Donnerstag, 5. Dezember 2013
Zhu Xianwei 朱贤巍: Ich und der Kalte Berg

Lost in Utopia. 2013.

Werkstattgespräch mit Zhu Xianwei 朱贤巍

und
• Dr. Uta Lauer
Gastprofessorin an der Universität Hamburg
• Ni Shaofeng
Abteilung für Sprache und Kultur Chinas
• Stefanie Thiedig
Kulturgut 文化财富, Beijing

Zhu Xianwei, geboren 1971 in Qingdao, studierte an den Kunstakademien von Hangzhou und Stuttgart. Seit 2008 lebt er als freier Künstler in Stuttgart und Beijing. Seine Werke, die bereits in mehreren Ausstellungen gezeigt wurden, leben vom Spannungsverhältnis der beiden Kulturen.

Im Werkstattgespräch geht es darum, wie Zhu Xianwei durch Gedichte des Mönchsdichters Hanshan 寒山 (Kalter Berg), der im 7./8. Jahrhundert lebte, geprägt wurde – mit Blicken auf die Gedichte und die Bilder des Künstlers.

Die Hamburger Sinologische Gesellschaft e.V. und
Die Abteilung für Sprache und Kultur Chinas des Asien-Afrika-Instituts der Universität Hamburg laden ein:

Donnerstag, 19. Dezember 2013, 14.15 – 15.45 Uhr
Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1 – Flügel Ost, Raum 122


Seit ich mich einst auf den Hanshan zurückzog
Ernähr ich mich von wilden Früchten
Ein friedliches Leben, was braucht ich mich zu sorgen
In dieser Welt nimmt alles seinen vorbestimmten Lauf
Tage und Monde verströmen unaufhaltsam wie der Fluss
Unsere Zeit – Funken von einem Feuerstein
Die Welt zu ändern überlass ich euch
Ich sitze still vergnügt zwischen den Klippen

一自遁寒山 养命餐山果
平生何所忧 此世随缘过
日月如逝川 光阴石中火
任你天地移 我畅岩中坐

Hanshan. Übersetzung nach Stephan Schuhmacher: 150 Gedichte vom Kalten Berg. Düsseldorf und Köln: Diederichs 1974.

Hanshan, Kalter Berg, ist ein Ort im Tiantai-Gebirge der Provinz Zhejiang, nach dem der sonst unbekannte Dichter-Einsiedler sich benannt hat – dort schrieb er seine Verse in der ausgehenden Sui- oder frühen Tang-Zeit, die in der späten Tang in ihre heutige Form gebracht wurden. In China gelten die meist 8-zeiligen 5-Zeichen-Gedichte in schlichter Sprache und einfachem Stil mit häufig paradoxer Mehrdeutigkeit als künstlerisch unbedeutend. Hanshan ist vielleicht durch die Übersetzung Gary Snyders als Beitrag zur Beat-Generation der 1950er Jahre im Westen sogar bekannter als in seiner Heimat. Nicht so allerdings unter den Malern. Hanshans Ideale chan-buddhistischer Weltauffassung und umgangssprachlich ironischer Verballhornung gesellschaftlicher Mechanismen haben immer wieder neue Künstlergenerationen inspiriert und besonders die Landschaftsmalerei seit seiner Zeit indirekt beeinflusst.

Genau in diese Ansätze chinesischer Landschaftsmalerei wollen wir hineinblicken und in Form und Ausdruck, Perspektive und Narration, Komposition und Raumverständnis betrachten. Auf der Grundlage der Gedichte Hanshans lassen sich auch Zhu Xianweis Arbeiten lesen, die in Hinsicht verschiedener Pluralitäten interessant sind. Als in Deutschland ausgebildeter Künstler überschneiden sich Stil und Sprache zweier Kulturen, treten aber in Hintergrund seines individuell gedachten, allgemein menschlich zu verstehenden Diskurses mit sich und der Welt. Ein besonders prägnantes Beispiel ist die im Sommer 2013 abgeschlossene Serie „Lost in Utopia“. Gegenstände lösen sich als in sich selbst erstarrte Kulturartefakte auf und es scheint der Übergang zu einer neuen Weltordnung zu herrschen. Manche seiner Figuren könnten in den kreierten Räumen als in eine Warteposition verfallen wirken, entwickeln aber bei längerem Hinsehen ein Eigenleben, das herrschende Strukturen teilweise im Ausklang belächelt, viel mehr aber noch hinter sich gelassen zu haben scheint und bereits in wildem Zustand befindlich freiheitlich-närrisch agiert. Dann wieder trifft man auf überweltliche Figuren, die sich – selbst, nicht als moralische Instanz – zu fragen scheinen, wo all dies hinführen soll.


Siehe im Zuge dieses Beitrags auch 关于这个话题也看: Künstlerporträt: Zhu Xianwei 朱贤巍.

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