Dienstag, 12. Mai 2009
Erdbeben vor einem Jahr
Heute um 14:28 Uhr brach vor einem Jahr das Erdbeben in Sichuan aus. Heute ist damit einjähriger Gedenktag. Ich habe meine Arbeit unterbrochen und eine Schweigeminute eingelegt. Unten auf der Straße, unterhalb meines Fensters, ging das Leben seinen gewohnten Gang, nicht ein Auto hielt an, nicht ein Mensch blieb stehen, nicht eine von mir in reichlicher Zahl erwartete chinesische Fahne war zu sehen - das Beben hatte letztes Jahr eine enorme Welle an Solidarität ausgelöst und ich sah den Nationalgedanken schon wieder bedenkliche Richtungen annehmend. Nichts in diesem Jahr? Vielleicht sieht es in Firmenkomplexen anders aus, der Blick aus meinem Fenster wirkte auf mich verstörend desinteressiert.

Hier Zeilen von mir, die ich letztes Jahr zwei Tage nach dem Ereignis geschrieben habe:

"Es war heftig am Montag, den 12. Mai, gegen halb drei nachmittags, selbst wenn ich persönlich nur die Ausläufer in Peking miterlebt habe. Doch auch hier soll der Wert der Richterskala auf die Vier zugegangen sein. Es war mein erstes Erdbeben und ich bin auf kein weiteres erpicht. Im 25. Stock in einem Geschäftsgebäude am 3. Ring, wurde mir, und eben das hörte ich später aus aller Munde, auf einmal schwindelig. Die erste, wahrgenommene Schwingung, die dann ohne Unterhalt etwa zwei Minuten anhielt, bis wir über die Treppen im 5., 6. Stock angekommen waren - entweder waren wir zu nah am Boden und sie deshalb nicht mehr zu spüren oder die Wellen waren verebbt. Die Schwingung kann ich am ehesten mit dem Erfühlen einer Tonfrequenz beschreiben, die vereinnahmend ins menschliche Innere dringt. Das Ganze geschieht so schnell, dass man zunächst nicht weiß, wie einem geschieht, weil man schon mittendrin ist.

Jetzt heißt es in deutschen, (auch ich schere über einen Kamm und vermute) in westlichen Medien, die Bilder aus der Erdbebenregion seien für China erstaunlich offen, was immer wieder lobend erwähnt wird. Einerseits kann ich die ganzen Leichenbilder hier schon nicht mehr sehen. Da geht die Offenheit meiner Meinung nach zu weit. Andererseits werden Länder in harten Zeiten von außen wohl weniger hart in den Würgegriff genommen, teils auch aus Schuldgefühlen wegen vorheriger Fehleinschätzungen oder ebenso fataler Verallgemeinerungen - auf jeden Fall scheint die Balance im Meinungsbild über China durch das Beben wieder hergestellt, sowohl aus chinesischer als auch aus westlicher Sicht. Immer nur durch Schläge in den Nacken möglich - auf einer anderen Ebene, aber ähnlich vernichtend wie dieses Erdbeben."

Lange gehalten hat das Ganze nicht, wenn man die Entwicklungen während der olympischen Spiele sieht - natürlich war China nicht ganz unschuldig daran, gegönnt wurde es ihm jedoch nicht. Allerdings ist auch der "eine Traum der ganzen Welt" (One World, One Dream) wieder vorbei, jetzt stöhnt die Bevölkerung wegen der bevorstehenden 60.-Jahrfeier und ihren Regulierungsmaßnahmen - und scheint kaum Zeit zu finden, sich mit Katastrophen auseinanderzusetzen.

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