Dienstag, 9. Juni 2015
Künstlerporträt: Zhu Xianwei 朱贤巍
Formal und sowohl inhaltlich als auch symbolisch wirkt Zhu Xianwei in seiner Malerei im Jetzt verankert, mit stark romantischen Tendenzen und allzeit menschlichen Fragestellungen. Doch genauso gut könnte er in jede andere Epoche passen, er scheint mir sehr assimilierbar, sich in seinem eigenen Dunstkreis des Denkens und Empfindens überall zurechtfinden zu können. Dann wiederum kann man ihn sich in der europäischen Romantik und in der Tang-Dynastie vorstellen; selbst sieht er sich in der Minguo-Zeit, im beginnenden 20. Jahrhundert, gut platziert – ob dies aus Gründen eines allgemeinen semi-intellektuellen Trends, sei einmal dahingestellt, es fügt sich definitiv in unsere Zeit des Umbruchs und der Möglichkeit zum selbstgestalteten Umbruch, in die der Rückbesinnung und des Hinterfragens alter, großer Themen.



Zhu Xianwei, geboren 1971 in Qingdao, studierte an den Kunstakademien von Hangzhou und Stuttgart. Seit 2008 lebt er als freier Maler in Stuttgart und Beijing. Er hat sowohl die handwerkliche Schule Chinas durchlaufen als auch die, zumindest im Gegensatz zur chinesischen, individualistische Deutschlands. Analytisches Denken hat ihn dabei allerdings nicht verkorkst, denn im Gespräch mit ihm folgt er in seinen Gedankengängen teilweise rabiat dem Fluss der eigenen Gehirnsynapsen. Es geht ihm um Themen wie Fremde und Zugehörigkeit, Sehnsucht und Einsamkeit, durchdrungen von einer gelegentlich klischeeartigen Shandong-Machohaftigkeit mit merkwürdig traditionalistischem Männlichkeitsverständnis. Wenn er einen ihm wichtigen Gedanken fasst, ist dieser häufig poetisch im Ausdruck und dahinter verbergen sich dann gerne idealistische Vorstellungen – zur Leere und zum Nebel, zur Natur und Erhabenheit, beinahe hört man dabei den Wind auf dem Berggipfel mit vorüberziehen.

Sein leiser, subtiler Humor ist sehr einnehmend. Gerne auch unterschwellig gewitzt, häufig frotzelt er vor sich hin und lacht sich dann eins ins Fäustchen. Es geht eine Leichtigkeit und Gelassenheit von ihm aus, wobei er sich manchmal auch in Rage redet, dass man das Gefühl hat, er sei zur Revolution bereit. Doch fokussiert er diese auf seine Malerei. So orientierungslos er im örtlichen Zurechtfinden wirkt, so desinteressiert gibt er sich auch gegenüber materiellen weltlichen Fragestellungen, Aggressionen in Bezug auf deutsche Gründlichkeit bei Steuern, Rente, Versicherung etc. verpuffen schnell im Durchzug. In der Malerei weiß er jedoch meist ziemlich genau, was er tut. Wichtig dabei ist die Leere, das kong 空, meinem momentan persönlichen Verständnis nach das Eintauchen in einen Umstand, der einen auf die Essenzen fokussieren lässt, ein Sein in der Gegenwart, im Moment.

Dieser Einblick hier ab großteils 2013 ist aus gemeinsamen Gesprächen und kleinen Projekten entstanden. Möglicherweise stimmt er nicht immer mit der Selbstwahrnehmung und Kunstinterpretation des Protagonisten überein, auch stammt die Auswahl der Bilder von mir, aber vielleicht gefällt es dennoch dem einen oder der anderen.

Aus der Serie: Lost in Utopia. Sommer 2013:









Pluralitäten werden bei Zhu Xianwei teilweise zu Widersprüchen oder lösen sich auf. Landschaftsmalerei, Romantik, irres Treiben, Leere, Ironie, Materie, Poesie und viele andere Elemente finden sich in seinen Arbeiten. Es geht Zhu um einen Dialog zwischen chinesischer und westlicher Landschaftsmalerei, durch den er dabei ist, sich den Weg seiner eigenen Landschaftsmalerei zu schaffen. Dabei interessieren ihn etwa die unterschiedlichen Perspektivvorstellungen. Die wandernden und multiplen Perspektiven der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei sieht er durch ihre Beweglichkeit und Freiheit und durch ihre Komplexität als besonders geeignet für die gegenwärtige Landschaftsmalerei und die facettenreiche Darstellung der Wahrnehmung und Verbindung subjektiver und objektiver Wirklichkeit.


Aus der Hanshan-Serie, 2014.

Als eine Leitlinie durch seine Landschaftsmalerei zieht sich von chinesischer Seite aus der Einsiedler-Mönch Hanshan, Kalter Berg, der im 7. Jahrhundert in seiner Höhle gelebt und dort seine Gedichte geschrieben hat (s. Zhu Xianwei: Ich und der Kalte Berg). Hanshan nahm durch die Übertragung von Gary Snyder einen wichtigen Einfluss auf die westliche Kultur – und fand erst in den letzten Jahren über Japan wieder seinen Weg nach China. Die Verbindung von Zen-Buddhismus und Daoismus, das tatsächliche Leben in der Natur ohne jeglichen Besitz, die Fragen der Individualität in Bezug auf das Ich und die Suche nach dem eigenen Selbst in für jede Generation neuen und immer anderen Bedingungen sind die Hauptpunkte, die nach der Beat-Generation auch Zhu Xianwei an Hanshan begeistern und deren Spurensuche er an ihrer Quelle verfolgt. Diese Essenz befindet sich für ihn auch in der westlichen Landschaftsmalerei der Romantik, wo seine Spurensuche weitergeht.

Er begibt sich regelmäßig auf „Wallfahrten“, von Rügen und den Kreidefelsen Caspar David Friedrichs über den französischen Wald bei Fontainebleau, um die Bewegung von der Wahrnehmung der Natur der damaligen Zeit vor Ort nachzuempfinden, bis in die Gebirgszüge, die Hanshan in seinen Gedichten beschrieben hat. Auf der Suche nach dem Weg in die Natur und nach dem Umgang mit ihr in unseren Vorstellungen und Projektionen, verbunden mit der Rückkopplung zur Kunsthistorie, möchte er im Umkehrschluss den Weg seiner Landschaftsmalerei weiter öffnen.


Aus der Hanshan-Serie, 2014.

Der Weg zur Wahrheit ist verzwickt, verwinkelt, vernebelt, zumindest neblig, klare Antworten existieren nicht, jeder muss selbst danach suchen – wenn es eine Antwort gäbe, wäre der Weg wohl auch nicht mehr interessant, vielleicht sogar überflüssig. Zhu Xianwei lockt den Betrachter mit seiner narrativen Landschaftsmalerei: Man möge sich in sein Bild hineinbegeben und in ihm wandeln. Dort vermag man dann bei näherem Verweilen alles mögliche zu entdecken, eine ganz eigene Welt, bekannt und doch immer wieder neu, romantisch und skurril, fernöstlich und manchmal noch ferner westlich – durch die man wandern, sich bei Gefallen beliebig niederlassen, eine Zeit wohnen und seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Es existieren Referenzen und Hommagen zu anderen Kunstobjekten, zu geschichtlichen, gesellschaftlichen, gedanklichen Ereignissen, Epochen und Denkansätzen, ein Wulst aus Tinkturen. Ist man mit diesen vertraut, umso spannender, aber auch so lässt sich in dieser Welt Zhus wunderbar sinnieren.


Kreidefelsen an C.D. Friedrich. 2014 (Foto von Zhu Xianwei).

Caspar David Friedrichs „Kreidefelsen auf Rügen“ von 1818 hat man bei diesem Bild sofort vor Augen. Die drei Originalfiguren bei Friedrich werden von links nach rechts meist als seine Frau Caroline, als Porträt seiner selbst und als das seines Bruders gedeutet. Als Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, als Farbsymbolträger mit Bezug auf Religion, Politik und Leben … So wie Friedrich – Zhu Xianwei nennt ihn „David“ – der Szenerie die die Felsen einrahmenden Bäume hinzugefügt hat, spart auch Zhu nicht mit eigenen Kreationen. Den Blick umherschweifen lassend auf der Suche nach einem Einstieg, bleibe ich an dem alten Roboter hängen, der gefährlich nah an der Klippe steht und zu dem vor ihm schwebenden, doch mit Schatten versehenen Koffer schaut. Vielleicht impliziert der Schatten eine Brücke, die der Figur zur Verfügung stünde, wenn sie sich zur Reise entschließen würde. Aber diese scheint nicht nur im Moment des Gemaltwerdens einzuhalten, vielleicht ist sie einfach noch nicht so weit, an Friedrich denkend mag es eine Option für der Zukunft sein. Vielleicht gefällt dem Roboter auch nur die Möglichkeit des möglichen Aufbruchs.

Dazu kommen dann die O- und/ oder U-Form – in der Mitte das Meer, die Leerheit im Zentrum, etwas in der damaligen Landschaftsmalerei sehr Besonderes, dazu der Inhalt, in dem es um Hoffnung und Glauben geht. 200 Jahre nach Friedrich haben sich die Landschaft auf Rügen und unsere Welt sehr verändert. Mit surrealistischer Wandlung finden sich hier eine Tischlampe, ein Windrad, Panzer, Reisekoffer und Sofa – einfache Dinge, die in unserem modernen Alltag existieren. Mit dem strauchelnden, ängstlich wirkenden Papst, mit dem im Dunkeln mit sich beschäftigten, auf seine Naturaufnahmen fixierten und von dem durch die Linse eröffnenden Blick eingenommen Fotografen fragt Zhu nach unserem heutigen Glauben und Wahrheitssuchen. Der Affe rechts auf dem Baum versucht den Mond aus dem Wasser zu holen – nach einer alten chinesischen Erzählung ist der Mond im Wasser das Symbol der Täuschung. Als Betrachter im Originalbild von Friedrich auf der rechten Seite schaut hier der Roboter in die Ferne und Leere. Jede dieser Figuren scheint in ihre ganz eigene Weltsicht versunken, manche wohlmöglich verloren.


Am Anfang war der Hase. 2014 (Foto von Zhu Xianwei).

Dieses Bild fragt mit Albrecht Dürer nach dem Ursprung. Van Gogh mit Pfeife grübelt darüber links oben. Unter ihm wieder ein Fotograf im Dunkeln vor der Anhöhe des in die Fluten tauchenden Hinterns, der durch seine Größe selbst zu einem Teil des Berges geworden scheint, wie in Stein gemeißelt, aufgegangen in den Elementen Wasser und Holz und Stein in sich selbst ruhend, unter der Lampe hindurch, die Lampe erneut als modernes Licht nach Erkenntnis vielleicht forschend, vielleicht deutend, der Affe rechts im Baum, in gespannter Erwartung die Szenerie betrachtend – die suchende Frau, den ins Stillleben eingefroren scheinenden, gleichzeitig zum Einsatz bereiten Anzugmensch, den im pinken Gummiring steckenden Mann im Versuch, die Klippen zu bezwingen … in eigene Weltsichten versunken auch hier die Figuren, sie alle kennt und ist man. Doch wo steht man selbst wirklich? Das Radio plärrt, der Hase bleibt wachsam, zum Sprung bereit.


Hier nun eine Auswahl von Werken. Teilweise in Ermanglung der korrekten Namen habe ich zu Hilfsattributen wie Stühle oder Angler gegriffen.


Aus der Serie: Fremder. 2012 (Fotos von Zhu Xianwei):








Aus der Stühle-Serie, 2013:














Aus der Serie: Die Leere. 2012–2013 (Fotos von Zhu Xianwei):






Aus der Reiter-Serie, 2013:








Aus der van Gogh-Serie, 2013:






Verschiedenes, 2013:
















Aus der Angler-Serie, 2014:










Aus der Babel-Serie, 2014:




Aus der Hanshan-Serie, 2014:













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Atelier Beijing, 2013.


Atelier Stuttgart, 2014.


Fotos, wenn nicht anders ausgezeichnet, von Stefanie Thiedig.


Literatur

Peter O. Chotjewitz: Die Ferne in Dir. Einige Bemerkungen zu den Stuttgarter Bildern von Xianwei Zhu. Stuttgart 2005. Online hier.

Zhu Xianwei 朱贤巍: Searching For No Heaven 寻找非天堂. Ausstellungskatalog der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart anlässlich der gleichnamigen Einzelausstellung mit einem Vorwort von Günter Baumann, Stuttgart 2009.

S. zu Hanshan die Übersetzung von Stephan Schuhmacher: Han Shan: 150 Gedichte vom Kalten Berg, Fassung von 1974 (mittlerweile VPN notwendig), Kommentar und Vorwort zur Neuauflage von 2001 hier. Original: 寒山诗集.


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