Freitag, 8. August 2014
Alles kompliziert, alles sehr schwierig ——事情在中国都复杂,做弄干改事情都复杂……
Das ist sehr kompliziert, wird immer mehr zur Trendformel, bald Hohlformel. Seit ein paar Jahren hört man es vermehrt in Ost und West, aber es nimmt gerade Überhand, es kriecht einem in den Nacken und man kann es nicht ständig ignorieren. Ich spreche hier natürlich nur von einem der etlichen Phänomene unserer Zeit – mit allen möglichen Andeutungen seiner Randerscheinungen in Nebensätzen, denn, alles hängt im Großen Chaos, ähm, im zivilisierten Nachchaos, verwirrt miteinander zusammen.

Muss man annehmen, dass die Welt um einen herum inzwischen denkt, man sei blöde geworden (Internet, Schnelllebigkeit, all die Leiern), könne komplexe Zusammenhänge nicht erfassen? Oder sind unsere Experten zu müde, um sie zu erklären? Alles ist so fuza, so schwierig, dass man es lieber umgeht, gar nicht erst angeht?

Die chinesische Intelligenzija, die Elite, die es sich leisten kann, kauft seit Jahren Immobilien im Ausland und schickt ihre Kinder zur Bildung in den Westen. Gerade sagte wieder eine Stimme, in zehn Jahren sei es hier nicht mehr auszuhalten, und empfahl in die Runde, sich schleunigst andere Basen zu schaffen.

Dieses Jahr haben die Exekutiven der Banken und Ämter keine Sommerpause, für Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne müssen ganz neue Modelle geschaffen werden, während sich im Alltag das Gemauschel um Fapiaos zur Rückerstattung von Geldern noch um eine Windung weiter dreht. Die Hintertüren all der kleinen Bedürfnisse werden so schnell geöffnet, dass die Modelle gar nicht greifen können, bestimmt auch, weil diese vermutlich keine signifikanten Gehaltserhöhungen beinhalten, um halblegale Aktionen überlegenswert zu machen – dabei hat das Land so viel Geld, immer diese paar Einvernehmer, wenn irgendwie möglich, sind sie immer da. Und gerade befinden sie sich, Macht und Geld weiter im Land anhäufend, bereits mit einem Fuß in den Weiten. Dabei rufen sie den Laobaixing, dem einfachen Volk, eigentlich allen, die es sich nicht anders leisten können, zu, das Land zu lieben 爱国, höhnt eine Freundin.

Also alles ganz kompliziert. Geld und Macht liegen in großen Mengen vor Ort, in China, werden von den paar Einvernehmern geschoben und in die Zwiebel nach außen weitergetragen, mittelmäßig, aber dennoch so, dass Lechz und Ich will auch. Würden die meisten nicht das an Gehalt bekommen, was man fast schon als Miete aufbringen muss, um einigermaßen anständig zu wohnen, will man nicht in zusammengewürfelten 北漂-WGs mit anderen aus dem ganzen Land herbeigeflogenen Nordticket-Glückssuchern wohnen oder hat keine Eltern in der Stadt, arbeitet man sich seit etlichen Jahren durch das Gewirr, hat man sein Netzwerk wenn irgend möglich gewoben – wäre es geregelter, müsste sich nicht jeder so durchschlängeln und die Anti-Korruptionskampagne wäre unnötig, aber, ach, so einfach ist es natürlich nicht. Mittlerweile ist die Mittel- und gehobene Mittelschicht im Ausland besser als im Inland gestellt, zumindest scheint es ihnen leichter dort. Aufatmend hört man sie über westlich Ordnung und System sprechen, 没那么复杂, nicht alles so kompliziert, 比较稳定, stabiler ists, man kann halt einfach sein Leben leben ohne diesen ganzen Schmeiß – einmal im Jahr sind sie dann hier, zerdrücken eine Träne, essen durchgehend sich labend, ziehen wieder ab. Die untere bis Mittelschicht wuselt sich also so durch, die Mittel- bis gehobene Mittelschicht hat sich abgeseilt oder ist dabei. Die, die ein größeres Stück vom Kuchen wollen, schon haben, mehr wollen und wissen, wo das Messer anzusetzen ist, bleiben noch ein Weilchen, scheffeln und schaffens ins Ausland.

Zäune, Zwänge, Grenzen, Barrieren, vermeintliche Sicherheit und Einigelung statt Konfrontation, geschweige denn Überwinden – 骑墙, auf der Mauer reiten, ist negativ besetzt, steht für Unentschlossenheit, Schwarzweiß dagegen mag man, gilt als klare Meinung, weil … hier alles so kompliziert ist? Die allgemeine Maxime lautet, dass man das System nicht ändern kann. Wenn, wie gerne und oft, das scheinbare Totschlagargument Unserer Kinder, die es besser haben werden, kommt, dann zweifel ich jegliche sonst so, was, doch nicht nur scheinheilig, gepriesenen traditionellen Kulturgüter an, dann zweifel ich an Zhuangzis und Laozis Übermittlungsfähigkeiten, von Konfuzius und seinem lanciert ertragenden Erdulden, 大家忍着因为你们没办法, habe ich noch nie viel gehalten, der Populärbuddhismus bringt nur Oberflächengedudel, aber das kann beides wie KTV unter volksbevormundener Inschachhaltung fallengelassen werden. Was ist nur mit all den Weisen im Einst und Jetzt – leben die nicht im Moment? Oder gerade doch, also heißt es, und das gilt für alle, das scheint über Jahrtausende ins Blut übergegangen, 盛衰, auf Wohlstand folgt Verfall entsprechend dem Yinyang-Prinzip im Gegensatz zum westlichen Glauben an stetige Aufwärtsentwicklung, also: raffen, was nur geht, der Abstieg folgt früh genug, aktuell steht er vor der Tür, es lebe die Globalisierung.

Diese Darstellung ist ebenfalls leicht Schwarzweiß gefärbt, was sie allerdings noch längst nicht Grau macht. Auch ich kenne einen und zwei halbe Menschen, die sich dem entgegenstellen, die beratend versuchen, Herz und Vernunft gemeinsam walten zu lassen.

Meine aktuelle, zu jeglicher Gesprächssituation passende Totschlagfrage lautet übrigens regierungstreu 可以文明点吗, gehts etwas kultivierter? Da lacht der Chinese und weint. Und Weixin soll demnächst, genau wie Anfang 2012 Weibo, über die ID registriert werden, als wäre noch nicht klar, wer das Sagen hat.

Hier noch die Version von dabingo11 (微信号), der den Laobaixings und Da/Xiaobailings, den großen und kleinen Weißkragenträgern, den Angestellten, erklärt, wie ihr Geld genutzt wird (gefunden von Chongning).

I could go on and on and on … 什么时候忍不住呢?– bis zu einem gewissen Punkt, dann erträgt mans nicht mehr, kauft sich ein Flugticket und schreibt zornige Blogposts.

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