧急出口的指示牌,多么幸运。这块指示牌能否使人意识到面临的困境?还是根本无所觉察?人们通常不会刻意寻找困境,而是突破困境的出口。具有强大吸力的一扇门,吸引着人们,穿过它,向前走,循着某种力量的指引,走到另一个牌子前。我们用每一个步伐测量着自身所在的空间,一边测量一边走到下一扇门前。往上攀爬,穿过去。上楼梯,下楼梯,仍然行动力满满,使命感驱使我们一路向前,目光坚定,其他的一切都不再重要。来自身后的威胁并不明确,但犹如芒刺在背,令人感受真切。或者不是这样?人们把自己囚禁在亲手编织的迷宫里,一个小小的模型里,无能为力,难以自拔?卡夫卡式的绝望?接着走吧,不论如何,请继续往前……






Hintergrund

Sicherheitszäune in BJ haben 2014 massiv zugenommen. Ständig gibt es neue vor jedermanns Haustür. Man fragte sich schon, ob man ein Zootier ist. Ob man inner- oder außerhalb der Gatter steckt. Dies war der Anlass, sich dem Thema Zäune anzunehmen.

Dann habe ich recherchiert, zunächst in westlichen Medien …

… nachdem ich mich durch seitenweise Angebote hauptsächlich aus Polen und Tschechien gearbeitet hatte, durch Zaunarten und etliche Dekoseiten;
… ging es um Landbefriedung, Bedeutung und Herkunft;
… um die Dualität des Zaunes.

Nach deutschem Ansatz ging ich anfangs davon aus, dass man Zäune generell niederreißen müsse. Und dabei ging es mir nicht um politische Motivation. Das sollte ich deutlich sagen. Mir ging es um die Schranken im Kopf – die natürlich auch politisch sein können. Mir ging es aber hauptsächlich darum, wie in China mit traditionellen Werten und der gesellschaftlichen Unterordnung umgegangen wird.

Der Begriff Sicherheit kann natürlich für alles herangezogen werden. Gerade da allerdings kommt ein Unwohlsein auf.

Doch der Dualität der Begrenzung kann auch ich mich nicht entziehen – über Intimität der Privatsphäre usw. bis zur Einschränkung. Der Gegensatz der erklärten und unerklärten Welt, das Definieren des Lebens: Davon kann man sich nicht lösen.

Nun gut. Nach etlichen Zäunen in Westmedien ging mir auf, dass Befriedung in China traditionell mit Mauern einherging. Da wo Zäune für das Auge durchlässig und beweglich, und auch Hecken noch weich sind, lassen Mauern keine Verbindung zwischen Innen und Außen zu. Also haben wir in China zunächst einmal Mauern statt Zäune. Die chinesische Mauer wie die Berliner Mauer.

Und Mauern sind darüber hinaus in China auch noch ziemlich hoch und konfuzianisch hierarchisch angelegt. Nach meinem Verständnis existieren psychologische, soziale und ideologische Zäune. Das habe ich alles hier gepostet: Über Zäune und hulans 护栏 (die Zeilen hier sind eine kurze Zusammenfassung der dort seitenlangen Ausführungen).

Dann aber wurde mir klar, dass es sich nicht um Befriedung handelt. Bei Straßenzäunen geht es um Personenführung und Massensteuerung. Ein Phänomen, dass im Westen nur in Ausnahmefällen notwendig erscheint. In Malls, in U-Bahnen, bei Massenveranstaltungen. In Duisburg zur Loveparade etwa. Damit war ich bei Massenbewältigung, Massendynamik gelandet. Wenn man das googelt, kommt man erst auf Propaganda, Geheimdienste, Überwachungsstaat, Scifi, neue Weltordnung, globale Bewusstseinskontrolle, Hypnose, Nationalsozialismus …

Dann kam ich endlich auf Massenpsychologie (Gustave Le Bon, 1895, Freud, 1921) und hauptsächlich auf detaillierte Fallstudien. Wobei man schon sagen kann, dass im Westen subtiler massengelenkt wird als in China. In U-Bahnhöfen etwa mit Anzeigetafeln und Werbung.

Jeder, der einmal in China war, wird festgestellt haben, dass die Bevölkerungsdichte etwas konzentrierter ist als im Westen. Weiterhin mag es einem ein wenig unaufgeräumter vorgekommen sein. Das haben wohl auch unsere Chefs dort so gesehen. Und im Zuge der Kultivierungskampagnen der Bevölkerung, natürlich auch zu unserer Sicherheit im Straßenverkehr, wurden Zäune aufgestellt. Alles andere als subtil. Erst ein paar, dann immer mehr, in meiner kleinen Straßen innerhalb des 2. Rings teilweise auf bis zu 4 Ebenen. Für Fußgänger, Fahrradfahrer, Autos. Jedem sein eigener Zaun. Da wird sich jemand eine goldene Nase verdienen. Entsprechend auch die goldene Version auf der Chang’anjie.

Ok, keine Befriedungszäune, keine Befriedungsmauern, dafür Massenlenkung. Ich dachte weiterhin wunderbar, mit dieser Omnipräsenz muss auch umgegangen werden. Ob man da nicht irgendwie auf die Barrikaden steigen kann. Mit künstlerischem Ansatz.

Ich suchte mir drei Künstler, die mir sehr gefallen, und erzählte ihnen stundenlang und mit ausgearbeiteten Mindmaps, was dieses Themenfeld alles zu bieten hat. Die Jungs machten sich ans Werk. Und ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was da vor sich ging.

Im Endeffekt könnte man sagen, dass dank dieser Ausstellung meine persönlichen Zäune im Verständnis über China einmal wieder umgestürzt wurden. Zwar predige ich Westlern gegenüber ständig, dass in China zwischen den Zeilen agiert wird. Aber ein Revoluzzerwunsch-Gen scheint auch weiterhin in mir zu schlummern.

Was wir hier sehen hat nichts mit Zäuneumschmeißen im westlichen Verständnis zu tun. Dennoch habe ich diese Art des Herangehens, nachdem es mir bewusst wurde, auch so auf den Straßen Beijings entdeckt. Dort nämlich sehen wir regelmäßig Dellen und Verrückungen, Umgehungen und Nichtbeachten. Autos stehen auf Fahrradwegen, so dass Fahrradfahrer die Autowege benutzen müssen. Genauso regelmäßig werden die Zäune wieder gerade gerückt und neu gestrichen. Es ist ein Hin und Her.

Auch wenn viel darüber diskutiert wird, sind Gesetze und Maßnahmen in Deutschland meist fest, es wird sich meist dran gehalten, Missachtung zieht Folgen und Strafen nach sich. Auch in China existieren Gesetze, mindestens so viele wie in Deutschland, gerne auch prozentual auf Landesfläche und Bevölkerungszahl umgerechnet. China ist mindestens so bürokratisch wie Deutschland.

Doch Einhaltung und Ausführung sind eine andere. Sagen wir mal etwas willkürlicher. Angewendet, wenn es halt passt. Von staatlicher Seite aus. Das weiß das Volk und hat seinen eigenen Umgang damit. Es wird mehr gemauschelt, Hintertüren sind beliebt …

Entsprechend agieren die Arbeiten, die wir hier sehen, innerhalb äußerer Begrenzungen. Zhang Xinjun hat sogar einen eigenen Kokon erarbeitet. Eine eigene Welt innerhalb der äußeren. Zhai Liang nimmt die Traditionen um Wahrsagerei und Welterklärungen auf die Schippe. Dazwischen sagt er 88, die chinesische Social Media-Abkürzung für baibai (Byebye). Respekt zollend wird der Hut gezogen, macht, was ihr wollt, aber ich bin dann mal raus. He Jian scheint, vielleicht durch sein Studium im Ausland, auf der Suche nach einem Ausweg, doch dieser würde bei ihm nur im freien Fall existieren. Deshalb schwirrt er weiter durch seine eigenen Räume.


Siehe im Zuge dieses Artikels auch 关于这个话题也看: Über Zäune und hulans 护栏 und Out of the Fence in Beijing

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Samstag, 20. Dezember 2014
BJ: Kunst im Dezember 2014
Noch eine schnelle Runde, bevor das Jahr zu Ende geht.

UCCA: M Home – Living in Space, 2-Dez-2014–6-Jan-2015.


Lin Tianmiao 林天苗: Protruding Patterns 凸起的文样. 2014(?).




Kohei Nawa: Direction; Moment; Ether. O. A.


Chen Wenbo 陈文波: Just What it is that Influences our Homes: Homage to Hamilton 是什么在影响我们的家庭,向汉密尔顿致敬. Ausschnitt. O. A.


Do-Ho Suh: Seoul Home/ Seoul Home. 2012.

Warum nur musste dies leichte Wolkenwerk zusammen mit den bunten 1960er-Jahre Möbeln einen Raum teilen?




Hier im Spiegel von Not Vitals Lotus, 2013.

Auch dieser Eckraum im Raum anbei, wenigstens ohne schreiende Farben, aber leider lahm:


Zhang Enli 张恩利: Space Painting 空间绘画. 2014.


Art Seasons: What Are You Thinking? Part Two, 13-Dez-2014–4-Jan-2015.


Zhang Xiaodi 张小迪: The Samsara of Book – Gems from Chinese Culture 书的轮回——古文观止. 2011.


Black Sesame Space: Maurice Bogaert: Strange Tales From My Chinese Studio (or A Script For a Work I Didn't Make, Yet), 14–21-Dez-2014.






White Space: Ignacio Uriarte, 13-Dez-2014–15-Feb-2015.


Ohne Titel, 2012–2014.


Ohne Titel, 2014, 356x506 cm.


Detail.


ShanghART: V&P, 20-Dez-2014–26-Feb-2015.


Hu Jieming 胡介鸣: 100 Years in 1 Minute 一分钟的一百年. 2014.


Chen Xiaoyun 陈晓云: Evolutionary History of Syrup Cosmos 糖浆宇宙进历史. 2013.


Shao Yi 邵一: Chasing the Light (1) 追光(一). 2013.


Sun Xun 孙逊: Clown's Revolution 诗歌工厂. 2011.


37.8 Art Lab: Liu Chao 刘超: We Found Liu Chao Space 我们创建了刘超空间, 20-Dez-2014–10-Jan-2015.




A Space A艺术空间: Exhibition of Laonong and Jia Bei 老农-家北双人展, 20-Dez-2014.




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Donnerstag, 18. Dezember 2014
Unlived by What is Seen 不在图像中行动


Zeit: 13-Dez-2014 bis 15-März-2015
Ort: Pace Beijing, Galleria Continua und Tang Contemporary
Hier alle auf einen Blick.

Kuratiert von: Sun Yuan & Peng Yu 孙原&彭禹 sowie Cui Cancan 崔灿灿

Es nehmen teil: 29 Künstler, 2 Organisationen, 3 Künstlerkollektive, gefühlt 593 Einzel- und Mehrfachpersonen oder auch alle, die entweder laut genug schreien oder tatsächlich etwas zu melden haben. Zehn bis zwölf Stunden, heißt es, brauche man zur Sichtung des gesamten Materials. Man sieht sich einer Flut von Videosequenzen gegenüber, die in die Bauhaussubstanzen in wohleingefügte Nischen platziert sind. Auch auf den zweiten Blick ist man überwältig von der Masse, es handelt sich mehr um Hintergrundmaterial und möchte Sicht und Ansätze der Künstler herausheben – das zeigen, was nicht in den Bilder bzw. was hinter ihnen existiert, der Titel als Programm. Für mich handelt es sich ehrlich gesagt entsprechend eher um Recherchematerial, und als dieses um sehr wertvolles. Doch bin ich nicht der Meinung, dass es in diesem Rahmen einer großen, drei Galerien umfassenden Sause präsentiert werden muss. Zumindest habe ich keine Geduld, mich vor die jeweils bestimmt halbstündigen, in Sättigung und Klarheit hochgejagten, wie Fernsehaufnahmen wirkenden Clips zu stellen. Viel lieber würde ich mir das Ganze oder ausgewählte Teile auf meinem eigenen Rechner am Schreibtisch oder zur Not auch auf einer Leinwand mit Sitzmöglichkeit davor ansehen. Als probaten Rahmen empfinde ich hierfür das WWW oder meinetwegen auch die Buchform mit DVD.

Was die Recherchehaftigkeit des gesamten Unternehmens unterstreicht, sind etliche Wandtafeln mit Infografiken und Analysen. Hier etwa über Xie Nanxing 谢南星 (in Pace Beijing):







Und hier von Huang Yan 黄彦 (in Tang Contemporary):







Auch die Weixin-Wand von Li Binyuan 历槟源 (in Tang Contemporary) mit all seinen Fotoposts über eineinhalb Jahre hinweg entspricht diesem Infomuster. Hier musste ich unweigerlich an Sun Yuan und Peng Yus Punkrock-/ Motorradstil denken, so röhrend ballerte mir die Wand entgegen.



Ich finde solche Schematisierungen großartig, nicht, dass sie immer unbedingt enorm aussagekräftig sind, aber sie lassen Gedankenwindungen zu. Doch obwohl es Kunstfertigkeit, viel Fleiß und konzeptuelles Denken erfordert, sie anzufertigen, handelt es sich für mich nicht um Kunstwerke per se, sondern um eine Vorarbeit zur Schaffung von etwas, das daraus entstehen kann – oder um eine Nacharbeit von und für Kunstkritiker und -historiker. Wie auch die Videoclips hätte ich mir dies lieber in Ruhe online angesehen.

Hier die kleine Auswahl der Werke, die mir gefallen haben:


Wang Shuo 王硕: Wheather Forecast is Inaccurate 气象预报不准确. 2013.
In: Pace Beijing.




Wei Bingqiang 卫秉强: A Piece of Leaf 一片叶子. 2013–2014.
In: Tang Contemporary.

Von Wei stammt auch einer der wenigen Clips, die ich mir tatsächlich eine Weile angesehen habe, was allerdings eher daran lag, dass es zu voll war und ich nicht weiterkam und außerdem, weil niemand im Goldenen Schnitt dargestellt auf mich einredete. Zunächst sah ich die Sequenz, in der eine Hand immer wieder ein Feuerzeug betätigte, ohne dass es ansprang. Darauf folgten ähnliche, sich im Kreis drehende Geschichten, ein gurgelndes Wasserloch, Ameisen, die hin und her und vermeintlich nirgendwohin strebten. Ich mag solche monotonen Momente, die einen hypnotisieren.


Wei Bingqiang 卫秉强: Consummation 圆满. 2011–2014.
In: Tang Contemporary.

HomeShop 家作坊 präsentierte die archivarische Retrospektive des eigenen Wirkens von 2008 bis 2013, und hier, endlich, mit Sammelband zum Mitnehmen und Nachlesen. Vielleicht erzählt der große Tonkrug von Bruder Qu ganz gut exemplarisch die Geschichte von HomeShop: Wie oft kann etwas zerbrechen, wieder repariert und anderweitig verwendet werden? Mich hat es sehr gefreut, alle wieder einmal an einem Ort zu sehen. Und wer weiß, was nach einer Versenkung von ein paar Jahren erneut entstehen mag.


Qu Yizhen 曲一箴 (HomeShop): Fish Bowl 鱼缸. 2011–2013.
In: Pace Beijing.

Am allerbesten hat mir die Aufmachung in der Galleria Continua gefallen. Auch hier hingen ein paar Videos herum, besonders aber gab es viel Leere.


Li Yongbins 李永斌 Raum war schon gut.

Wirklich begeistert war ich aber, nicht nur wegen des vorherigen Overflows, vielleicht jedoch ein bisschen, von dem Raum von Gu Dexin 顾德新:


Zumindest visuell, denn leider war aktives Aufatmen in den Hallen nicht möglich. Beim Hochgehen konnte ich nur ganz kurz oben ein Bild von Gus Ausstellungsfläche knipsen, einen Blick auf Zhuang Huis wunderbare Fotos werfen und dann schnellstens wieder rauslaufen, denn es roch bestialisch. Perng Fey meinte später, dass sich während der Renovierung Pilze über das beigefügte Wasser in die Farbe hineingewuchert haben müssen.


Zhuang Hui 庄辉: Zhuang Hui Solo Exhibition 庄辉个展. 2014.
In: Galleria Continua.

Ob es sich bei dieser Ausstellung wie angekündigt um eine Umdefinierung der Kunstszene handelt, wage ich zu bezweifeln. Man mag dem entgegenhalten, dass ich eine zu konventionelle Vorstellung davon habe, was als Kunst bezeichnet wird. Mein Plädoyer geht dennoch dahin, all dieses wirklich wertvolle Material in anderer Form zur Verfügung zu stellen. Ihr habt euch so viel Arbeit gemacht, könnt ihr nicht noch eine Webseite erstellen und dem Ganzen dadurch einen dauerhaften Nutzen abgewinnen?


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Donnerstag, 27. November 2014
Out of the Fence – Connected in Parallel 护栏——并联



Beijing: Opening on Nov-30 and artist talk on Dec-7!
北京:开幕式是11月30日,论坛是12月7日!


Exhibition 展览: 30-Nov-2014–7-Dec-2014
Opening 开幕式: 30-Nov-2014, 16:00
Artist talk 艺术论坛: 7-Dez-2014, 16:00
@ Black Sesame Space 芝麻空间
Heizhima Hutong 13, Dongcheng District, Beijing (West of Nanluo guxiang)
北京市东城区黑芝麻胡同13号(南锣鼓巷往西走)

With support of 赞助北京:Goethe-Institut (China) 歌德学院(中国).


Out of the Fence 护栏

In order to order population, fences are showing up massively on the streets and sideways of Beijing. It appears almost lunatic. Lunacy of constructing of structuring of regulating. Navigating the masses. Are we inside or outside the zoo gates?

Representing an enclosure of a piece of land in the West, fences in China regulate the masses and guide the people. Crowd coping seems only necessary in exceptional cases in the West – it is the daily card in China. Are fences restraints, borders, barriers? Do they offer security or seclusion or confrontation, are they possibly conquerable? How do we live inside them?

北京的街头巷尾,无论是人行道上还是马路上,到处竖立着分离和引导人群用的护栏!护栏从功能上等同于警示。警示有很多种,有建筑工地的警示、秩序警示以及对人群的控制。我们身在何处,是在动物园的栅栏以内还是以外呢?

西方的区域秩序的维护到了中国变成了对人群的引导和控制。在西方,通常只用于特殊场合的一种对群众的控制,到了中国,变成了家常便饭。护栏、强制和界限意味着障碍吗?护栏、强制和界限会给我们带来安全吗、还是会导致隔绝甚至是反抗?人们可以克服护栏吗?我们怎么生活在充满护栏的一个世界里?

Connected in Parallel 并联

How do we find, create and use the personal space inside the given and limited aisles? Our three artists are guided by all kind of fences on their ways, but they are also connected by fences and at the same time divided – connected in parallel. Inside these fences, they have their personal on and off buttons, with which they can switch and witch how they like. In this exhibition they are showing us their own paths …

这里涉及到的问题是,在业已存在并标明的路径中创造属于个人的自由空间并让它为自己服务。三位参展艺术家分别走着自己的路,这些路被充满各种可能性的护栏引导着伸向远方,他们三人彼此由护栏联系在一起,却又同时处于分离的状态。在这些围栏的范围内,他们依靠自己的开关,主动地决定自己与外部世界建立或中止联系。


And this is how it looked 展览是这样:







Zhang Xinjun 张新军:



Zhai Liang 翟倞:





He Jian 何健:





Thank you guys! 谢谢你们仨!




We went to a bar after the opening to celebrate … and happened to stumble on this – fences everywhere:
我们开幕之后去了一个酒吧……而碰到这个——那里都有护栏:




Also view for this topic 关于这个话题也看: Über Zäune und hulans 护栏.

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Mittwoch, 26. November 2014
Dai Xiang 戴翔: Neues vom Fluss während des Qingming Fests 新清明上河图

Ausschnitt aus Dai Xiangs Neuinterpretation, irgendwo aus dem Netz gezogen.

Ein berechtigterweise großes Highlight auf dem 10. Lianzhou Foto Festival. Mehr Bilder und Beschreibungen hier. Die gesamte Originalrolle hier und Dai Xiangs Gesamtversion hier.

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Dienstag, 11. November 2014
Über Zäune und hulans 护栏


Allüberall vermehren sich in Beijing zur Ordnung der Bevölkerung massiv die Zäune und Gatter auf Bürgersteigen und Straßen. Es grenzt an Wahn. Bauwahn. Ordnungswahn. Lenkung der Massen. Sind wir Zoobesucher oder -insassen? Was in Deutschland Landbefriedung bedeutet, ist in China Personenführung und Massensteuerung. Eine Massenbewältigung, die im Westen nur in Ausnahmefällen notwendig erscheint, steht in China an der Tagesordnung.

Sind Zäune Zwänge, Grenzen, Barrieren? Bieten sie Sicherheit oder Einigelung oder Konfrontation, kann man sie gar überwinden? Wie leben wir in ihnen?


Zäune im Überblick

Eine gute Weile beschäftige ich mich jetzt mit Zäunen und Mauern und habe mich in Beijing, aber auch in Deutschland und in Warschau mit allen möglichen Leuten darüber unterhalten. Spannend, jeder hatte bislang etwas zum Thema beizutragen, Geschichten und Ansichten gingen in alle möglichen Richtungen – Zäune wurden zu Mauern wurden zu Balken im Kopf, aber blieben immer ambivalent: man braucht sie und will sie überwinden.

Ausgangspunkt waren diese Überhand nehmenden hulans 护栏, die Sicherheitszäune. Begonnen habe ich mit der Recherche in westlichen Medien, ich habe viel an Material zusammengesammelt, viel ist es auch hier geworden. Man vergebe mir die Masse, ihre Aufbewahrung hier dient mir als Archiv und möge vielleicht auch die eine oder den anderen interessieren. Es geht, grob strukturiert, ineinandergreifend angelegt, um:

– Zäune in Begrifflichkeit: Wörter und Herkunft
– Zaunarten
– Dualität des Zaunes
– Ordnung
– Zaungedanken des Peterlini
– Ein paar deutsche Redensarten zum Zaun
– 护栏: Hulancing als Massenlenkung
– Massendynamik im Westen
– Barrikadieren in China
– In China sind Zäune der Befriedung traditionell Mauern
– Stadtraum nach Hassenpflug
– Mauerreiter 骑墙
– Ausstellung in Beijing und Düsseldorf: Vom Zaun in Parallelschaltung
– Quellenauswahl

Die angegebenen Referenzen verweisen auf die Quellenauswahl unten. Ich verwende hauptsächlich deutsche Begrifflichkeiten, erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern verstehe dies als Überblick – gespickt mit Phänomenen aus dem chinesischen Alltag, für die man sich an den Fotos orientieren mag.


Zäune in Begrifflichkeit: Wörter und Herkunft

Zunächst einmal sind Zäune (fence, railing) eine Form der Einfriedung, der Eingrenzung eines Geländes. Hindernis, Barriere, Absperrung werden gelegentlich synonym verwendet, der Unterschied aber ist, dass ein Zaun im Gegensatz dazu eine klar definierte Grenzziehung markiert. Gatter und Pferch bezeichnen die Absperrung für Tiergehege. Das deutsche Wort Zaun (verwandt mit engl. town und niederdt. tuin für Garten/ Zaun) bezeichnet ursprünglich nicht das Hindernis selbst, sondern das von ihm umschlossene Gebiet, die Umzäunung. „Der Wortlaut Zaun ist seit dem Althochdeutschen erhalten geblieben. Etymologisch hat das Wort seinen Ursprung im Vorgermanischen und steht für fertigmachen, zubereiten, erhielt dann im Indogermanischen die Bedeutung Stadt, befestigte Stadt, im Germanischen die Bedeutung Einfriedung, umfriedeter Platz und im Althochdeutschen schließlich die Bedeutung Gehege, Verschanzung, Zaun, Umzäunung“ (WAV).

– englisch town mit derselben Sprachwurzel für Zaun als Stadt
– niederländisch tuin für Garten mit Zaun als Garten
– altsäschsisch gard für Zaun
– neuenglisch garden für Garten
– altenglisch geard für Umfriedung
– neuenglisch yard für die Maße des Feldes
– altnordisch Gerdhr für Zaun und Schutz, Hag für Zaun, Hege, Gehege
– im Hebräischen gerät man nicht aus dem Häuschen, sondern aus dem Zaun
– germanisch buan für wohnen, bauen, zugleich: sein, Dasein, schonendes Dasein
– lateinisch lex verwandt mit legare für binden, lesen, Lexis für Wort; Zaun ist Teilung, Verbindung, Gesetz, Wort
– lateinisch templus für Bezirk, stammt aus griechisch für schneiden, ableiten
– lateinisch struere für bauen
– lateinisch angustiae für Enge, heißt Angst
– griechisch phobos für Furcht
– germanisch tuna für Zaun, der eingehegte Platz

Definieren heißt scheiden, unterscheiden, heißt Grenzen ziehen, „um den einen Gedanken (abzugrenzen) von der Unendlichkeit des Ahnens“, „verlangt nach Ordnung, Genauigkeit, Logik, Strenge, Abstraktion“, die Schrift meißelte in Stein, was Gesetz war (Peterlini).

Das Ziehen von Grenzen zur Teilung dessen, was früher eins war, eine Erde, ein Land wurde geteilt, machte zu Teilen, Volk für Volk, Stadt für Stadt, Mensch und Umwelt/ Natur. Aus dem Verständnis einer Eingrenzung wurde die „Notwendigkeit der Abgrenzung, um einen eigenen Bereich definieren zu können, in welchem das eigene Recht herrscht“ (WAV). Zäune dienen der Kenntlichmachung von Besitzverhältnissen an Grund und Boden im öffentlichen Raum oder der Eingrenzung von Mensch und/ oder Tier oder Verwendung zum Verbergen von Blicken Unbefugter.




Hier muss ich an die hohen blauen, undurchlässigen Baustellenzäune bzw. die Sichtschutzmaßnahmen in China denken, die um jede aktive oder auch inaktive Baustelle im ganzen Land zu finden sind. Ein öffentliches Phänomen, das einen Westler gerade wegen seiner vorgeblichen Undurchdringlichkeit argwöhnisch macht, aber doch weniger unüberwindbar ist als es wirkt. Dies ist die Thematik von Innen und Außen, bei der ich mir ständig selbst widerspreche, wenn ich darüber nachdenke. Deshalb möchte ich hierfür zunächst gerne auf den Abschnitt unten über Hassenpflugs Stadtraumkodierung verweisen.


Hinterm Trommelturm durch einen Bauzaun geblickt.

Das Blau findet sich gerne auch in Weiterverwertung, etwa als Gartenlaube:



Hier abseits vom Schuss in der Beigaolu am Airport Express. Hinter der schedderigen Bauzaunreihe findet sich, wie in diesem Gebiet verbreitet, eine Baumschule. Warum es allerdings dieser riesigen, frisch warnend gestrichenen Betonbolzen bedarf, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.






Zäune dienen der genauen Positionierung, sind Sichtbarmachung einer Linie. „Städte wuchsen nicht auf freiem Feld, sondern in einem Rahmen, den die zum Schutz angelegte Stadtmauer vorgab“ (Menzel). Der Zaun schafft ein Gebiet, eine Zone, gibt dem da drinnen einen „abgesonderten, besonderen, erhöhten Wert“ (Peterlini). Ein Zaun ist Gesetz, wird er ungebeten überschritten, bedeutet dies seit jeher Rechtsbruch.

Die Erschließung des amerikanischen Westens durch die Siedler verlief so, dass zuerst das eroberte Territorium umzäunt wurde, worauf man sich dort niederließ. Auch heute ist es Sitte, erst den Zaun aufzustellen, bevor mit dem Hausbau begonnen wird. „Das kann mitunter Jahre dauern, Hauptsache ist, das Revier ist markiert.“ Andere Völker wie die amerikanischen Ureinwohner verwenden Zäune nur zum Schutz, nicht zur Besitzergreifung. Siehe Menzel für diesen Abschnitt.




Es gibt Sitten (oder Unsitten), ganze Privatgrundstücke einzuzäunen, sehr deutsch, aber ursprünglich aus England stammend, angefangen hat es mit der Umzäunung von Weideland oder Gärten, dann kam irgendwann das gesamte Grundstück dazu. Im Beijinger Künstlerviertel Heiqiao wird dem gerade zu Frönen begonnen, was in Deutschland gemeinsam mit dem Gartenzwerg als kleinbürgerliche Spießigkeit bekannt ist – mit Rechthaberei, kleinkariertem Besitzdenken, dem Streit am Gartenzaun unter Nachbarn oder aber als Symbol für Gemütlichkeit und häusliche Idylle. Dieses Heiqiao-Phänomen wirkt auf mich äußerst skurril. Ich muss ein bisschen ausholen. Als das 798 zu kulturindustriell teuer wurde und auch Caochangdi mehr und mehr von renommierten Galerien besetzt, ging man noch ein Stückchen weiter nach draußen. Chinesischer Pragmatismus ist unübertrefflich, flugs waren ganze Ackerflächen von Einzelpersonen aufgekauft (gepachtet im deutschen Sinne, da Landeinnahme in China zeitlich begrenzt ist). Künstler brauchen hier Platz, Künstler bekommen 100 bis 300 Quadratmeterflächen, größtenteils aus Containern und anderem Billigstmaterial zusammengezimmert, weil man ja nie weiß, wann der Abriss droht, man weiterziehen und die ganze Investition neu angelegt werden muss. Viele Künstler produzieren hier nur und wohnen etwa im nahe gelegenen Wangjing, aber genauso viele können sich dies nicht leisten und leben in ihren Studios. Nun besteht das Viertel schon seine sieben, acht Jahre. Ob es der Aufwertung dient, um die Mietpreise alsbald anzuheben, dem Übertünchen, der Heimeligkeit, auf jeden Fall ging es von den Vermietern aus und Mitte diesen Jahres tauchten auf einmal Gartenzäune vor den Studios auf. Vermutlich fing einer an, die anderen zogen nach. Ok, hier werden viele Sitten, die in anderen Ländern als Unsitten verschrien sind, umfunktioniert, kulturelle Ummodellierungen finden statt, mit Übernahme nur einzelner Aspekte in einen ganz anderen Kontext verpflanzt. Künstler einmal niedlich interniert also.

Hier eine kleine Fotoserie als Exkurs. Um Sinn und Zweck geht es wohl nicht, aber die Frage stellt sich doch, wie dies hier nicht nur hingenommen, sondern teils auch aufgenommen wird. Ist doch ganz nett? Schafft auch im Außen ein wenig Privatsphäre? Am ehesten gilt wohl noch das Argument der Rankhilfe für Kletterpflanzen und Grün schmeichelt dem Auge oder muss für Fahrtwege gezähmt werden.





Was man zuvor kannte, waren die eingepferchten, zusätzlich angeketteten, doch nie zum Auslass gelassenen Hunde in ihren Zwingern. Gibt es weiterhin.





Nun, und das erschließt sich mir wirklich nicht, wurden zusätzlich Gestrüpp eingezäunt …



… und Fensterzeilen.



Manchen schien dies so gut zu gefallen, dass sie selbst Hand anlegten. Green Rasenstreifening.




Zaunarten

Ein Zaun ist aus Holz, Metall oder Kunststoff – aus Stein oder Beton ist es eine Mauer, der Unterschied des Zauns zur Mauer ist ihre Möglichkeit des Transports und die begrenzte Durchlässigkeit; aus lebendem Material ist es eine Hecke; Knicks sind die Windschutzhecken auf Wallanlagen in Norddeutschland; ein Zaun in geschlossenen Räumen ist ein Gitter.

Eine kleine Zaunlandschaft gefällig?

Es gibt Maschendrahtzäune (den sogenannten Diagonaldrahtgeflechtzaun), Stacheldrahtzäune, Flechtzäune oder Speltenzäune, Metallzäune (auch Gittermattenzaun), Holzzäune, Lattenzäune oder Staketenzäune, Jägerzäune, Schrankzäune oder Weidezäune, Palisadenzäune, Bohlenzäune, Bretterzäune, Ringzäune, Betonzäune (mit Pfosten als Doppel T-Träger und Platten), elektrische Weidezäune, Elektrozäune, Wildzäune, Ballfänger (Schutzmaßnahmen auf Sportplätzen), Bauzäune, Naturzäune, Industriezäune, Sicherheitszäune, Hochsicherheitszäune, Schmuckzäune, Handelszäune, Grenzzäune (zur Abgrenzung staatlicher Territorien).

Weiter gibt es Zaunpfähle und Zaunpfahlprobleme, Zaunreben, den Zaunkönig, es gibt Zäune, die als Werbeflächen umfunktioniert werden, und solche, die mit Warnhinweisen be- oder sogar überdeckt sind. Es gibt dekorativ umfunktionierte Zäune, etwa als Rankhilfen im Garten. Es gibt von Land zu Land unterschiedliche, die jeweilige Landschaft prägende Zauntypen und -formen, aber in allen Kulturen gibt es Zäune als „Schutz des Inneren und Durchlassen des Lebensnotwendigen“ (Peterlini). Es gibt das Wort Zaunkultur, es gibt ideologische Zäune, es gibt Zäune des nationalen Stolzes. In Deutschland gibt es natürlich Vorschriften zur Bezäunung und Umzäunung, die sogenannten Zaunanordnungen, es darf nicht einfach wild gezäunt werden, es gibt Mindesthöhen und Mindestabstände, auch maximale Öffnungen, es gibt Vorschriften zur Tiefe der Verankerung und der Art des Fundamentes, jede Art von Zaun hat ihre eigene Art von Vorschrift.


Dualität des Zaunes

Schutz, Geborgenheit, Bewahrung, Privatsphäre … oder … Hindernis, Einschränkung, Grenze, Überwindenmüssen.

Es gibt physische Zäune, Mauern, Grenzen, Hindernisse, Barrieren, Schranken, die in ihrer Intention und Nutzung einen funktionalen Pluralismus von sozial, ideologisch bis psychologisch verräumlichen:

Sozial schließt ein Familie, Gemeinschaft, Geborgenheit, Privatsphäre, Intimität, Sorglosigkeit, Sesshaftigkeit, Frieden, Recht, Heimat, mein/ unser/ wir, aber auch Vereinsamung, Verarmung, Erstickung, in sich gekehrt. Es schließt aus, was öffentlich ist, dein/ euer/ ihr, fremd.

Ideologisch umzäunt Sicherheit, Schutz, Bewahrung, Gesetz, Norm, Recht, Zivilisation, Gewinner, die erklärte Welt, Sinnstiftung, umfasst Besitzergreifung, Besitzdenken, Machtanspruch, Machtsymbolik, Erhabenheit, Gemeinschaftsethos. Es grenzt Gefahr aus, Wildnis, Verlierer, Dämonen, die unerklärte Welt, es sperrt sie aus, verbirgt sie, schottet sich gegen sie ab, verbarrikadiert sich. Bleibt die Frage nach der Gefahr, was suggeriert Gefahr? Ist es Einschüchterung zum Stillhalten? Ähnlich der Terrorgefahr?

Psychologisch in wohl mehr als leichter Überschneidung spricht man vom Grundbedürfnis nach Besitz, Eigentum, Alltag, Ordnung, Einteilung der Welt, der Lebensmuster, der Lebensform, der Lebensweise, Definierung, Positionierung, Orientierung, Idylle, Rang. Andererseits ist es auch ein Grundbedürfnis, über die Mauer schauen zu können, sie zu überschreiten, Grenzen zu testen, Neues zu erkunden, Horizonte zu erweitern, Denkmuster und Gesellschaftsmodelle zu überwinden, Perspektiven zu wechseln, zu hinterfragen.

Wo liegt der Bewusstseinsgrad der Existenz von Zäunen? Ihr Zwischenbereich liegt inmitten von Sondern, Absondern, Sinn und Verbinden, Abbinden, Wahn, ist Begrenzung, Abgrenzung, Einschränkung, Ordnung, Funktionalität, Abstand, geregelte Kontrolle, Chaosminimierung, Respekt und gnädiges Wegsehen oder die Einladung zur Partizipation. Wo ist der Graubereich zwischen Errichten und Bedeutungsarmut und auf der anderen Seite Niederreißen und Nichtbeachtung? Müssen Zäune automatisch unmündig machen? Oder mit ihrer Durchlässigkeit Ahnen, Hoffen, Glauben, Verheißung vorgaukeln?

Der Zaun im Traum steht meist für soziale Barrieren oder Klassenschranken, aber auch für das Bedürfnis nach Privatsphäre, Sicherheit, Geborgenheit. Er symbolisiert Grenzen, eine einschränkende Wirkung auf das Leben. Er kann auch für Schwierigkeiten stehen oder für selbst errichtete Hindernisse, mangelndes Selbstbewusstsein und Selbsteinschränkung (Traumdeutung).

Der Zaun symbolisiert das Überschreiten einer Grenze als Eintritt oder Wechsel in einen neuen Abschnitt, Lebensabschnitt. Überwindung ist verbunden mit zunächst einmal starker physischer, aber auch mit mentaler Anstrengung. Auf einen Zaun kann man draufklettern, man kann ihn übersteigen, durch ihn hindurchschlüpfen, vor ihm stehenbleiben, an ihm scheitern, hängenbleiben, sich verletzen, drüber wollen, aber nicht können, von ihm herunterfallen, mit ihm zusammenbrechen, ihn niedertreten, drüberspringen, man kann ihn aber auch selbst errichten. Ein Zaun bietet Schutz, aber verstellt auch den offenen Blick, weshalb man gelegentlich überprüfen sollte, ob er notwendig ist.

Dann beinhaltet ein Zaun immer auch an einem bestimmten Punkt einen Durchgang, ein Tor, ein Ende, durch das man, und nur hier, Einlass gewährt bekommt – oder auch nicht.

Zäune implizieren Trennung von hier und dort, Begrenzungen, Abgrenzung, Einteilung, Unterteilung, Einschränkung. Auf der anderen Seite die scheinbar immer wichtiger werdende Sicherheit, die Markierung einer Außengrenze als Schutzfunktion zur Erhaltung des inneren Friedens- und Rechtsraumes. Der Zaun als Schutzmechanismus. Der Zaun zur Abgrenzung von Nachbarn, zur Verdeutlichung des Eigentums, für die uneinblickbare Privatsphäre (bei hohen Heckenzäunen) gilt er auch als Warnung vor dem Eintreten in den Privatbereich. Das Signal des Zauns: bis hier hin und nicht weiter, hier meins, dort deins. Hier meine Heimeligkeit, Sesshaftigkeit, Versorgtheit, Sorglosigkeit. Es ist die Grenzzone zwischen innen und außen, privat und öffentlich, ich und du, mein und dein, wir und ihr, hier und dort, Anfang und Ende, der Zaun selbst ist beides.

Der Doppelcharakter des Zaun ist genormt und individualisiert. Er bezeichnet ein Grundbedürfnis, Besitzanspruch, steht gar für Alltagskultur. Zaunkultur könne als „subtile Bewusstseinsstudie“ gelesen werden (zu Andries und Rehder). Und sie kann als Selbstbeschränkung verstanden werden. Der äußerer und der innerer Zaun als Grenzen des Innen und Außen, des Anderen, als symbolische Grenzen, auch als kultureller Zaun zwischen Ost und West und was immer sonst an Pluralitäten denkbar scheint.

Was für ein Gefühl vermitteln Zäune – von Sicherheit bis Einschränkung –, geht es ohne, wie kann man sie überwinden, verschwinden lassen? Besonders traditionelle Vorstellungen, Konzepte, Denkmuster, Ansätze – das ist so, das war immer so, das wird immer so bleiben – sollten regelmäßig, mit jeder neuen Generation wieder hinterfragt werden. Es heißt, es liege in der Natur des Menschen, Grenzen zu ziehen und Zäune zu errichten. Gerne wird hierzu Rousseau zitiert, ich schließe mich an: „Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört!’“ (hier aus Menzel).

Andries und Rehder sehen in ihren Zaunwelten die Geschichte des Zauns als Geschichte des Kapitalismus, Zäune seien unmittelbar mit der Entwicklung des Privateigentums und der Individualität verbunden, zu finden überall dort, wo Menschen ihren Besitz gegen andere abgrenzen mussten. Das Eigene wird eingeschnürt in sein Selbstsein, jede Norm, so Peterlini, „ist ein Zaun: Sie kann nicht verhindern, dass wir sie übertreten, aber sie weist uns daraufhin, dass wir übertreten – hinübertreten“. Der versteinerte Zaun, der Stacheldrahtzaun, der Zaun mit Selbstschussanlage will mehr, will zur Einhaltung der Grenze nötigen, „setzt nicht mehr darauf, dass der Mensch für sich bestimmt, was gut und was schlecht ist, sondern zwingt ihn (…,) er tötet, wer ihn überschreitet (…, er) warnt nicht (…), sondern ist der Dieb, der das Land stiehlt, der die Freiheit stiehlt, der das Leben stiehlt“ – zeitversetzt zieht er Strafe nach sich (Peterlini).

„Was scheidet das Gute vom Bösen derart, dass wir das eine vom anderen glauben absperren zu können?“, der Zaun ist die Konstruktion von da ist Gut, da Böse, er ist die Teilung, um uns leichter zurechtzufinden. „Je weniger wir vom Bösen wissen, desto rein böser ist es, desto mehr befestigen wir den Zaun, bewachen ihn, bewehren ihn mit Stacheldraht, bestellen ihn mit Todesschussanlagen. Je mehr wir vom Guten zu wissen glauben, desto undurchdringlicher ziehen wir unsere Zäune um das Gute herum, desto blinder werden wir, desto unempfindlicher für das, was außerhalb unseres vermeintlich Guten ist, für das Böse, das innerhalb unseres vermeintlich Guten steckt. Der Zaun im Kopf ist die Blendung, dass wir auf der richtigen Seite stehen, dass es eigentlich überhaupt nur unsere Seite gibt und ein böses Draußen.“ Deshalb, schreibt Peterlini, bauen wir Mauern.

Die Mauer als Übertreibung des Zauns bricht ein, wenn ihr Sinn übertrieben und durch Übertreibung in ihr Gegenteil verkehrt wird, sie schützt nicht mehr, sondern sperrt aus, bis sie selbst daran zugrunde geht.


Ordnung

Hans Karl Peterlinis Essay möchte ich gerne jedem zum Thema Zaun ans Herz legen. Wunderbare Sätze finden sich hier. Etwa: „Der Zaun strukturiert die Landschaft, strukturiert die Welt.“ Der Zaun dient dem Kategorisieren, der Einteilung der Welt und der Verständlichmachung. Im Zaun „steckt sein Sinn und sein Wahn, der Sinn des Schaffens durch Sondern und Verbinden, der Wahn des Absonderns und Abbindens“, ohne Wahn kein Fortschritt, „Die Geschichte der Menschheit ist ein Errichten und Niederreißen von Zäunen.“ Der Zaun kann als Lebensprinzip im Teilen, Überwinden und Verbinden gesehen werden: „Alles Leben ist ein Trennen, ein Abschiednehmen, ein Verlassen, ein Suchen, ein Versuchen, ein Finden und Verbinden“ (Stavros Mentzos nach Peterlini). „Der Zaun ist das Teilen. Das Teilen, Trennen, Scheiden, Sondern ist ein Schaffen des Lebens. Es bedarf seines Gegenstücks, der anderen Wirkung des Zauns: des Bindens, Verbindens, des Wiederverbindens, was getrennt worden war (…). Der Zaun ist Teil: Das Teil weiß um das Ganze, stützt es, schützt es, ist vom Ganzen getrennt und strebt zum Ganzen zurück. Der Zaun bedarf des Durchlasses, um Leben zu stiften und es am Leben zu halten. Erst wenn das Teil auf das Ganze vergisst, dessen Teil es ist, wenn es die Verbindung trennt zum Ganzen, wenn es die Suche aufgibt danach, wenn es nur noch teilen und nicht mehr Teil sein will, verkehrt sich der Sinn des Zauns vom Schaffen des Lebens zum Zerstören des Lebens.“ Und das „Teilen ohne Verbinden lässt uns vereinsamen, verarmen, ersticken“, wir „sehen den Zaun nicht, wenn wir ihn nicht sehen wollen, aber wenn wir ihn sehen wollen, sehen wir nur noch Zäune.“

Damit kann der Zaun zum Unsicherheitsfaktor werden: „Ist der Raum, den Zäune absondern, groß genug, wird der Zaun nicht als Begrenzung empfunden, lässt es sich leben darin. Je enger der Zaun sich zusammenzieht, desto enger wird es dem Leben darin“. Platon hierzu, immer noch nach Peterlini, hier paraphrasiert: vor dem Zaun müsse die Idee des Zauns vorhanden gewesen sein, vielleicht einfach als urmenschliches Bedürfnis, dass sich im Zaun manifestiert habe. Ordnung muss sein und Kontrolle an Aus- und Eingängen will entsprechend geregelt sein.


Zaungedanken des Peterlini

„Ist der Zaun ein Bedürfnis, dann ein irdisches. Erwächst aus der Erde, löst sich gen Himmel auf. Der letzte Zaun der Welt sind die Ausfransungen der Atmosphäre in das vermeintliche Nichts des Kosmos hinein. Dort endet die Welt und beginnt das Unfassbare, endet unsere Wohnanlage, beginnt die Straße ins Haltlose. Der letzte Zaun der Welt ist die Grenze zwischen dem greifbaren Etwas und dem ungreifbaren Nichts, eine dünner und dünner werdende Hülle aus wechselnden Arten von Luft, eine Membran, hinter deren verletzlicher Haut unser Leben schlägt.“

„Sie hatten den Zaun überschritten aus einem geschützten, aber zu eng, zu dünn gewordenen Leben in ein anderes, fremdes, das nun das ihre, das eigene werden sollte. Im Zaun und im Überschreiten des Zauns ist festgeschrieben der Menschheits-, der Lebensmythos.“ Der erste Zaun bzw. der vorläufig erste Zaun ist nach Peterlini „ein Membran“, er „hatte alle Eigenschaften, die einen Zaun ausmachen: Er musste durchlässig sein, denn Leben in der Zelle war nur möglich, wenn die Ursuppe, durch sie durchfloss (… eine Grenze bildete), denn Leben in der Zelle war nur möglich, wenn die Ursuppe draußen gehalten wurde. Mit diesem ersten Zaun entstand das Ich einer Zelle, die nicht mehr im Wir aufging, sondern ein Eigenes bildete, die nicht mehr ungeteilt, sondern ein abgesondertes, besonderes Teil des Ganzen war. Das durchlässige Teilen ist die Ureigenschaft des Zauns.“ Ist dies der Grundgedanke des aufgeklärten westlichen Individualismus?

„Der Zaun ist der uns sichtbare Teiler des Lebens, der das Leben schafft, indem er es sondert, indem er es bindet. Erst was geschieden ist durch den Zaun und ein Eigenes wurde, kann sich neu binden und ein Wir bilden. Wer den Zaun geschaffen hat, ob er sich selbst geschaffen hat, liegt hinter dem allerletzten Zaun der Menschheit, hinter dem Übergang vom Hier zum Dort, von dem wir nichts wissen. Der allerletzte Zaun der Menschheit sind die Grenzen unserer Sinne, unseres Denkens, unseres Lebens, ist der Tod, aber nicht nur der Tod: ist die Dunkelheit hinter unserer Erkenntnis. Wie jeder Zaun sondert er ab und lässt durch, unser Ahnen, unser Hoffen, unser Glauben. Das Wissen lässt er nicht durch, das Wissen sperrt er aus. Wer weiß, was drüben ist, wenn es ein Drüben gibt, wer kann es wissen, ob es ein Drüben gibt oder dass es keines gibt? Das Leben ist diesseits des Zaunes, ist gestiftet durch die Absonderung vom Jenseits.“


Nun zwischendurch …

Ein paar deutsche Redensarten zum Zaun

– da will ich nicht tot über dem Zaun hängen
– etwas/ einen Streit vom Zaun brechen
– Wink mit dem Zaunpfahl
– nicht mehr alle Latten im Zaun haben
– Zitteraal (wenn man an einen elektrischen Zaun pinkelt)
– die Zäune abreißen
– der Zaungast ist ein Zuschauer, der außerhalb des Zaunes eine meist kostenpflichtige öffentliche Veranstaltung betrachtet, ohne zu zahlen, dies kann auch ein Vogel sein, der sich auf den Gartenzaun setzt; im übertragenen Sinne handelt es sich um den Beobachter von Ereignissen ohne Einfluss oder aktive Teilnahme

Aus dem Chinesischen hat Eva dies hier beigesteuert: 寄人篱下, Abhängigkeit des eigenen Lebens von jemand anderem; wenn man ohne Mittel und ohne Zuhause auf andere angewiesen ist und darum nichts Anständiges zum Wohnen findet, sondern draußen vor dem Zaun übernachten muss.


护栏: Hulancing als Massenlenkung

Die chinesischen Zäune sind all dies eigentlich nicht, sondern das waren und sind immer Mauern gewesen und sind es, vor allem, was die symbolische Form angeht, weiterhin. Es sind Stadtmauern, Regierungsmauern, Verwaltungsmauern, Mauern in Hutongs um Siheyuans, durchhierarchisiert von oben nach unten – solange Konfuzius lebt und immer wiederbelebt wird. Zumindest sind es Sichtschutzzäune, die die Sicht nicht durchlassen, wie die oben beschriebenen Bauzäune.

Die chinesischen Straßenzäune haben eine andere Funktion, sie ordnen und lenken die Gesellschaft, die Masse der Gesellschaft. Es geht um das Freiraumlassen für den linken und das für den rechten Teil der jeweils einen oder anderen Seite, es geht um Chaosminimierung. Andererseits denke ich, es ist ein wichtiger Punkt, der nicht unterschätzt werden kann, dass hier jemand auf den Sicherheits-Angst-Zug aufgesprungen ist und damit richtig ordentlich Geld verdient. Oh, hier brauchen wir unbedingt noch eine weitere Reihe.

In meiner Straße existieren diese Biester teilweise in Viererreihe! Und das bei einer kleinen Verbindungstraße innerhalb des zweiten Rings als Begrenzung zwischen Fahrrad, Auto hoch, Auto runter, Fahrrad. 保护您和我和大家:安全第一!Zu Ihrer, meiner, unser aller Sicherheit: Sicherheit an erster Stelle. Wunderbar von den Amis übernommen.



Diese Zäune existieren in mannigfaltiger Ausführung. Es gibt niedrige und hohe. Im April 2014 kamen güldene Versionen hinzu. Diese verlaufen seitdem die komplette Chang’an jie entlang, in der Mitte vorbei am Maoporträt docken sie an ihren beiden Ende an den westlichen und östlichen 2. Ring. Herr Zaunproduzent wird sich die Hände gerieben haben, dumm ist er nicht. In ihrer Mitte sind die massiven Gestelle mit Kronenemblemen versehen, bei Regierungseinfahrten gibt es sie zum Verschieben, aufgestellt sind sie in drei Reihen, außerhalb der beiden Fahrtrichtungen und in ihrer Mitte. Dazu immer noch mal so zwischendurch, für jeden und für jede Eventualität ist etwas dabei. Seht euch die Herrlichkeit selbst an.















Kleiner Goldrausch.

Dann gibt es da natürlich noch die Lenkungsmaßnahmen vor allem an U-Bahnhöfen, an Bahnhöfen und Flughäfen, aber auch an, vor und teilweise gar in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen. In unendlich erscheinenden Schleifen wird man durch Absperrungen geschleust. Nicht wie andernorts mit Flexibändern getrennt, die man bei wenig Ansturm öffnet, sind sie meist aus Stahl und, obwohl auch hier die Möglichkeit des öffnenden Durchlassens bestünde, eigentlich immer und anhaltend geschlossen. Das kann wiederum an der Lustlosigkeit unterbezahlter Arbeitskräfte liegen, vielleicht folgen sie jedoch auch Anweisungen. Ermüdungstaktik? Jemand nannte letztens den Südbahnhof Beijings als bestes Beispiel. In einem Atemzug mit dem neuen Terminal des Flughafens zu den Olympischen Spielen und aus einem Designguss entstanden, handelt es sich um ein riesiges Gebäude, es ist der größte Bahnhof Asiens, hier fahren die Schnellzüge gen Süden ab, es geht über einige Etagen mit enormen Freiflächen. Die Navigation verläuft, kommt man mit dem Auto an, über ein einspuriges Nadelöhr – es existieren zwei Spuren, was auch nicht viel ist, aber eine bleibt gesperrt –, regelmäßiges Warten im Stau ist vorprogrammiert. Anfangs dachte ich, das wäre architektonisch verplant worden, kommt ja nicht selten vor. Aber es geht so weiter. Wenn man aussteigt, sind höchstens zwei der vielen Eingangstüren geöffnet. Auch wenn man mit der U-Bahn ankommt, gibt es nur ein Türchen. Danach muss man sich wieder anstellen und durch ein weiteres Öhr, durch die in China auch an Bahnhöfen wie weltweit nur an Flughäfen üblichen Sicherheitskontrollen. Nach Ansicht des Bekannten, der mich hierauf aufmerksam machte, ist dies gewollt, damit ein möglichst kleckerweises Eintreten vonstatten geht und so möglichst viel unter Kontrolle bleibt. Nadelöhr und Slalomlauf zur Ermüdung, damit nicht andere Dummheiten heranreifen. Oder halt um Schnellschussattacken abzuhalten oder was auch immer in von Terrorpanik durchfluteten Gehirnen vor sich gehen mag. Ja, ich weiß, auch hier gab es Kunming, aber eben, wenn ich so etwas vorhabe, hält mich doch kein Zaun auf oder ich plane ihn ein, um ihn herum. Diese spezielle, Viehfarmen nicht unähnliche Gatterart scheint mir wirklich einer Kontrollparanoia zu entspringen. Die chinesische Regierung muss so viel braune Masse in ihrer Hose haben, die hervorzuquillen droht, wenn nicht Hunderte von Hebeln in Bewegung gesetzt werden.

Hier am Dongzhimen nur in kleiner, aber nicht weniger massiver Ausführung:




Ganz ergeben schleust dieser Mann seine Gepäckstücke eines nach dem anderen durch die Beschränkung.


Massendynamik im Westen

Beim Googeln nach Massensteuerung, Massenlenkung landet man in westlichen Quellen zunächst bei Politik, Propaganda, Geheimdiensten, Überwachungsstaat, Scifi, neuer Weltordnung, Zentralisierung, globaler Bewusstseinskontrolle, Hypnose, Nationalsozialismus. Suche weiter nach Massenpanik, nach Duisburg-Desaster und Loveparade und hier wären wir endlich bei der Psychologie der Massen, bei Egoismen lenken. Ansonsten wird im Westen Massenlenkung etwa bei Shopping Malls oder in U-Bahnhöfen über Werbeflächen und Anzeigetafeln gelöst – impliziter bis konsumorientierter, was das Ganze dezenter macht, aber auch nicht weniger Gehirn waschend.

– Gustave Le Bon (1841-1931), Begründer der „Massenpsychologie“: Psychologie der Massen.
– Sigmund Freud: Die Massenpsychologie und die Ich-Analyse. 1921.
– Thomas Brudermann: Massenpsychologie. Psychologische Ansteckung, Kollektive Dynamiken, Simulationsmodelle. Springer: Wien und New York 2010.

Massenphänomene sind wichtiger in der Soziologie und den Politikwissenschaften, und dort sind es meist auf Mikrophänomene bezogene Untersuchungen. Etwa von Norris R. Johnson: Panic at The Who Concert Stampede: An Empirical Assessment. In: Social Problems. Vol. 34, No. 4, 1987, S. 362–373. An anderer Stelle geht es um Organizational Behavior and Human Decision Processes. Der „wesentliche Grund für mob-ähnliche Phänomene in einem Prozess ‚psychischer Ansteckung’ pathologischen Verhaltens“: das Individuum agiere in einer Masse anders, „weniger vernunftgeleitet und verantwortlich in ihrem Handeln“ (siehe hier). Raffinesse kommt mal wieder von den Schweizern, hier gehts um Personenführung.

Die Schlagworte bei Wikipedia sind: Massenpsychologie, Gruppendynamik, Herdenverhalten, Schwarmverhalten, Kollektive Intelligenz.


Barrikadieren in China

Seit der Öffnungspolitik Deng Xiaopings Ende der 1970er Jahre öffnete sich der Markt und schlossen sich die Anwesen. Wo zuvor jeder gleich wenig besaß und Tore und Türen der Hutonghäuser nicht einmal abgeschlossen wurden, haben viele nun Angst um ihr Hab und Gut …

Angst und Sicherheitsbedürfnis entsprechen die Gitter vor Fenstern in Erdgeschossen bis zum ersten Stock in mittlerweile allen Wohnungen und Wohnanlagen Chinas – Beijings definitiv, man sieht sie aber auch landesweit überall. Man munkelt sich böse Einbrüche vor, gar Totschlag und Mord, seid auf der Hut. Dabei muss angemerkt werden, dass für jeden Ausländer, der einmal eine Weile in Beijing gelebt hat (Einheimische nehme ich nicht mit in diese Rechnung, denn Angst und Schrecken scheinen der meisten ständiger Begleiter), dass besonders die Hauptstadt einer der zumindest gefühlt sichersten Orte der Welt ist. Der Chinese sagt: Alle machen es. Sich Abschotten, Verbarrikadieren, zumindest irgendeine Art von Zaun aufstellen, um sich einen Abstand zu verschaffen aus Unsicherheit, Ungewissheit, schnellen Wachstums, Unbestimmtheit der Zukunft, Willkür der Regierung, Menschenmassen, abhanden gekommenem Vertrauen, weil man seinen Nachbarn nicht mehr kennt. Hört man die in den 1970er Jahren und noch die Anfang der 1980er Geborenen reden, waren die Türen zu den Hutonghäusern nie verschlossen, jeder hatte gleich wenig. Jetzt traut keiner mehr irgendwem über den Weg.

Reich umzäunt und vergittert dieses Wohnhaus. Auf dem Schild wird vor Einbrüchen gewarnt und ordentliches Verschließen von Fenstern und Türen empfohlen:



Hier in den Hutongs wird, mittlerweile verwittert, ich nehme an, von den Anwohnern selbst aufgehängt, ebenfalls auf die Gefahr der Langfingern hingewiesen, die erraten könnten, wann man schliefe, weshalb unbedingt auf Fenster und Türen geachtet werden müsse:



An anderer Stelle, die ich nicht mehr gefunden habe, die vielleicht auch nicht mehr existiert, hieß es auf einer Wandmitteilung von offizieller Seite, dass tagsüber keiner Zuhause sei, weshalb Diebe ein Leichtes hätten. Kann man dies anders als als Hinweise für Diebe verstehen? Wundervoll.

Ein paar Gittereien in den Hutongs:







Die Bewachung von Compounds mit Schranken oder Schiebezäunen sowie mit Sicherheitspersonal soll gleichzeitig abschrecken und Sicherheit suggerieren:



Zaunaufsteller sind entsprechend Einzelpersonen, eine Gemeinschaft (Institution, Verein, Gewerbe, Danwei, Immobilieninvestor) oder ein ausführendes Regierungsorgan.


In China sind Zäune der Befriedung traditionell Mauern

Der „Zaun ist öffentlich, grenzt ab, was sonst allgemein zugänglich wäre, regelt die Verbindung“, liest man bei Peterlini. Zäune der Befriedung im Westen sind jedoch traditionell Mauern in China. Da wo Zäune für das Auge durchlässig und auch Hecken noch weich sind, lassen Mauern keine Verbindung zu. Man kann sie plakatieren und behängen, aber das gilt öffentlich nur ihrem Außen und hat keinerlei Einfluss auf ihr Innen.





Hutonghäuser, Siheyuans, sind abgeriegelte Einheiten. Gelegentlich mit Windscharten oder kleinen Fenstern weit über Kopfhöhe ausgestattet, oben mit Sims gefestigt und mit Dachpfannen geschmückt, hinter der Tür noch einmal mit einer Stele versehen, dulden sie keinen Einblick.





Das hat Tradition und ist tief bis ins Miteinander verankert. Das Netzwerk und der Kreis, mit dem man sich umgibt, sind extrem nach innen ausgerichtet und hierarchisch strukturiert. Ganz nach Meister Kongs Devise von 君臣(仁)、父子(义)、夫妻(礼)、兄弟(智)、朋友(信)– vom Herrscher zum Untertan bzw. Beamten (beruhend auf Menschlichkeit), Vater zum Sohn (Gerechtigkeit), Ehemann zur Ehefrau (Riten), älterer zum jüngerer Bruder (Weisheit) und in Freundschaften (Vertrauen). Das schlägt sich auch heute noch aus auf Staat, Gesellschaft und Familie, auf Nachbarschaften, Danweis, Compounds, Bezirke, Dörfer in Städten, auf Hauptstadt, Sonderwirtschaftszonen, 1st, 2nd, 3rd Tier Städte, und viele weitere Entitäten mit weiteren Aufsplitterungen. Hassenpflug spricht von einem „hohen Verriegelungsgrad“ (S. 45), von China als „Barrieredichte zellularer Landschaft aus gegeneinander abgeschotteten Teilräumen“ (S. 57). Die Frage, wo sich das Subjekt befindet, der einzelne Mensch innerhalb dieses Konglomerates, wird gelegentlich mit individualistisch-westlich beantwortet. Eine Verkleinerung des menschlichen Körpers zum vermeintlichen oder unvermeintlichen Wohle aller.


Stadtraum nach Hassenpflug

Dieter Hassenpflugs Urbaner Code Chinas von 2009 wurde von deutschsprachigen Architekten in China sehr unter Vorbehalt zur Kenntnis genommen. Dennoch finde ich, dass man ihn gut lesen kann. Wie Anna es diesen Sommer sagte: es enthält für jemanden, der China bereits ein Weilchen kennt, nicht viel Neues, aber er bringt vieles sehr gut auf den Punkt. Vermutlich besonders für diejenigen, die sich nur gelegentlich mit Stadtplanung beschäftigen. Außerdem liegt es wohl in der Natur der Sache, dass Behauptungen, die in der Art einer Allgemeingültigkeit aufgestellt werden, immer auch gerne ein Ja, aber hervorrufen – habe ich beim Lesen auch empfunden, empfinde ich genauso beim Lesen meiner eigenen Gedankengebäude.

Hassenpflug wendet sich dem öffentlichen Raum in China zu und spricht vom Dualismus des offenen und geschlossenen Stadtraums (S. 32). Dies führt ein wenig vom Thema fort, aber der Zaun-Mauer-Stoff hat so wunderbar viele Fassetten, dass es doch wieder passt. Was nun hier folgt, sind meine Aufzeichnungen beim Lesen, ich entbinde mich größtenteils des Konjunktivs, liest sich besser und ich behaupte einfach mal aller Wissenschaftlichkeit zum Trotz mit – klar, auch ich unter Vorbehalt. Seitenzahlen finden sich in Klammern.

Schlafanzug und Wäscheleine nennt Hassenpflug die chinesische „Unbefangenheit“ mit dem, was im Westen als öffentlicher Raum bezeichnet wird. Es sei eine „sorglose Überschreitung jener Schwelle, die den privaten, intimen Raum von der offenen Stadtbühne trennt“. „Ohne viel Federlesens werden nahezu alle Wohnfunktionen in den städtischen Straßenraum hineinverlängert – wie auf dem Dorf. Der Gehsteig als Küche, Schlaf- und Wohnzimmer, als Ort selbstverständlicher ‚Intimisierung’“, der „Gehsteig (…) ist erst in Ansätzen ein Bürgersteig. Er ist ein proto-öffentlicher Raum“ (26). Öffentlicher Raum im westlichen Sinne ist in China nur formal öffentlich-rechtlicher Raum, in China wird dieser Raum nur als offener, undefinierter Raum verstanden, „der den Abstand zwischen den bedeutungsvollen Räumen mit Leere füllt“, dieser offene Raum wird durch Familie und Gemeinschaft (nicht Individuum und Gesellschaft) aufgewertet, wo er sonst „grau, leer, inhaltslos und nichtssagend“ bleibt, es handelt sich hier nicht um eine „Ungenauigkeit in der Bestimmung der Grenze zwischen privat und öffentlich“, sondern ist „Ausdruck der kulturellen Hegemonie des Familiären bzw. Gemeinschaftlichen“, die Wäscheleine auf dem Gehsteig ist „private Landnahme, durch welche bedeutungsarmer Raum temporär Bedeutung erhält“ (31), ist „Aneignung (…) zum Ort sozialer Handlungen“ (34).

Offener Raum ist interessant als machtsymbolischer (erhabener) oder wirtschaftlicher (kommerzieller) Raum, ansonsten hat er „keinen Respekt verdient“, weil er ungenutzt sozial irrelevant ist (34). Beide Typen, Macht und Wirtschaft, spiegeln den „Dualismus von zentralistisch verfasster Staatsautorität und liberalem Kapitalismus“ wider, es ist „autoritative bzw. kommerzielle Widmung“ als Sinnstiftung statt bloßer „Funktionalität, Bedeutungsarmut und Nichtbeachtung“ (36). Als machtsymbolischen Platz nennt Hassenpflug das Paradebeispiel Tian’anmen Platz: „groß, maßstabssprengend, erhaben. Er macht den menschlichen Körper klein“, er dient der „Massendemonstration“, „Massenornamentierung“, ist eine „Hypostasierung der Idee der Volksgemeinschaft und insofern ein Element der Verräumlichung einer „hypermoralischen Gesellschaft’“, sehr guter Punkt, wie ich finde (34), er denotiert „Zentralmacht“, ist „die Verräumlichung eines Machtanspruches“ (37). „(U)rbanes Ambiente“ wird durch „Citytainment“ geboten, durch Kommerz als „treibende Kraft der Platzgenerierung“ (35). Bei diesem Standpunkt bin ich mir nicht so sicher, vorstellbar ist es: in China gäbe es „keine Tradition des öffentlichen Raumes, daher auch keine Tradition des zivilgesellschaftlichen, öffentlichen Gesprächs“ (101).

Offen geschlossen

Offene Stadtteilparks, vor allem in älteren Stadtgebieten „sind durchgängig eingezäunt, abschließbar und in der Regel nur über die Entrichtung eines Eintrittsgeldes zu betreten“ (38). Offene Gemeindeplätze sind ein neues Phänomen, tauchen vor allem in Neubaugebieten auf – bzw. würde ich sagen in der Nähe von Neubaugebieten und, wie in Beijing, an den Kanälen mit den Trimmdichgeräten und erklärenden Tafeln usw. – sind „grundsätzlich offen zugänglich, nicht eingehegt und im Prinzip nicht-kommerziell“ (38). Daneben gibt es noch den Nachbarschaftsplatz/ -hof. hier findet „die allmähliche Herausbildung von öffentlichem Raum“ statt, signalisiert so „das Vordringen zivilgesellschaftlicher Elemente, d. h. die Stärkung von Gesellschaft und Individuum gegenüber Gemeinschaft und Familie“ (38). Ein geringes Interesse bestehe am Stadtbild (106), wobei ich sagen würde, dass sich dies schon wandelt.

In Europa geht es bürgerlich, demokratisch, zivilgesellschaftlich zu. In China, ich weiß nicht recht …, seien „Gemeinschaft und Gesellschaft noch unzureichend ausdifferenziert“ und befänden sich in „einem Stadium der Proto-Öffentlichkeit“ (39). Als Beispiel nennt Hassenpflug Gärten: in Europa seien, ein sehr spannendes Beispiel, französische vs. englische Garten dialektisch konzipiert als „Kampf, Streit, Gegensatz“, als Auseinandersetzung, in China geht es dem Yinyang-Prinzip folgend um Harmonisierung, aber immer exklusiv und introvers, Raum hat „nicht allein funktionellen Anforderungen zu genügen, er muss auch den Bedarf an Bedeutung und d. h.: an Bild- und Zeichenhaftigkeit befriedigen“, ist „Symbol und Chiffre einer Verheißung“. Der Westen ist „emotional oder rational, bildhaft oder funktional“, China „emotional, wo (…) rational“, „bildhaft, wo es um Funktionen geht“ (42-46). So funktioniere auch die „Symbiose zwischen streng orientierten Nachbarschaften und orientierungsfreien Geschäftszeilen (…, sie) ergänzen einander vielmehr auf harmonische Weise“ (92). Die Funktionalität entstehe aus „Gründen der Nahversorgung, des Emissionsschutzes und der Begrenzung der Wohnquartiere“ (106f). „Ihre Legitimität beziehen sie ausschließlich aus ihrer kommerziellen Funktion. Sie existieren (als) willkommenes Schmiermittel des Städtewachstums“, „aus dem Hinterland“ kommend, „können (sich die Dörfler, die Wanderarbeiter) das Leben in einer abgeschlossenen Nachbarschaft (hier ist nicht das Phänomen der Dörfer innerhalb der Städte gemeint, stattdessen die Compounds) nicht leisten“, sie erhalten „keinen zivilen Stadt-Status (den Hukou), sondern bleiben im Sprachgebrauch des offiziellen Meldesystems Landbewohner“. „Für die Dauer der chinesischen Gründerzeit werden sie eine Begleiterscheinung der Urbanisierung des Landes bleiben“ (104f).

„(H)oher Versiegelungsgrad“

Introversion, introvertiert, in sich gekehrt, nach innen orientiert, Hassenpflug benutzt das Adverb introvers. Beijings Aufbau folgt dem rechteckigen Grundriss mit Nord-Süd-Ausrichtung und sich im Zentrum kreuzender Zentralachse. Die Stadt ist spirituell positioniert und orientiert, im Osten: kaiserliche Ahnentempel, im Westen: Tempel für die Götter des Ackers und der Feldfrüchte. Historisch bis heute: Symbolik der Allgegenwart kaiserlicher/ staatlicher Gewalt „reflektiert (sie) die hypermoralisch verfasste (papaistische) chinesische Gesellschaft“ (84) – papaistisch ist von Hassenpflug selbst in Klammern gesetzt, großartig auf den Punkt gebracht. Es handelt sich um eine „Kompilation aus Achsialität, Linearität, Hierarchie, Erhabenheit, Vertikalität“ (113). Die Erschließungsstruktur ist rasterförmig, erinnert an den „grid“ in den USA, dort allerdings als „Zurückweisung jeglicher räumlicher Hierarchie Demokratie und Chancengleichheit konnotier(end)“, ist die Botschaft hier eine andere, hier „steht die Ikonographie der Macht im Vordergrund“ (111). „Die extraverse europäische Raumkultur ist der introversen chinesischen diametral entgegengesetzt“ (180). „Der Kaiser blieb Herr aller Räume“ (182).

Die Mauer – da ist sie! – ist in Europa „Symbol der städtischen Freiheit und des altbürgerlichen Stolzes“, verweist in China aber „auf die Herrschaft, ja Anwesenheit des Kaisers als einer allenfalls proto-bürgerlichen Institution“ (190). Da bin ich nun nicht ganz einer Meinung. Schlussendlich hatte zwar der Kaiser das Sagen so wie heute Xi Jinping, aber das „Abstandsgrün“, von dem er dann (ebd.) wie ich finde zu kurz spricht, darf vermutlich nicht unterschätzt werden. Dort tummeln sich nämlich all die anderen Interessen, denen auch entsprochen werden möchte.

Doch kann ich damit übereinstimmen, dass es zur Exklusion, Ausgrenzung, zu einer klaren Trennung von Innen und Außen kommt. Eine Stadt besteht aus Mauern, Zäunen, Toren, besteht „aus gegeneinander abgeschotteten Teilräumen“ (57). Einst wie heute sind Wohnsiedlungen nahezu durchgängig abgeschlossen, „Abriegelung (wird) immer schon mitgedacht“ (57). Bei Dörfer in der Stadt, Einheiten, Danweis, Compounds verweist er auf ihren „insularer Charakter“. Das innere „Erschließungssystem (ist) nicht Teil des städtischen Verkehrssystems“, sondern „sozial exklusiv organisiert“ durch Nachbarschaftskomitees (58). Doch bietet es auch „entriegelte Bereiche“, „allgemein zugängliche, offene Räume“, worin sich die „Interaktion der Wirtschaftssubjekte“ vollzieht. „Exklusiv ist das Wohnen, inklusiv der Handel“, es sind „die beiden bestimmenden Raumelemente der gegenwärtigen chinesischen Stadt, sozusagen ihr binärer Code“ (58f).

Stadt als Mauer und Markt

Einen guten Aspekt bringt er mit Auseinandernehmen des chinesischen Wortes für Stadt ein, chengshi 城市, verbindet Mauer, cheng, und Markt, shi, miteinander – seit der Song-Dynastie (960–1279). Die chinesische Stadt war historisch als kaiserliche Stadt hierarchisch geordnet, ein „zelluläres Gebilde aus Familien- und Nachbarschaftseinheiten mit (…) Zellmembran“, ein „auf konfuzianisch geprägter Familienmoral aufruhende(s, da ist es wieder:) ‚hypermoralische(s)’ System“. Die „Stufen im hierarchischen System von Familie – Nachbarschaft – Quartier – Bezirk“ wurden durch Mauern getrennt und nachts abgeschlossen, „je länger“ die Mauer, „je größer ihre Zahl“, desto bedeutender und höher ihr Rang (59). Dies im Gegensatz zur alten europäischen Stadt, die meist einen „eigenständigen Rechtsbezirk“ hatte (59).

Mit wachsender Größe und Bevölkerungsreichtum wuchsen die Schwierigkeiten, weshalb sich ein „gnädige(s) Wegsehen“ der Regierung herausgebildet hat. So war Beijing: Palaststadt mit innerer Verbotenen Stadt, Kaiserstadt, Hauptstadt, Südstadt, mit „neun Tore der dritten, ebenfalls konzentrisch um die Kaiserstadt gebauten und mit 12 m hohen Mauern gesicherten Hauptstadt“, die vierte, unfertig geblieben, galt als „Schnittstelle nach außen“, war aber genauso „selbstverständlich ummauert und bewacht“. Unter Mao wurden Stadtmauern „als Symbole der als feudalistisch inkriminierten Herrschaft des Kaisers weitgehend abgerissen“, „geblieben sind jedoch die abgeschlossenen Wohnsiedlungen“, zunächst als Danweis, darauf als Nachbarschaften der neuen Mittelklasse, all dies bietet „territoriale Zusammengehörigkeit“. „Es gibt vermutlich weltweit keine Großstadt mit vergleichbarer Barrieredichte wie im Lande der Verbotenen Stadt“. (Siehe für diesen Abschnitt S. 61.)

Wohnquartiere sind vollständig abgeriegelt durch Mauern, eiserne Zäune, Hecken, Videokameras, Infrarotmeldesystem, Wachpersonal, Wach- und Schilderhäuschen, allerdings mit gewisser „Gelassenheit im Umgang mit der Bewachung“ (62). Diese „Durchlässigkeit“ verweist auf die teils „symbolische Natur der Verriegelung“ (63). Historisch gewachsen sei dies „nicht nur akzeptiert, sondern als Lebensform geteilt“, historisch „in China selbstverständlich, darum unhinterfragt und insofern auch alternativlos“ (63). Hier weiß ich wieder nicht so recht, vieles kommt auch mir häufig als unhinterfragt und unreflektiert vor, so schreibe ich es oben von den Künstlern in Heiqiao, das kann einen manchmal in den Wahnsinn treiben, aber eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen. Und man findet doch immer einmal wieder jemanden, der sich eine Erklärung abringt.

Introverse Räume, die Hofhäuser von der Kaiserzeit über die Danweis bei Mao bis zu den heutigen Compounds, denotieren Gemeinschaft, eine von einem „Gemeinschaftsethos bestimmte Lebensweise“ (67). „Sehr oft hat das Abschließen dabei weniger mit physischer Abwehr zu tun als vielmehr mit einem schichtenspezifischen Distinktionsverhalten. Beim Abschließen geht es vorrangig um Symbolik, um zeichenhafte, ikonische Abgrenzung“ (188) – das sehe ich anders, es herrscht viel Unsicherheit, die ich oben als Angst bezeichnet habe, und das Abschließen kann Sicherheit suggerieren.

„Image nach außen“ und „Identität nach innen“

„(G)ating (…) as ‚branding’“ (nach Wu Fulong, 2006; Hassenpflug:76).

Fassaden sind ein wichtiges Bauelement zur Bereicherung öffentlicher Räume in Europa, in China nicht in dieser Art präsent, sondern als Wirtschaftsfaktor mit Ladenzeilen oder Werbetafeln. Hassenpflug spricht von der Blockrandbebauung als „Spangen“, die eine „Mauer- bzw. Zaunfunktion für die dahinter liegende Nachbarschaft“ übernehmen (94). „Ein Wohnquartier, das sich hinter Einkaufszeilen verbirgt, wird nicht so stark als ‚gated’ wahrgenommen“, ist aufgrund des „Funktionalpluralismus (…) urbaner“ (95).

Hassenpflug verwendet als Kode den „soziologische(n) Dualismus von Gemeinschaft und Gesellschaft“ (178). Gemeinschaft „verweist auf direkte, unmittelbare menschliche Beziehungen“: auf „Verwandtschaft (‚Blut’), Freundschaft (‚Gefühl’), geteilte Ansichten (‚Interesse’), Ideologien (‚Überzeugungen’)“ (178). Gesellschaft verweist „auf vermittelte menschliche Beziehungen, auf sozial konstitutive Interaktionen von Individuen“, nicht Verwandter, Freund, Feind, sondern ausschließlich „Vertragspartner, Käufer, Verkäufer, Berufsspezialist“, seine Medien sind „Geld, Verträge, ausdifferenzierte Institutionen“, das „gesellschaftliche Individuum“ bezeichnet er als „Wirtschafts- oder Vertragssubjekt“ (178) – wobei er später dazu schon auch noch sagt, dass Verträge erst ihre Gültigkeit durch guanxi und Essen etc. erhalten (183).

Kleiner, längerer Exkurs. Beendet.


Mauerreiter 骑墙


Aus dem 汉语大词典, dem Großen chinesischen Wörterbuch von Luo Zhufeng 罗竹风.

Dann stieß ich auf das Phänomen des Mauerreitens. Qiqiang 骑墙, auf der Mauer reiten, ist im chinesischen Verständnis negativ besetzt, es steht für Unentschlossenheit, Schwarzweiß dagegen mag man, es gilt als klare Meinung, vermutlich weil hier alles so wahnsinnig kompliziert ist.

Es gibt die qiqiangpai 骑墙派, die Gruppe von Mauerreitern – perfekter Anhaltspunkt für mich zur Ergründung von Graubereichen mit einer Gruppe junger Wilder. Denn Kunst ist für mich eben dies: außerhalb der Konventionen das zu ergründen, was sonst noch möglich ist oder sein könnte. Naja, so war es zumindest gedacht. Aber die von mir erwählten Künstler waren nicht begeistert. Neinneinnein, du verstehst die Mauerreiter ganz falsch, das ist tatsächlich und in keiner Weise positiv besetzt in China. Die Argumente spiegeln die Bedeutung des Schwammigen, des sich Windens wider. Siehe auch hier und hier. Es entspreche der Redewendung 墙头草,随风倒, das Gras oben auf der Mauer, das mit dem Wind geht, ein Mauerreiter also als Person, die zu allem Ja sagt, sich nicht festlegt, keine deutliche Position bezieht. Doing. Aber nagut, ich will kein Umdefinieren von Begriffen erzwingen, scheinbar wäre es das gewesen, auch wenn ich nicht wirklich überzeugt bin.


Ein Mauerreiter 骑墙人.

Dieses Bild habe ich im Juli 2014 auf Weixin mit der Anmerkung gepostet, Mir gefällt es, wenn jemand bereit ist, auf die Mauer zu steigen. Auch hier erntete ich nicht sonderlich viel Beifall und konnte gerade einmal 5 Likes einsammeln, zwei aus dem Westen, dann je eines von einem Taxifahrer, einem Elektronikverkäufer und einer Eventlerin. Allerdings von keinem, der irgendetwas mit Kunst zu tun hat.

Mir schwebte so etwas in der Art vor, wie es Peterlini zu Hagazussa, der etymologischen Mutter der Hexe, der Urhexe geschrieben hat. Sie sei „ein geisterhaftes Wesen, das sich auf Zäunen und Hecken aufhält: die Zaunreiterin. Sie bewacht die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, erklärter Welt und unerklärter Welt, Enge und Furcht: Die Enge lässt uns Mauern bauen, die Furcht lässt uns über die Zäune steigen, um sie zu ergründen. Die Zaunreiterin führt uns hinüber, lebt da und lebt dort. Erst als wir vor ihr Angst bekamen, verbrannten wir sie: Wir vertrauten dem Zaun nicht, der uns hinübersehen ließ. Wer hinübersehen wollte, wurde verbrannt: die weisen Frauen, die wilden Frauen, die weisen Forscher, die wilden Forscher.“ Furcht und Enge würde ich andersherum fassen, nämlich dass man aus Furcht Mauern oder Zäune baut und aus dem Gefühl von Einengung das Bedürfnis verspürt, hinübersteigen zu wollen. Ich gehe nicht unbedingt davon aus, dass dies in Urzeiten anders gewesen sein muss, vor allem wenn man dann aus Angst vor den über den Zaun Blickenden, wie Peterlini schreibt, mit den Hexenverbrennungen begann. So oder so sind die Hexen faszinierend. Hexe ist laut Freitag im westgermanischen Sprachgebrauch die Ableitung des Althochdeutschen Wortes hag (Zaun, Hecke, Gehege), es sei der „Geist, der auf Grenzen sitzt“. Früher, wieder nach Freitag, häufig als auf Zaunlatten reitend dargestellt – das war mir neu, in meinem Kopf ritten sie bislang auf Reisigbesen.

Aber ich bin ja flexibel, behalte den Begriff des Mauerreiters im Hinterkopf, um ihn bei passenderer Gelegenheit wieder hervorzuholen – denn wundervoll klingt er für mich weiterhin –, ich gebe mich vorerst drei zu eins geschlagen und wir sind wieder beim Ausgang, beim chinesischen Straßenzaun angelangt.


Ausstellung in Beijing und Düsseldorf
Vom Zaun in Parallelschaltung 护栏——并联


Für diejenigen, die in Beijing leben, mag es an der Zeit sein, ein paar Parkourtricks zu lernen, vielleicht bei den Urban Monkeys Beijing. Wohlmöglich überlegt sich auch schon die eine oder der andere, sein Vehikel mit Lufttechnik zu pimpen, nur herrscht über Beijing leider striktes Flugverbot, vermutlich aus Sicherheitsgründen … Aber das sind nur die äußeren Barrieren. Im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang solle man in China bitte mit spätestens dreißig heiraten, Nachkommen zeugen, gute Arbeit bringt gutes Geld, bringt Haus und Hof, bitte dem Pfad folgen. Wers mag, nichts gegen einzuwenden. Das ist im Westen nicht unbedingt anders, mit meinen Mitte Dreißig werde ich in Deutschland inzwischen genauso eindringlich äußerlich bemitleidet (Zurückgebliebene, alte Jungfer) und innerlich beneidet (in China klingt dabei häufiger das Wort Freiheit mit, in Deutschland Mut, beide entgegen Gesellschaftszwang gemeint). Und wie lange halte ich noch durch, oder, will ich es nicht selbst doch auch, oder, kann man das Ganze nicht mit einem eigenen Modell, beidem gerecht werdend vereinbaren, nur, wer macht da mit und wie sähe dies in der Praxis aus? Hängt man einem nicht praktikablen Idealismus an? Wie schlängelt man sich zwischen außen und innen durch, um sich selbst treu zu bleiben? Wollen wir doch mal sehen, was möglich ist.

Es geht darum, den eigenen Freiraum innerhalb der vorgegebenen und abgegrenzten Pfade zu finden, zu schaffen und zu nutzen. Unsere drei Künstler werden in ihren Wegen, die sie beschreiten, genauso wie wir alle von jeglichen notwenigen bis irrationalen Zäunen geleitet, sie sind durch Zäune verbunden und gleichzeitig getrennt. Innerhalb dieser Zäune aber haben sie ihre persönlichen An- und Ausschalter, mit denen sie schalten und walten, wie sie möchten. In dieser Ausstellung zeigen sie uns ihre ganz eigenen Wege.

Künstler

Zhang Xinjun 张新军, *1983 Zhengzhou/ Henan 河南郑州
Zhai Liang 翟倞, *1983 Houma/ Shanxi 山西侯马
He Jian 何健, *1980 Beijing

Kuration

Stefanie Thiedig

Unterstützung in Beijing

Goethe-Institut (China)

Zeit und Ort

Beijing: 30-Nov-2014–7-Dez-2014
Eröffnung: 30-Nov-2014, 16:00
Künstlergespräch: 7-Dez-2014, 16:00 (und nach Vereinbarung)
Black Sesame Space 黑芝麻空间
Heizhima Hutong 13, Dongcheng District, Beijing
北京市东城区黑芝麻胡同13号

Düsseldorf: 16-Jan-2015–3-Mar-2015
Eröffnung: 16-Jan-2015, 19:00
Galerie Philine Cremer
Ackerstraße 23, Düsseldorf

Wir freuen uns auf euch!

--

Quellenauswahl
Stand: November 2014

– Hans Karl Peterlini: Die unendliche Gegenwärtigkeit des Zauns. Essay. In: Der Zaun. Ein Text- und Fotodokument über die Geschichte des Zauns. Hg. von Durst Phototechnik. Innsbruck: Haymon 2005, Essay online hier.

– Sun Longji 孙隆基: Das ummauerte Ich. Die Tiefenstruktur der chinesischen Mentalität. Leipzig: Kiepenhauer 2003 (1994), Original: 中国文化的“深层结构“,香港:基建设1983.

– Dieter Hassenpflug: Der urbane Code Chinas. Basel und Berlin: Birkhäuser 2009.

– Mathias Menzel, SZ: Zäune, 21.5.2010, online hier.

– Nicole Andries und Majken Rehder: Zaunwelten: Zäune und Zeitzeugen, Geschichte der Alltagskultur der DDR. Michigan: Jonas-Verlag 2005, Rezension online hier.

– Magnus Mills: Die Herren der Zäune. Roman. Frankfurt: Suhrkamp 2000, Rezension online hier, „britische Arbeiterliteratur“, „Eine Parabel auf das ‚sich zum Zwangssystem formierende neoliberalistische Arbeitsleben’“.

– Traumdeutung: Zaun, o. J., online hier.

– Der Freitag: Die Sache mit den Hexen, 2012, online hier.

– Openstreetmap: Diskussion zu Grundstücksgrenzen/ Zäunen, 2012, online hier.

– Wikilinks zum Thema: Zaun, Mauer, Massenpsychologie, Massenlenkung und -steuerung, -dynamik

– Verwandte Themen: Landart, Stadtplanung, öffentlicher Raum, Zoo, Heimat, der/ die/ das Andere, Verhüllung und Verborgenes, Verpackung

Kunstprojekte

– Christo und Jeanne Claude: The running fence, 1972–76, online hier.

– Copa&Sordes, Basel: Cut the Fence, November 2013. Symbolische Dekonstruktion des Gefängniszauns gegenüber des Empfangszentrums Bässlergut in Basel, online hier.

– We Are Visual (WAV, Felix Jung und Marc Einsiedel): Zaun, November 2012. Ausstellung über brachliegende, aber abgesperrte Gebiete im öffentlichen Raum, in der Hamburger Galerie Melike Bilbir, online hier.


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Samstag, 8. November 2014
APEC Blue


Mit dem Fingerzeig nach oben
sage ich gerade Besuch
Das ist nicht normal.
Ich zeige auf die Straßen,
Das auch nicht.

Man glaubt mir nicht,
wenn man es sieht,
nicht anders kennt.
Man soll es nicht glauben.

Fakten werden geschaffen,
So ist es
in unserer herrlichen Stadt.
Obama und Xi begrinsen sich.

Ich glaube es selbst schon fast.
So blau, so ruhig.

Begriffe sind im Umlauf.
APEC:
Air Pollution Eventually Controlled.
Und APEC:
At Party Empire's Control.

Der Volksmund nennt es
APEC Blue, die schöne Lüge.

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Mittwoch, 5. November 2014
K29: Gründungsausstellung in Düsseldorf


Gedanken über Freiheit | K29 Gründungsausstellung

Eröffnung: 16-Nov-2014, 18 Uhr
K29: Kronenstraße 29, Düsseldorf

Mit Werken von: Anna Meisenberg · Bettina Gruber · Gao Hao 高昊 · Jiny Lan 蓝镜 · Katja Stuke · Levan Svanishvili · Li Ting 李廷 · Li Xue 李雪 · Manfred Engeser · Nicola Richter · Oliver Scheibler · Philip Wiehagen · Rolf Sachs · Sun Shi 孙诗 · Tim Sandow · Wang Shuai 王帅 · Wang Xiaojie 王小杰 · Weegee · Yang Di 杨迪 · Zhao Xin 赵欣
Gastkuratoren: Julian Sander · Stefanie Thiedig
Kuratoren: Li Xue 李雪 · Martin Rendel

Mit Dank an Martin fürs Beleuchten und Wang Pan für die Übersetzung gibt es von mir 4 Tage Beijing:



4 Tage Beijing

Luftgefertigt und signiert vom 6. bis 9. Oktober 2014 von Beijing, kuratiert von der Stadt Beijing und der Autoindustrie und den Fabriken im Umland und, wie Beijingkader mutmaßen und eilends Verbote ausstellen, von den Straßenverkäufern von Lammfleischspießchen. Größe: 300x300 mm. Preis: 1.000.000 RMB oder ein paar Jahre Lebenszeit oder 15 RMB für einen Neukauf oder eine Immobilie an der Ostsee. Neuanfertigung aller Voraussicht nach jederzeit möglich.

In der Nacht auf den 10. Oktober 2014 wurde es vermutlich auch den Herren und der halben Anstandsdame im Regierungsbezirk Zhongnanhai zu trübe. Obwohl sie sich, so die Legende, eine Kuppel haben bauen lassen mit auf der einen Seite zehntausend Luftreinigungsfiltern des synonym zu verstehenden intelligent-kapitalistischen Wunderproduktes Chemisober der Schweizer IQAir AG, Stückpreis 19.700 RMB, und auf der anderen Seite mit ebenfalls zehntausend (diese Zahl steht in China traditionell für Unendlichkeit, was soll man machen), mit den mit Designpreisen ausgezeichneten Blueairs des schwedischen Herstellers Torana, Stückpreis 12.980 RMB – noch ist ins Gassengeflüster nicht vorgedrungen, welcher Seite es besser geht. Trotz also dieser Kuppel scheint einer der wichtigeren Elitären das Bedürfnis verspürt zu haben, den Halbmond zum Reisschnaps sichten zu wollen. Wozu hat man Macht und Telefone in seinen Händen. Flugs wurden die riesigen, unter der zur Geheimhaltung aufs äußerste verpflichteten unsichtbaren Spezialeinheit bewachten Windmaschinen angeschmissen. Gegen drei Uhr nachts schepperten die Fensterrahmen, morgens waren die Smogschmerzen vergessen. Wer braucht Freiheit, wenn er atmen kann?

Das Ganze hielt nur zwei Tage an, aber während APEC labten wir uns dem Ausland gegenüber gesichtswahrend wie selbstverständlich an ausschließlich blauen Tagen.

Aufgesammelt von Stefanie Thiedig, die Goldenen Acht der Marke Zhongnanhai rauchend.

四天的北京

由北京2014年10月6号到9号的空气制作完成并署名,由北京这座城市、汽车工业、周边工厂以及被相关部门颁布禁令的街边烤串儿小贩们联合策展。大小:300x300毫米。价格:100万人民币,或者若干年寿命,或者15元买一个新的滤片,或者波罗的海海边的一处房产。预计新的复制品随时可以获得。

2014年10月10号晚上,估计中南海里的官员和半数女眷也觉得天空有些太过阴霾。虽然,如传说的那样,他们建造了一道屋脊,在其一侧安装了一万台智能的资本主义的神奇产品——瑞士IQAir公司生产的空气净化器,每台耗资19700人民币,另一侧,同样安装了一万台(没办法,这个数字在中国传统中意味着不朽)瑞典公司Torana荣获设计大奖的Blueair,每台12980人民币——人们议论纷纷,尚未理出个究竟,到底哪边更好一些。虽然有了这道屋脊,但似乎还是不够,比如当某位重要的精英在几杯白酒下肚后萌生了观赏半轮明月的雅兴的时候。而且刚好,他的手上有权力和电话。分秒必争,那些由秘密特别行动队严密守护的巨型鼓风机被即刻启动。近午夜3点,窗框啪嗒啪嗒作响,到了早上,雾霾的痛被忘却。若能畅快呼吸,谁还需要自由?

这样带来的好空气只能维持两天,但APEC会议期间,为了给北京在外国面前留存颜面,我们也得以享受几天这绝无仅有的蓝天。

抽中南海彩八的由甲收藏
译文:王盼


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Dienstag, 21. Oktober 2014
Secret Signs in Hamburg


Secret Signs – Zeitgenössische Chinesische Kunst im Namen der Schrift

9-Nov-2014 bis 8-Feb-2015

Eröffnung: Sonntag, 9-Nov-2014 von 12 bis 17 Uhr in der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg

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Mittwoch, 15. Oktober 2014
Jiabei 家北: Die Beschmierten 被涂抹的人


Geschichte, jegliche Geschichte, aber insbesondere auch die chinesische Geschichtsschreibung ist eine sehr selektive Zusammenstellung zunächst der unmittelbar folgenden und dann der immer wieder gegenwärtigen Regierungsmacht.

Die neue Werkreihe 被涂抹的人, was man vielleicht mit Die Beschmierten oder womöglich mit Die Angeschmierten übersetzen könnte, von Jiabei 家北 (*1967 aus Linyi 临沂, Shandong, lebt und arbeitet in Songzhuang) zeigt die Diffusion des Menschen gegenüber dieser Macht, gegenüber narrativer Interpretationen sowohl im weltgeschichtlichen Kontext als auch im zwischenmenschlichen Verständnis untereinander und im persönlichen Selbstbild. Wirklich und in all seinen Facetten ist das Selbst, das 自我, eines Menschen oder gar der Menschheit nie zu fassen; es ist ausgeliefert oder durch andere, durch dich anders als durch mich, und im Spiegel anderer und wieder anders durch sich selbst immer nur in Teilaspekten zu begreifen. Vielleicht als Anspielung auf Skulpturen sehen wir hier allein die Büste, aber ohne Arme und nur mit angedeuteten individuellen Merkmalen wie einem Hut, einem Irokesen oder einem Unterhemd. Im Grunde genommen, so Jiabei, bleibt unsere Wahrnehmung schwammig.



Mit diesem in Öl auf Leinwand von 2013 hat es begonnen. Die folgenden sind in Akryl auf Papier von 2014.















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Ob man hiermit zur Klärung beitragen kann oder die Verwirrung stärkt, sei jedem zum Selbsttest überlassen.

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Dienstag, 14. Oktober 2014
4 Days Beijing 四天的北京


Ladies and Gentlemen,

Please let me proudly present to you this authentic work of art, made and signed from October 6th to 9th in 2014 by Beijing, called 4 Days Beijing. Its size is 300x300 mm, prized 100.000 RMB or a couple of years of one's life.

With the best of regards.

Nachtrag: Und dies ist aus dem kleinen Spaß geworden: K29 in Düsseldorf.

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