Sonntag, 26. April 2009
Joyside im Yugong Yishan
Die "Maybe Tonight"-Tour durch ganz China vor einem halben Jahr lebte am Freitag, den 24. April, nach sechs Monaten Pause noch einmal auf. Joyside 摇滚 füllte den Laden.



Wir kamen gegen Viertel nach zehn an, holten uns ein Bier und hörten mit den ersten Schlücken die ersten Klänge. Gutes Timing. Ein super Auftritt. Ok, die meisten Lieder waren ziemlich kurz und gerade dann, wenn man das Gefühl hatte, so konnte es noch einen Moment bleiben, hörten die drei wieder auf. Aber der Sound war gut und so die Stimmung. Wild am Abgehen der Schlagzeuger Guan Zheng 关铮, mit dicken Brillengläsern der eher in sich gekehrte Bassist Liu Hao 刘耗 und der mit hartem Xinjiang-Dialekt Sprüche klopfende und mit demselben Dialekt Englisch singende, das Publikum begeisternde Sänger Bian Yuan 边远 bildeten wirklich eine witzige Band. Nach vielleicht sieben Songs hieß es von Bian Yuan, was allerdings wegen der Rigorosität mit gleichzeitig verblüffender Leichtigkeit wiederum ziemlich locker war, nur kurz und knapp: 完了 - jetzt ist Schluss. Er drehte sich um, stöpselte seine Gitarre aus und ging hinten von der Bühne, seine beiden Kumpanen schraubten an dem anderen Equipment, nahmen es und waren ebenfalls bald verschwunden. Keine Forderung nach einer Zugabe kam auf, Charly und ich sahen uns fragend an, alle anderen schienen es mit Gelassenheit hinzunehmen.

Zack, Medienwechsel! Bald wurden dann eine Leinwand heruntergelassen und Mitschnitte von der Bandtour durch Deutschland und die Schweiz gezeigt, man merkte jetzt, wie viele Deutsche im Raum waren, bei Berlin ein Yeah! von der einen Seite, bei Hamburg ein Ach! von uns usw. Unverständlich blieb, warum die Tour von Hamburg nach Zürich und zurück nach Köln verlief, alle Strecken in einem durch, es wurde entsprechend viel in die Kamera gegähnt und nicht alle der fast durchgehenden Nahaufnahmen waren besonders vorteilhaft gefilmt. Zeit zu gehen, nach einer Stunde zog es uns wieder auf die Straße. Die 40 Kuai für die CD waren noch drin, die Jungs live aber definitiv besser als im Player zu Hause. Joyside haben, wenn auch nur sehr kurz, gerockt!

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Sonntag, 26. April 2009
Festivals Coming Up
Das schon legendäre und in diesem Jahr sein 10-Jähriges feiernde Midi-Festival findet doch in Peking statt - anlässlich der 60-Jahr-Festivitäten zur Gründung der VR wurde lange gemunkelt, dass alle anderen Veranstaltungen ausgelagert werden müssten, die Hauptstadt sollte reserviert sein für Hauptstadtfeierlichkeiten. Deshalb heißt es in diesem Jahr nicht Midi-Festival, sondern Midi Night - findet jedoch trotzdem in der gewohnten Länge vom 30. April bis 3. Mai statt. Einschränkungen sind allerdings: kein Openair, sondern Mao Livehouse, darüber hinaus ist laut Liste nur eine chinesische Band dabei, Voodoo Kungfu 零壹, alles andere hauptsächlich amerikanische und kanadische und insgesamt nur zwölf an der Zahl. Immerhin, es findet statt!



Außerdem am 1.-Mai-Wochenende: Das Strawberry Music Festival in dem leider nicht um die Ecke liegenden Tongzhou Canal Park 通州运河公园, der sich aber der Pekinger Vorortgegend Tongzhou entsprechend sehr passend anhört.



Weitere Festivals an den Feiertagen gibt es in Zhengjiang (etwa eine halbe Stunde von Nanjing entfernt Richtung Shanghai), das ist das eigentliche Midi-Festival und insofern doch ausgelagert, und in Chengdu das Zebra Music Festival. Vier Rock-Festivals in China zur selben Zeit! Mehr für den Monat unter midiweb.

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Samstag, 4. April 2009
Synecdoche New York


Meine Kopie ist miserabler Qualität, zur Hälfte ist sie gesprungen, das Ende wollte auch nicht. Vielleicht habe ich auch einfach nur einen schlechten Player und sehe mir den nächsten Film genauso an, dabei will ich Großes über ihn schreiben, Lebenswahrnehmungen durch ihn sich verändert sehen -- das entspricht etwa der Grundstimmung des Films "Synecdoche New York" von Charlie Kaufmann (Autor von "Adaption" und "Being John Malkovich"). Mein Eindruck der gesehenen Fetzen: Der Streifen ist deprimierend traurig, nicht ausschließlich negativ, statt dessen fordernd, sich plump-dynamisch im Kreis drehend, dabei in seiner Vielschichtigkeit wunderbar pseudo-komplex, einfache Lebensweisheiten tauchen in ihrer Schlichtheit und Essenz plakativ, aber trotzdem meist nebenbei als Regieanweisungen auf. Ein Theater-Film-Mix verquickender Ambivalenz.

Mir hat er sehr gefallen und ich will ihn, wie auf dem mir vorliegenden Cover von Roger Ebert empfohlen, tatsächlich ein zweites Mal ansehen, dann aber unbedingt in seiner vollen Länge. Wer an eine Kopie kommt, sollte sie sich unter den Nagel reißen. Einen weiteren Eindruck gibt es auf Kein Blut, Rot!

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Dienstag, 31. März 2009
听不懂
Die nördlichen Dialekte aus Dongbei, Hebei, Tianjin, auch der Inneren Mongolei mit Shandong-Einschlag waren noch einigermaßen verständlich, aber bei den Versionen aus dem südlichen Guangdong oder, besonders spannend, weil ich es noch nie gehört hatte, aus dem westlichen Qinghai konnte ich nicht mehr folgen – wäre es nicht ein und derselbe Text gewesen, hätte ich teils nur den unterschiedlichen Melodien lauschen können. Wie aufmunternd, dass es den hauptsächlich chinesischen Zuhörern ebenso ging. Eine wahrlich gelungene Veranstaltung des Goethe-Instituts (China) am Sonntag, den 29. März 2009, das Rezitationstreffen zum neuen Buch von Liu Zhenyun: "Eins zählt als Zehntausend". Zunächst wurde von einem Deutschen ein von „Lehrer Liu“ stammender Textabschnitt aus seinem neuen Werk auf Mandarin vorgetragen, wonach etwa fünf Dreier- bis Vierer-Gruppen den Text unter sich im Dialog aufteilend in der Mundart ihrer Provinz wiedergaben. Rezipienten und Zuhörer waren gleichermaßen begeistert.

Der zweite Teil bestand zunächst aus einem Vortrag von und anschließend aus einer Diskussion mit dem Schriftsteller Liu Zhenyun 刘震云 (1958 in Henan geboren), der ausführlich und ausholend, vollkommen frei und unglaublich lebendig sprach. Das Publikum war wie gebannt, es sollte die ganze Zeit Torte für jeden geben, aber die interessierte niemanden, jeder wollte noch eine Frage stellen, ein Mädchen stellte gleich zu Anfang ihrer Frage klar, dass noch zwei weitere folgen würden. Das Thema des kulturellen Reichtums, hier aufgegriffen durch die vielen und so unterschiedlichen Dialekte, fand großen Anklang und zeugt von dem Bedürfnis, das immer stärker in China zu spüren ist: Wer sind wir eigentlich, wo und was sind unsere Werte, Ursprünge, Vorstellungen, Eigenheiten?

29.3.9
Die Veranstaltung fand in der neuen Bibliothek des Goethe-Institutes (China) im Erdgeschoss des Haixing Gebäudes (海兴大厦), Zhongguancun, statt, die wirklich sehr schön geworden ist und nun häufige Veranstaltungen beherbergen soll. Ich bin gespannt auf mehr.

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Montag, 16. März 2009
Subkulturbrei
Angekündigt als „Destination China“ der Punks, Schwulen, Rebellen, als „Hier bringen euch zwei freshe Typen die Underground-Realness ins Wohnzimmer“, stellten Zachary Mexico China Underground und James West Beijing Blur vor. Bücher, Filme, Reportagen über die Jugend und ihr heutiges Leben in China stehen weiterhin hoch im Kurs, verkaufen sich besonders gut im Westen, wo man das Flair des Illegalen schätzt (im Fall Chinas verstanden als Rebellion gegen das diktatorische Regime). Ich bin da etwas voreingenommen und gerne bereit, mir meine Meinung bestätigen zu lassen: Die Jungs haben bestimmt zufällig jemanden mit einer Gitarre kennengelernt, der zum überpräsenten Businessvolk konträr auf sie wirkte – ist zur Genüge bekannt, der Gedanke an Oberflächlichkeit nicht fern ...

Nicht wenige beanspruchen die Entdeckung einer Subkultur in China für sich, wer nicht alles Cui Jian entdeckt haben will, na gut, den verpasst, suche ich mir in dem Milliardenvolk halt einen anderen Freak. Es gibt wirklich so viel Spannendes hier – doch das Subkultur-Genre, das mit der Ambivalenz von Verruchtheit und politischem Anliegen spielt, wird einfach unglaublich plakativ malträtiert.

Mexico aus den USA, West aus Australien stellten sich vor: Nach einigen Jahren im Land, hätten sie in ihrer Heimat nichts über das von ihnen authentisch erlebte Reich der Mitte gefunden, keiner der Menschen, die sie kennengelernt hatten, war erwähnt. Als Schreiben über China ist die Bestandsaufnahme der beiden in deskriptiver Quasi-Tagebuchform definitiv legitim – extrem subjektiv, fast forward, willkürlich ins Blaue hinein, aufsaugend und wiedergebend, was gerade um einen herum passiert, nicht unbedingt repräsentativ, aber interessant, wenn sich der angenommene oder vorhandene Blickwinkel auf das andere einlässt, ohne blind zu folgen.

Sich der Klischees bewusst, sich ihrer bedienend, wollen beide über ihnen stehen, sind trotzdem mittendrin. Ich finde diesen Ansatz gar nicht mal schlimm, er hat durchaus seine Berechtigung – ich würde mir nur wünschen, dass man ehrlicher ist. Natürlich verkauft es sich nicht sonderlich, wenn man sagt, von etwas eigentlich kaum Ahnung zu haben, aber was spricht dagegen, Subjektivität in den Vordergrund zu stellen? Man muss einen Kosmos nicht erst Jahrzehnte bewohnen, um ihn mehr als nur intuitiv zu durchdringen, Zeit braucht es natürlich, aber das Belächeln eines einjährigen Aufenthalts ist auch zu einfach. Gerade James West machte einen recht offenen Eindruck, der nicht nur auf die eigene Sichtweise begrenzt schien. Bei Zachary Mexico war es schwer zu sagen, er brabbelte mehr, schien aber auch noch extrem verkatert vom Vorabend.

14.3.9
Literaturwochen im Bookworm am Samstag, 14. März 2009, 12:30-14:00 Uhr.

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Sonntag, 15. März 2009
Mo Yan im Bookworm
Als „Big Breasts and Wide Hips – Howard Goldblatt and Mo Yan, with translation by Hao Wu“ war die heutige Veranstaltung anläßlich der Literaturwochen des Bookworm angekündigt. Obwohl ich vor beinahe Wochen zum Ticketkauf aufgebrochen war, befand ich mich hinter einem guten Dutzend anderer auf der Warteliste – Mo Yan wollten alle sehen. Wirklich intensiv habe ich ihn nie gelesen und kann mich eigentlich nur mit gemischten Gefühlen (interessante Narration, teils ziemlich überbordende Deskription) an Die Schnapsstadt erinnern, Das rote Kornfeld kenne ich allein aus der Verfilmung von Zhang Yimou, der angekündigte Titel riss mich nicht unbedingt vom Hocker. Aber man hat ja nicht jeden Tag die Möglichkeit, Mo Yan life zu erleben. Also erwarb ich Karten für die Veranstaltung davor (die ich ebenfalls sehen wollte, wenn auch aus anderen Gründen), heimste von Erin, Mitorganisatorin des Festivals, in der Pause einen Anwesenheitsmarker ein und kam tatsächlich noch in den Genuss zweier Karten.

14.3.9
So begeistert, wie Mo Yan und H. Goldblatt auf dem Foto wirken, schienen sie auch von meiner Bitte, sie ablichten zu dürfen – ob das noch am Jetlag lag, den beide aus Oklahoma mitbrachten, wo Mo Yan gerade den Newman-Preis für chin. Literatur entgegen genommen hatte, bleibt dahingestellt.

Am Sonntag, 15. März von 15-16:30 Uhr, begann Mo Yan (Jg. 1956 aus Gaomi, Shandong) mit der Bemerkung, dass Events wie diese immer von Ausländern ausgerichtet und bevölkert wären, wobei ich mir nicht sicher bin, ob Argwohn mitschwang oder reine Betrübnis. Als bloße Feststellung ist es kaum vorstellbar – bedauerlich war jedenfalls, dass nicht Englisch sprechenden Chinesen der Zugang wegen der Sprachbarriere verwehrt blieb.

Nach einiger Zeit der Einleitung, ausgiebiger Huldigung und einigen netten Anekdoten zwischen Howard Goldblatt und Mo Yan, ging es in der guten Stunde, die abgezogen von der Autogrammzeit real zur Verfügung stand, mit Hauptaugenmerk auf das neuste Werk Mo Yans, Der Überdruss (生死疲劳 Shengsi pilao, Engl. von H. Goldblatt als Life and Death are Wearing me out) von 2008, hintergründlich auch um Die Schnapsstadt (酒国 Jiuguo) von 1993 und Das verwünschte Sandelholz (檀香刑 Tanxian xing) von 2001. Um die Brüste und Hüften ging es nur sehr am Rande.

Der Überdruss umfasst die letzten 50 Jahre der Geschichte Chinas, die angelehnt an die mystische Fiktion im Liaozhai zhiyi von einer Person in verschiedenen Wiedergeburtsphasen durchlebt werden. Eigentlich, so Mo Yan, wollte er über den Menschen schreiben, landete aber alsbald bei den Tieren, die ihn schon in früher Kindheit begleitet hätten – als er für fünf Jahre wegen Aufmüpfigkeit von der Schule flog, seien Hühner und Schweine seine Kindheitsfreunden geworden. Hier ist jedoch kein Widerspruch zu finden, denn seine Tiere weisen eindeutig menschliche Züge auf. Den Roman in 43 Tagen geschrieben, weist er die Kritik von sich, dies könne aufgrund der kurzen Investition kein gutes Werk sein – schließlich kämen Figuren vor, die er bereits seit 43 Jahren kenne. Auch hat er als Schauplatz seine Heimat Shandong gewählt, mit der ihn alle seine Sinne, besonders aber der Klang der Sprache verbinden. So auch die Elemente der lokalen Oper, deren Grammatik und Umgangssprache er ebenfalls aufgenommen hat und mit denen er die einzelnen Charaktere ganz unterschiedlich auftreten lässt. Dabei fiel auf, dass Mo Yan fast Hochchinesisch sprach, aus Interviews kannte ich ihn bislang nur mit dem etwas gelispeltem Dialekt.

Interessant war die Frage, die Mo Yan, wie er erzählte, einmal von einem Franzosen in Bezug auf Das verwünschte Sandelholz gestellt wurde. Warum in modernen chinesischen Romanen wie in diesem um die berechtigte Frage nach der Verantwortung eines Henkers so außerordentlich häufig und detailliert Gewaltszenen geschildert sind. Da Mo Yan dies selbst aufgebracht hat, wunderte mich seine banale Antwort dann doch, in der er mit Lu Xun auf Schaulust zurückgriff, um schließlich alles auf den Punkt zu bringen, dass Damen gerne zusähen, schrieen und in Ohnmacht fielen, um am nächsten Tag wiederzukommen. Das war nicht das einzige Mal, dass ich während der Veranstaltung das Gefühl hatte, er wäre in einer anderen Zeit stehen geblieben – allerdings meines Erachtens in einer Zeit selbst 50 Jahre vor seiner eigenen.

Alles in allem eine nette Stunde mit einem doch sehr sympathischen Mo Yan.

14.3.9

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Samstag, 28. Februar 2009
Ach, Zhong Lifeng
钟立风 + Borges [unterstrichen]
果实 + 艳遇

Soll das eine Gleichung sein, dann steht dort Zhong Lifeng und Borges durch Frucht und wunderbare Begegnung, vielleicht in dem Sinne, dass Zhong Lifeng durch den Einfluss von Borges unterm Strich das Produkt einer wunderbaren Begegnung ergibt. Dies als Bestandteil des Bühnenbildes:

28.02.2009.

Auf dem Ticket ist folgendes zu lesen:

钟立风 & Borges 乐队——“果实”于“艳遇”首发演唱会

Die Band Zhong Lifengs und Borges – Das „Ergebnis“ einer „wunderbaren Begegnung“ als Konzert.

Am 28.o2.2oo9, um 14:3o bis 16:3o Uhr im 朝阳区文化馆电影院 in der 小庄路口东, vom Dritten Ring abgehend in der Nähe des CCTV Gebäudes – deshalb heute auch das Foto von der Brandruine –, fand dieses Konzert statt. Ich war zum ersten Mal in den Räumlichkeiten, der Saal fasst etwa 2oo Zuschauer, nicht der neueste, aber ganz in Ordnung. Die Tickets gab es für 5o, 8o und 12o RMB.

Zum Ablauf: Zunächst, vor ockerfarbenem Vorhang und mit extra für die Show aufgehängten, von der Decke baumelnden maroden Stühlen, erklangen drei Instrumentalstücke, die ganz gut gespielt waren, mich aber nicht vom Hocker rissen. Es wirkte mehr wie eine gut eingespielte Probe, der Kontakt zum Publikum war weder vorhanden, noch wurde der Versuch gemacht, ihn aufzubauen. Ein Schlagzeuger, zwei Bass-Gitarristen, der eine in Hose und Jackett kaum vom Vorhang zu unterscheiden, ein Keyboarder und ein Saxophonist, der im dritten Stück sein Saxophon in ein Instrument tauschte, das ich noch nicht gesehen hatte, eine ca. 4o cm lange Art elektronischer Flöte mit rotem Mundstück, sah recht bizarr aus und pfeifte in hohen, aber nicht schrägen Tönen. Der Vorhang, schwarz, fiel, Rufe nach Zhong Lifeng ertönten, der Vorhang ging wieder auf, verschwunden war die ockerne Schicht, dafür kam eine tiefere Ebene der Bühne zum Vorschein, verschwunden auch der Saxophonist, der Keyboarder und einer der Gitarristen. Schlagzeuger und der andere Gitarrist waren an Ort und Stelle geblieben, dafür kamen nun noch ein weiterer Bass-Gitarrist, eine Frau am Akkordeon und eben Zhong Lifeng in der Mitte mit Gitarre hinzu. Alle fünf saßen und es konnte endlich losgehen. Nach ein paar Liedern, fragt Zhong Lifeng rhetorisch in die Runde, ob er ein wenig aus seinem Buch, das gerade publiziert wurde, vorlesen könne. Vorher erzählt er noch ein wenig, wie schwer es den meisten fiele, seine Texte zu fassen und dass eine Freundin meinte, seine Texte seien gut zur Anregung der Fantasie von Kindern. In Begleitung des Akkordeons liest er dann eine knappe halbe Stunde lang teils kommentierend drei Passagen, neben mir führt ein Mädchen hinter vorgehaltener Hand ein angeregtes Telefonat und schläft danach ein. Es wird dunkel und Zhong Lifeng erscheint im Scheinwerferlicht in einem Gang in der Mitte der Zuschauer – ein Raunen geht durch den Saal, das gefällt dem Publikum. Dort singt er, beim zweiten Stück wieder in Begleitung des Akkordeons, positioniert im Gang auf der anderen Seite, drei, vier Lieder, ihn Filmende freuen sich über die Nähe. Zum letzten Stück aus dieser Position tritt auf der Bühne eine Tänzerin, barfuss in einem blauen Pyjama, in recht willkürlich zerhackten Bewegungen und nicht immer im Rhythmus auf. Dann springt Zhong Lifeng wieder zurück auf die Bühne, wo seine Band bereits wartet und schmettert noch ein wenig drauf los. Claudia neben mir fiel auf, dass ich immer tiefer in meinem Platz versank. Nach vier oder fünf Zugaben, in denen er auf Fanzurufe seine beliebtesten Songs zum besten gibt, kommen alle möglichen Abschlussworte von Organisatoren und Mitstreitern, alle begeistert, jeder bedankt sich, wird hin- und hergewürdigt, Blumen verschenkt, Autogrammstunde rundet das ganze ab. Mit kam die Veranstaltung dann doch eher wie eine besser geratene Schulaufführung vor.

Ich hatte Zhong Lifeng Anfang des Monats mit Freunden in einer Kneipe beim Trommelturm spielen gehört, weshalb ich überhaupt auf ihn aufmerksam wurde. Im Internet habe ich seine Musik später als „Neo-Volkspop“ klassifiziert gefunden, die Bezeichnung ist mir nicht geläufig, aber sie trifft es ganz gut, balladenhafter Manchmal-Pop mit eigenen Ansätzen besonders vom Text her. Zhong Lifeng, der aus Zhejiang stammt und seit 1995 in Peking lebt, wirkt mit dem durchgehend netten Grinsen im Gesicht fast kindlich naiv, er freut sich wahnsinnig, auf der Bühne zu stehen und über sein Publikum, das größtenteils seine Texte mitsingen kann. Mir war das alles doch etwas zu niedlich, manchmal wirkte das Ganze eher wie eine chinesische Show von Rolf Zuckowski. Mag sein, dass mir das Genre nicht zusagt, am Trommelturm war die Atmosphäre auch eine vollkommen andere. Klar war der Gesang dort schon recht schmierig, aber das machte Zhong Lifeng mit seiner sympathisch netten Art wett, man freute sich einfach mit ihm und grinste über sein ständiges Grinsen, die Texte klangen, wenn ich sie auch nicht komplett verstand, sehr witzig. Besonders schien er einen melancholischen Nerv zu treffen, über den er selbst hinweglachte.

Achso, und was den Einfluss von Borges betrifft, so vermute ich, dass ihm dessen fantastische Literatur und Vermischung der Realitätsebenen zusagen.

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Donnerstag, 26. Februar 2009
Canettis "Blendung"
Elias Canetti: Die Blendung. Frankfurt a. M., Fischer: 1963 [1935]. 1981 mit dem Literaturnobelpreis bedacht.

Mein abschließender Eindruck ist zermürbend und bleibt wieder an der seit meinem Einstieg in das Berufsleben mich beschäftigenden und vorher nicht weiter wahrgenommenen (weil nicht als Ungleichheit empfundenen) Frage nach dem Geschlechterstreit hängen. Dieser in Canettis "Blendung" dargestellte Hass auf das weibliche Geschlecht, das nur als Störfaktor des Mannes erscheint, wirkt wie solcher Lust beschrieben und mit solch fundamentalen aus Kunst und Literatur schöpfenden Verweisen bedacht, dass die bis heute sich hinziehende Missachtung gegenüber der Frau gar plausibel wird. Darum, sich alles so Hinzubiegen, wie es einem gerade passt, geht es in diesem Roman und darin brilliert er meisterhaft. Schon bald hängen einem die Stellen über Therese zum Hals heraus, man kann sie, mit ihrem, so heißt es, aus 50 Wörtern bestehenden, in Kurzsätzen abgehackten Vokabular, nicht mehr hören, überspringt die sich ständig gleich bleibenden Phrasen und hofft, dass der Autor ihrer selbst bald genug hat. Alle Figuren sind verblendet geschildert, manchmal rutscht dem Autor allerdings eine Floskel von Therese bei Fischerle mit hinein, was nicht gewollt wirkt und wo sonst die je eigene Sprache der einzelnen Charaktere steht. Sein Ergötzen am jeweiligen starren Beharren und kontinuierlichen Aneinander-Vorbeireden macht den besonderen Reiz aus und ist verständlich, so auch der damit einhergehende Raubbau am letzten Nerv des Lesers, die Zumutung ist berechnet – und wirkt, weiß man doch von seinen eigenen, sich durch den Tag und verschiedene Situationen ziehenden Gedankenspielen.

Der Inhalt ist schnell geschildert: Doktor Peter Kien, der, so lautet die häufig aufgenommene Selbstbezeichnung, "größte lebende Sinologe", lebt ausschließlich in seinem Elfenbeinturm aus Büchern und Gelehrsamkeit weltfremd und ohne jeglichen Sinn für das Leben abseits seiner Bibliothek, Bücher bedeuten ihm alles. In den drei Teilen "Ein Kopf ohne Welt", "Kopflose Welt" und "Welt im Kopf" gerät Kien in den Strudel des täglichen Wahnsinns, der sich mit seinem paart. Er heiratet die stumpfe Therese, wird von der ausschließlich an Geld und Sex Interessierten, beides ihm weit entfernt, aus der Wohnung ausgesperrt und landet im Leben der Gauner und Zuhälter – bis er schließlich vom groben Hausbesorger Pfaff in dessen Kabinett eingesperrt, vom eigenen Bruder, der einzigen positiven Figur, wieder in sein vorheriges Leben und die Wohnung mit den Büchern gebracht wird, sich dort aber aus Irrsinn mit seiner gesamten Bibliothek selbst verbrennt.

Ich habe das Buch unter Qualen sehr genossen. Jeder einzelnen Figur hat sich Canetti ausufernd gewidmet, ihre Charaktere sofort ernüchternd demaskiert, ihr Dasein im Laufe der Erzählung bloßgelegt, ihre haarsträubenden Vorstellungen von sich selbst und von anderen mit den gleichfalls verdrehten der anderen so verzahnt, das einem oft übel wird. Das für Canetti und die Zeit zwischen 1920 und 1930 wichtige Thema "Masse und Macht", so auch der Titel seines Hauptwerkes, wird durch den Bruder Kiens ausgesprochen, ist aber in der gesamten "Blendung" durch den Versuch der Figuren präsent, ihre jeweils eigene Welt v. a. vor sich selbst zu rechtfertigen und sich so ihrer Einzigartigkeit zu versichern.

Für Pamina.

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