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Dienstag, 24. Juli 2012
Sommerreise: Kassel
youjia, 14:48h
Von Paris geht es nach Kassel zur dOCUMENTA (13).
Bitte nicht vergessen, dieser Beitrag ist wie alle auf diesem Blog immer rein subjektiv und selektiv. Ich werfe hier einfach das hinein, was ich am 15. und 16.7.2012 auf der Documenta gesehen habe, und es mag als kleiner Überblick von 2 Tagen in Kassel gelten.
Wenn man gerade aus Paris kommt, kann Deutschland – und in unserem Fall Kassel – mit all seinen zerbombten und hastig, teils halb alt-neu mit Platten wieder aufgebauten Städten doch ein wenig trist wirken. Kassel fand ich generell jetzt nicht so schön. Schön war die Fahrt nach Kassel durch und in die Kassler Berge hinein. Hier ist das Grün saftig, nicht so leuchtend wie in Frankreich, viel dunkler, dafür auch gesättigt intensiv. Kassel hat als Stadt schon auch seinen Charme, es wirkt nach vergangenen Holzkohlezeiten und jetzt scheint man halt in die Documenta eingestiegen, jeder zweite, so mutet es an, ist involviert.
Hier nicht:
Ich wollte quantitativ überschüttet werden, um gelegentlich vor einer Perle in Erquickung zu geraten. Es war schon einiges los, keine Frage, wobei man sich die Orangerie mit Einbezug seiner astrologischen Annodazumal-Geräte und zwischendurch einem kleinen Fundus an Gegenwartsplanetologie sowie das ähnlich aufgebaute, naturwissenschaftlich ausgerichtete Ottoneum hätte schenken können. Definitiv aus meiner klitzekleinen Enttäuschung herausgeholt hat mich das Filmprogramm. Das war gut, dazu später mehr. Aber der Reihe nach …
… und zunächst aus der Documenta-Halle:
Nach einem Gang vorbei an Skizzen in Vitrinen, die mit dickem Stoff verhängt und aufzuklappen waren, was ich abgesehen von der lachs-ockernen Farbe des Materials als Akt mochte (Etel Adnan, *1925 in Beirut), ging es weiter mit zwei Grafiken von Julie Mehretu (*1970 als Amerikanerin in Addis Abeba, Äthiopien). Gefällt mir vom Ansatz her, aber ich habe keine Einzelstelle gefunden, die ich richtig toll fand.
Dann trat man herunter in den Saal mit Thomas Bayrles (*1937 in Berlin) Arbeiten.
Gefallen haben mir seine ineinander verzahnten, reibungslos funktionierenden, sinnlos rotierenden Motoren. Autoland Deutschland in bedingungslos bejahender Bewegung.
Nachtrag: Von wegen sinnlos, es handelt sich um einen 9-Zylinder Sternmotor, gerne in Kriegsfliegern im 1. WK verbaut – klärt mich der Herr Bruder Ingenieur auf. Kulturgut dankt.
Abgedunkelt in einem Raum war die Videoinstallation von Nalini Malani (*1946 in Karatschi, Indien/ heute Pakistan). Mythologisch buddhistisch, wieder rotierend im Versuch, ineinanderzugreifen, dadurch ev. aufzubrechen, Bedrückung zu sprengen. Sah gut aus.
Und da war dann noch Yan Lei (颜磊, *1965 in Langfang, Hebei). Sorry, ohne Bild, die Warteschlange wand sich über eine Stunde. Durch die hohe Zugangstür blickte einen gleich Mao von einem Bild an, der neben unzählig anderen, den kompletten Raum von oben bis unten plakatierend, einen nicht aus den Augen ließ. Ich kann Mao nicht mehr sehen – will der Westen das wirklich immer noch? Kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein cn. Künstler immer noch meint, dass der Westen das immer noch sehen will und dem immer noch folgt. Kleiner Downer, auch wenn ich Yan Lei sonst mag.
Die Räumlichkeiten sind schon gut.
Kurz vom Ottoneum, was ich ganz nett fand:
Christian Philipp Müller (*1957 in Biel, Schweiz), ein mit statischer Kamera abgefilmter Teich, in dem erst nach längerem Hinsehen das Wasser leise wogte:
Und von Amar Kanwar (*1964 in Neu-Delhi) die bewegten Bilder im büttenpapierenen Buch:
Dann haben wir uns unnötigerweise durch die Bahnhöfe führen lassen. 2 Stunden langatmigen Beguckens, mit aufgefordertem In-sich-Gehen und anschließend korrekter Interpretationen einer 19-Jährigen ließen meine Füße schaben – dachte, ich seh mir das Konzept mal an, 11 Euro teure Zeitverschwendung. Die Bahnhöfe an sich beeindruckend, besonders der alte Hauptbahnhof/ neue Kulturbahnhof, wo kaum noch etwas abfährt und ankommt, Gleis 1 und 13 mahnend an die Deportationen erinnern. Demnach und überhaupt auf der Documenta, so die 19-Jährige, geht es um Abschied, Verlust, Verzweiflung, Versagen, Trauer und Schmerz, Bedrückung, eigen- oder fremdverursachte Isolation. Wow. Depri-Deutschland?
Im Nordflügel mochte ich die Ytong-Steine an und in der – das kommt hier leider nicht so raus – Anselm Kiefermäßig verputzten Wand. Die Halle an sich mochte ich.
Drinnen stand u. a. die Arbeit von István Csákány (*1978 irgendwo in Rumänien). "Kunstvoll aus Holz geschnitzt", lese ich gerade im Katalog. Wars auch, auf den ersten Blick und größtenteils, aber bei näherem Herantreten sah man doch Schnitzer. Sowas verdrießt mich, davon gibts in China genug, wobei ich nichts gegen gewollte Roughness habe, aber handwerklicher Pfusch lenkt mich ab, mache ich doch v. a. auch zum Substanz- und Qualitätstanken diese Sommerreise.
Anschließend gab es die Jalousien-Installation von Haegue Yang (*1971 in Seoul) im hinteren Teil, hier gerade den Blick teil-hochgeklappt freigebend auf die dahinterliegende Werkshalle.
In der Nachrichtenmeisterei zeigte Willie Doherty (*1959 in Derry, Nordirland) kleine, meist in Schleifen und auf 5 Leinwänden unterschiedlich gedreht laufende Filme, dazu standen zur rustikalen Unterstreichung im recht großen Raum Holzmaschinen herum. Dieser Mann etwa, der in weiteren Filmen mit seinem Zwilling auftritt, steigt im endlosen Loop über einen Stuhl.
Das habe ich mir recht lange angesehen, es gab auch geschnitzelte Dornen und vieles mehr. Film, gerne auch in Fragmenten, söhnt mich aus.
Bei dem Film hier bin ich dann schnell wieder dem Ausgangsschild gefolgt. Eigentlich ganz nett eine Höhle imitiert, dranklopfend leider hohl, aber nur schauend ein Erdschachtblick, dann lief der 12-minütige Film an und die Zeituhr tickte runter. Wer weiß, was nach 11:37 passierte, mir reichte es.
Mehr interessante Videopräsentationen gab es dann im Südflügel. Etwa Tejal Shahs (*1979 in Bhilai, Indien) …
… und Bani Abidis (*1971 in Karatschi, Pakistan) Arbeiten.
Dort war dann noch, handwerklich wohltuend brillant verarbeitet, die mich an Zwangsjacken erinnernde Uniformkollektion von Seth Price (*1973 als Amerikaner in Ostjerusalem). Innen als Muster mit immer wiederkehrendem Banklogo ausgekleidet, sollen es allerdings Briefumschläge sein. Ahoi.
Kudzanai Chiurai (*1981 in Harare, Simbabwe).
And And And hatten ein Antikapitalismus-, äh, Kapitalismushinterfragungsprogramm laufen. Mit Dekolonialisierungsworkshops. Bin ich ja voll für, aber warum muss das genau wie die anarchischen Free Tibet Camper vorm Fridericianum so abgelutscht studentisch bratzig-naiv rüberkommen? Hab mir das natürlich gar nicht angehört (lief auch grad nichts außer Kuchenessen), sondern bin nur rein und nach einem kurzen Blick auf Ökokissen mit alten Schulstühlen und bunten Karteikarten wieder rückwärts raus. Es lebe die eigene Ignoranz.
Genauso wie das blöde Hugenottenhaus, in dem mal wieder Zimmerchen von wem auch immer die Kunst an sich stellten.
Draußen schnupperte die Maus nach Interessanterem.
Karlsaue
Hier, in diesem Hauptteil der Documenta, habe ich mich am wenigsten aufgehalten. Vielleicht allzu verwöhnt von Markus Heinsdorffs Bambusbauten bei "Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung", kamen mir diese auf weiter Flur verstreuten Minihäuslein irgendwie doch ziemlich futzelig vor. So schlenderten wir nur herum und sahen mal hier und mal dort hinein. Dieser Abschnitt ist also alles andere als repräsentativ zu bezeichnen.
Ein Klohaus.
Anri Sala (*1974 in Tirana, Albanien).
Omar Fast (*1972 in Jerusalem). Der Film heißt "Continuity" (2012) und war psycho, auch ein Loop. Ein Ehepaar fährt durch einen Wald zu einer Bahnstation, holt dort Sohn Daniel, gerade aus dem Einsatz in Afghanistan auf weihnachtlichen Freigang (nennt man das so?) ab, tränenreiche Wiedersehensszene, nimmt ihn mit nach Hause. Er wird in sein Kinderzimmer im Keller gebracht, darf sich kurz duschen, dann gibts familiäres Weihnachtsessen. Dieser Daniel im Bild unter diesem Absatz erzählt so plastisch von seinem Einsatz, dass hinter ihm die Kameraden auftauchen. Es gibt familiäre Kritteleien, Verständnisverstörtheit, worauf Mutti ihren Daniel abknutscht. Nächster Tag, nächste Fahrt zum Bahnhof, neuer Daniel wird ähnlich rührselig abgeholt, ins Haus gebracht, duscht, gleiches Weihnachtsessen, Kriselei, Annäherung, kurze Nachtszene, in der ein großer schwarzer Müllsack im Kofferraum des Autos verschwindet. Wieder neuer Tag, neuer Daniel vom Bahnhof usw., der sich allerdings beim Abendessen entschuldigt, über Schwindel klagt und auf sein Zimmer möchte, auch sagt, dass es ihm bei den beiden merkwürdig erscheine, er sonst nur reine Männerrunden gewohnt sei. Auf seinem Bett blättert er dann ein gezeichnetes Daumenkino durch, in dem ein Soldat versucht, die Burka einer Frau herunterzureißen und darunter immer wieder eine neue Burka findet, immer wieder, bis er erschöpft innehält und am Ende sein Kopf explodiert. Dann schleicht sich Muttern ins Zimmer und legt sich zu ihm als herunterkommende Schritte zu hören sind. Cut und nächster Tag und Daniel 1 steht wieder am Bahnhof, er telefoniert, "wenn sie genug bezahlen".
Und mit dabei war, sogar zwei Mal, eine Szene mit 3D-Baumfahrt, wie ich sie letztes Jahr für unseren Film gedreht hatte (s. hier). Nur dass sie hier in vorbeiflitzender Geschwindigkeit gedreht oder später zeitgerafft war. Großartig.
Zwischendurch gesehen, nicht probiert, dafür war aber der Kaffee gut, hier eine Documenta-Snackbar. Sieht lecker aus, da bin ich pro-bio.
Und den Verweis, Foto auf Kachel als Notausgang, fand ich festhaltenswert. Auf dem Weg von der Karlsaue zur Neuen Galerie.
In der Neuen Galerie
So sah Geoffrey Farmers (*1967 in Vancouver) Werk von außen aus:
Und so die aufgespießten Einzelteile der uns ausmachenden Kultur – Fotos aus 50 Jahrgängen des Life-Magazins – von innen:
Andrea Büttner (*1972 in Stuttgart).
Khadim Ali (*1978 in Quetta, Pakistan).
Rossella Biscotti (*1978 in Molfetta, Italien).
Roman Ondák (*1966 in Žilina, Slowakei).
Das abgefilmte Puppentheater von Wael Shawky (*1971 in Alexandria).
Im Fridericianum
Endlich wurde es richtig gut. Wenigstens zwei Sachen haben mir wirklich gefallen.
Zunächst war dies der … gewebte?, zumindest irgendwie mit Nadel und Faden produzierte Wandbehang, was beeindruckend plastisch wirkte, von Goshka Macuga (*1967 in Warschau). Man konnte mit all diesen aufgezeigten Menschen lange gucken, was denn hier nun eigentlich los ist.
Kader Attia (*1970 in Dugny, Frankreich).
Anna Boghiguian (*1946 in Kairo). Besonders vor diesen Bildstrecken sind mir – vermutlich weil die Documenta gleichzeitig auch noch in Kabul und Kairo stattfindet – etliche, im wahren Sinne des Wortes gut betuchte Musliminnen aufgefallen. Kenne mich in dem Kulturkreis nun gar nicht aus und sah auf den Kunstwerken hauptsächlich Blut, Gewalt, Ekel, Verhüllung, komme mir damit aber ziemlich klischeebehaftet vor.
Hier sah man durch eine kleine Öffnung, in dem Spiegel ggü. sich auch selbst, hier mit Kameralinse.
Und jetzt kommt die zweite, mich flashende Geschichte. Nicht unbedingt was neues, aber was solls, ich mag 2D, das wie 3D wirkt und sich mit Blickwechsel verändert. Von Dorren Reid Nakamarra (* ca. 1950 in Warburton Ranges, Australien).
Und so einfach, mühsamst zeitaufwendig ists gemacht: Rot als Grundierung, schwarze Striche darauf und abschließend weiß getupft darüber.
Llyn Foulkes (*1934 in Yakima/ Washington).
Ida Applebroug (*1929 in den Bronx). Das fand ich auch gut. Gut besonders die vielen, zum Mitnehmen ausgelegten, knapp A3-großen Poster, in deren jedem sich eine eigene kleine Welt eröffnete, während man sie so durchblätterte.
Mark Lombardis (1951–2000 in New York) "World Finance Corporation".
Filmprogramm im Kino Gloria
Kino Gloria, dies ist dein wunderbarer Saal, rund und grün und ansprechend:
Tamás St. Turba: "Centaur". Ungarn 1973–75/ 2009, 39 Minuten.
Von Francis Alÿs (*1959 in Antwerpen): "Reel-Unreel". Afghanistan und Mexiko 2011, 19 Minuten.
Aus Kabul und der Region kennt man die Kids, die mit einem Stab einen Reifen antreiben und durch die Gegend fetzen. So begann der Film. Dann folgt er zwei Jungs, die, einer vorne eine rote Filmspule abwickelnd, einer hinterher den Filmstreifen auf eine blaue wieder aufwickelnd, durch Kabul rasen. Gefilmt aus ihrer Höhe und dabei geht es den Berg runter in die Innenstadt, durch die staubigen Gassen und Hinterhöfe, über Märkte und vielbefahrene Straßen, wieder einen Berg hoch bis zum Überblick über die Stadt. Nett, aus dieser Sicht Kabul zu sehen. Abschließend wurde noch berichtet, dass die Taliban am 4.9.2001 in Kabul eingefallen seien und alle Filmrollen aus allen Archiven beschlagnahmt und verbrannt hätten, laut Anwohnern soll es zwei Wochen lang gelodert haben. Später wurde bekannt, dass die Archivare ihnen nur Kopien gegeben und die Originale behalten haben sollen.
Altes
Von früheren Documentas gab es vor dem alten Hauptbahnhof den allein auf weiter Flur auf seinem Stahlstab Laufenden.
Mit Blick auf die Orangerie das Gitternetz.
Und den Baum mit Stein.
---
Ach, und für diejenigen, die mit dem Auto unterwegs sind: Kassel gibt sich nicht immer allzu fremdenfreundlich. Auf diese Biester muss man sehr aufpassen:
Fabio Mauri (*1926 in Rom).
… it is. Von Kassel und meiner Sommerreise. Der Sommer ist noch nicht vorbei, ein Monat steht mir in Norddeutschland weiterhin offen. Gerade blicke ich auf Wasser und Wald und Himmel und spring mal kurz hinein. Auf bald.
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Bitte nicht vergessen, dieser Beitrag ist wie alle auf diesem Blog immer rein subjektiv und selektiv. Ich werfe hier einfach das hinein, was ich am 15. und 16.7.2012 auf der Documenta gesehen habe, und es mag als kleiner Überblick von 2 Tagen in Kassel gelten.
Wenn man gerade aus Paris kommt, kann Deutschland – und in unserem Fall Kassel – mit all seinen zerbombten und hastig, teils halb alt-neu mit Platten wieder aufgebauten Städten doch ein wenig trist wirken. Kassel fand ich generell jetzt nicht so schön. Schön war die Fahrt nach Kassel durch und in die Kassler Berge hinein. Hier ist das Grün saftig, nicht so leuchtend wie in Frankreich, viel dunkler, dafür auch gesättigt intensiv. Kassel hat als Stadt schon auch seinen Charme, es wirkt nach vergangenen Holzkohlezeiten und jetzt scheint man halt in die Documenta eingestiegen, jeder zweite, so mutet es an, ist involviert.
Hier nicht:
Ich wollte quantitativ überschüttet werden, um gelegentlich vor einer Perle in Erquickung zu geraten. Es war schon einiges los, keine Frage, wobei man sich die Orangerie mit Einbezug seiner astrologischen Annodazumal-Geräte und zwischendurch einem kleinen Fundus an Gegenwartsplanetologie sowie das ähnlich aufgebaute, naturwissenschaftlich ausgerichtete Ottoneum hätte schenken können. Definitiv aus meiner klitzekleinen Enttäuschung herausgeholt hat mich das Filmprogramm. Das war gut, dazu später mehr. Aber der Reihe nach …
… und zunächst aus der Documenta-Halle:
Nach einem Gang vorbei an Skizzen in Vitrinen, die mit dickem Stoff verhängt und aufzuklappen waren, was ich abgesehen von der lachs-ockernen Farbe des Materials als Akt mochte (Etel Adnan, *1925 in Beirut), ging es weiter mit zwei Grafiken von Julie Mehretu (*1970 als Amerikanerin in Addis Abeba, Äthiopien). Gefällt mir vom Ansatz her, aber ich habe keine Einzelstelle gefunden, die ich richtig toll fand.
Dann trat man herunter in den Saal mit Thomas Bayrles (*1937 in Berlin) Arbeiten.
Gefallen haben mir seine ineinander verzahnten, reibungslos funktionierenden, sinnlos rotierenden Motoren. Autoland Deutschland in bedingungslos bejahender Bewegung.
Nachtrag: Von wegen sinnlos, es handelt sich um einen 9-Zylinder Sternmotor, gerne in Kriegsfliegern im 1. WK verbaut – klärt mich der Herr Bruder Ingenieur auf. Kulturgut dankt.
Abgedunkelt in einem Raum war die Videoinstallation von Nalini Malani (*1946 in Karatschi, Indien/ heute Pakistan). Mythologisch buddhistisch, wieder rotierend im Versuch, ineinanderzugreifen, dadurch ev. aufzubrechen, Bedrückung zu sprengen. Sah gut aus.
Und da war dann noch Yan Lei (颜磊, *1965 in Langfang, Hebei). Sorry, ohne Bild, die Warteschlange wand sich über eine Stunde. Durch die hohe Zugangstür blickte einen gleich Mao von einem Bild an, der neben unzählig anderen, den kompletten Raum von oben bis unten plakatierend, einen nicht aus den Augen ließ. Ich kann Mao nicht mehr sehen – will der Westen das wirklich immer noch? Kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein cn. Künstler immer noch meint, dass der Westen das immer noch sehen will und dem immer noch folgt. Kleiner Downer, auch wenn ich Yan Lei sonst mag.
Die Räumlichkeiten sind schon gut.
Kurz vom Ottoneum, was ich ganz nett fand:
Christian Philipp Müller (*1957 in Biel, Schweiz), ein mit statischer Kamera abgefilmter Teich, in dem erst nach längerem Hinsehen das Wasser leise wogte:
Und von Amar Kanwar (*1964 in Neu-Delhi) die bewegten Bilder im büttenpapierenen Buch:
Dann haben wir uns unnötigerweise durch die Bahnhöfe führen lassen. 2 Stunden langatmigen Beguckens, mit aufgefordertem In-sich-Gehen und anschließend korrekter Interpretationen einer 19-Jährigen ließen meine Füße schaben – dachte, ich seh mir das Konzept mal an, 11 Euro teure Zeitverschwendung. Die Bahnhöfe an sich beeindruckend, besonders der alte Hauptbahnhof/ neue Kulturbahnhof, wo kaum noch etwas abfährt und ankommt, Gleis 1 und 13 mahnend an die Deportationen erinnern. Demnach und überhaupt auf der Documenta, so die 19-Jährige, geht es um Abschied, Verlust, Verzweiflung, Versagen, Trauer und Schmerz, Bedrückung, eigen- oder fremdverursachte Isolation. Wow. Depri-Deutschland?
Im Nordflügel mochte ich die Ytong-Steine an und in der – das kommt hier leider nicht so raus – Anselm Kiefermäßig verputzten Wand. Die Halle an sich mochte ich.
Drinnen stand u. a. die Arbeit von István Csákány (*1978 irgendwo in Rumänien). "Kunstvoll aus Holz geschnitzt", lese ich gerade im Katalog. Wars auch, auf den ersten Blick und größtenteils, aber bei näherem Herantreten sah man doch Schnitzer. Sowas verdrießt mich, davon gibts in China genug, wobei ich nichts gegen gewollte Roughness habe, aber handwerklicher Pfusch lenkt mich ab, mache ich doch v. a. auch zum Substanz- und Qualitätstanken diese Sommerreise.
Anschließend gab es die Jalousien-Installation von Haegue Yang (*1971 in Seoul) im hinteren Teil, hier gerade den Blick teil-hochgeklappt freigebend auf die dahinterliegende Werkshalle.
In der Nachrichtenmeisterei zeigte Willie Doherty (*1959 in Derry, Nordirland) kleine, meist in Schleifen und auf 5 Leinwänden unterschiedlich gedreht laufende Filme, dazu standen zur rustikalen Unterstreichung im recht großen Raum Holzmaschinen herum. Dieser Mann etwa, der in weiteren Filmen mit seinem Zwilling auftritt, steigt im endlosen Loop über einen Stuhl.
Das habe ich mir recht lange angesehen, es gab auch geschnitzelte Dornen und vieles mehr. Film, gerne auch in Fragmenten, söhnt mich aus.
Bei dem Film hier bin ich dann schnell wieder dem Ausgangsschild gefolgt. Eigentlich ganz nett eine Höhle imitiert, dranklopfend leider hohl, aber nur schauend ein Erdschachtblick, dann lief der 12-minütige Film an und die Zeituhr tickte runter. Wer weiß, was nach 11:37 passierte, mir reichte es.
Mehr interessante Videopräsentationen gab es dann im Südflügel. Etwa Tejal Shahs (*1979 in Bhilai, Indien) …
… und Bani Abidis (*1971 in Karatschi, Pakistan) Arbeiten.
Dort war dann noch, handwerklich wohltuend brillant verarbeitet, die mich an Zwangsjacken erinnernde Uniformkollektion von Seth Price (*1973 als Amerikaner in Ostjerusalem). Innen als Muster mit immer wiederkehrendem Banklogo ausgekleidet, sollen es allerdings Briefumschläge sein. Ahoi.
Kudzanai Chiurai (*1981 in Harare, Simbabwe).
And And And hatten ein Antikapitalismus-, äh, Kapitalismushinterfragungsprogramm laufen. Mit Dekolonialisierungsworkshops. Bin ich ja voll für, aber warum muss das genau wie die anarchischen Free Tibet Camper vorm Fridericianum so abgelutscht studentisch bratzig-naiv rüberkommen? Hab mir das natürlich gar nicht angehört (lief auch grad nichts außer Kuchenessen), sondern bin nur rein und nach einem kurzen Blick auf Ökokissen mit alten Schulstühlen und bunten Karteikarten wieder rückwärts raus. Es lebe die eigene Ignoranz.
Genauso wie das blöde Hugenottenhaus, in dem mal wieder Zimmerchen von wem auch immer die Kunst an sich stellten.
Draußen schnupperte die Maus nach Interessanterem.
Karlsaue
Hier, in diesem Hauptteil der Documenta, habe ich mich am wenigsten aufgehalten. Vielleicht allzu verwöhnt von Markus Heinsdorffs Bambusbauten bei "Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung", kamen mir diese auf weiter Flur verstreuten Minihäuslein irgendwie doch ziemlich futzelig vor. So schlenderten wir nur herum und sahen mal hier und mal dort hinein. Dieser Abschnitt ist also alles andere als repräsentativ zu bezeichnen.
Ein Klohaus.
Anri Sala (*1974 in Tirana, Albanien).
Omar Fast (*1972 in Jerusalem). Der Film heißt "Continuity" (2012) und war psycho, auch ein Loop. Ein Ehepaar fährt durch einen Wald zu einer Bahnstation, holt dort Sohn Daniel, gerade aus dem Einsatz in Afghanistan auf weihnachtlichen Freigang (nennt man das so?) ab, tränenreiche Wiedersehensszene, nimmt ihn mit nach Hause. Er wird in sein Kinderzimmer im Keller gebracht, darf sich kurz duschen, dann gibts familiäres Weihnachtsessen. Dieser Daniel im Bild unter diesem Absatz erzählt so plastisch von seinem Einsatz, dass hinter ihm die Kameraden auftauchen. Es gibt familiäre Kritteleien, Verständnisverstörtheit, worauf Mutti ihren Daniel abknutscht. Nächster Tag, nächste Fahrt zum Bahnhof, neuer Daniel wird ähnlich rührselig abgeholt, ins Haus gebracht, duscht, gleiches Weihnachtsessen, Kriselei, Annäherung, kurze Nachtszene, in der ein großer schwarzer Müllsack im Kofferraum des Autos verschwindet. Wieder neuer Tag, neuer Daniel vom Bahnhof usw., der sich allerdings beim Abendessen entschuldigt, über Schwindel klagt und auf sein Zimmer möchte, auch sagt, dass es ihm bei den beiden merkwürdig erscheine, er sonst nur reine Männerrunden gewohnt sei. Auf seinem Bett blättert er dann ein gezeichnetes Daumenkino durch, in dem ein Soldat versucht, die Burka einer Frau herunterzureißen und darunter immer wieder eine neue Burka findet, immer wieder, bis er erschöpft innehält und am Ende sein Kopf explodiert. Dann schleicht sich Muttern ins Zimmer und legt sich zu ihm als herunterkommende Schritte zu hören sind. Cut und nächster Tag und Daniel 1 steht wieder am Bahnhof, er telefoniert, "wenn sie genug bezahlen".
Und mit dabei war, sogar zwei Mal, eine Szene mit 3D-Baumfahrt, wie ich sie letztes Jahr für unseren Film gedreht hatte (s. hier). Nur dass sie hier in vorbeiflitzender Geschwindigkeit gedreht oder später zeitgerafft war. Großartig.
Zwischendurch gesehen, nicht probiert, dafür war aber der Kaffee gut, hier eine Documenta-Snackbar. Sieht lecker aus, da bin ich pro-bio.
Und den Verweis, Foto auf Kachel als Notausgang, fand ich festhaltenswert. Auf dem Weg von der Karlsaue zur Neuen Galerie.
In der Neuen Galerie
So sah Geoffrey Farmers (*1967 in Vancouver) Werk von außen aus:
Und so die aufgespießten Einzelteile der uns ausmachenden Kultur – Fotos aus 50 Jahrgängen des Life-Magazins – von innen:
Andrea Büttner (*1972 in Stuttgart).
Khadim Ali (*1978 in Quetta, Pakistan).
Rossella Biscotti (*1978 in Molfetta, Italien).
Roman Ondák (*1966 in Žilina, Slowakei).
Das abgefilmte Puppentheater von Wael Shawky (*1971 in Alexandria).
Im Fridericianum
Endlich wurde es richtig gut. Wenigstens zwei Sachen haben mir wirklich gefallen.
Zunächst war dies der … gewebte?, zumindest irgendwie mit Nadel und Faden produzierte Wandbehang, was beeindruckend plastisch wirkte, von Goshka Macuga (*1967 in Warschau). Man konnte mit all diesen aufgezeigten Menschen lange gucken, was denn hier nun eigentlich los ist.
Kader Attia (*1970 in Dugny, Frankreich).
Anna Boghiguian (*1946 in Kairo). Besonders vor diesen Bildstrecken sind mir – vermutlich weil die Documenta gleichzeitig auch noch in Kabul und Kairo stattfindet – etliche, im wahren Sinne des Wortes gut betuchte Musliminnen aufgefallen. Kenne mich in dem Kulturkreis nun gar nicht aus und sah auf den Kunstwerken hauptsächlich Blut, Gewalt, Ekel, Verhüllung, komme mir damit aber ziemlich klischeebehaftet vor.
Hier sah man durch eine kleine Öffnung, in dem Spiegel ggü. sich auch selbst, hier mit Kameralinse.
Und jetzt kommt die zweite, mich flashende Geschichte. Nicht unbedingt was neues, aber was solls, ich mag 2D, das wie 3D wirkt und sich mit Blickwechsel verändert. Von Dorren Reid Nakamarra (* ca. 1950 in Warburton Ranges, Australien).
Und so einfach, mühsamst zeitaufwendig ists gemacht: Rot als Grundierung, schwarze Striche darauf und abschließend weiß getupft darüber.
Llyn Foulkes (*1934 in Yakima/ Washington).
Ida Applebroug (*1929 in den Bronx). Das fand ich auch gut. Gut besonders die vielen, zum Mitnehmen ausgelegten, knapp A3-großen Poster, in deren jedem sich eine eigene kleine Welt eröffnete, während man sie so durchblätterte.
Mark Lombardis (1951–2000 in New York) "World Finance Corporation".
Filmprogramm im Kino Gloria
Kino Gloria, dies ist dein wunderbarer Saal, rund und grün und ansprechend:
Tamás St. Turba: "Centaur". Ungarn 1973–75/ 2009, 39 Minuten.
Von Francis Alÿs (*1959 in Antwerpen): "Reel-Unreel". Afghanistan und Mexiko 2011, 19 Minuten.
Aus Kabul und der Region kennt man die Kids, die mit einem Stab einen Reifen antreiben und durch die Gegend fetzen. So begann der Film. Dann folgt er zwei Jungs, die, einer vorne eine rote Filmspule abwickelnd, einer hinterher den Filmstreifen auf eine blaue wieder aufwickelnd, durch Kabul rasen. Gefilmt aus ihrer Höhe und dabei geht es den Berg runter in die Innenstadt, durch die staubigen Gassen und Hinterhöfe, über Märkte und vielbefahrene Straßen, wieder einen Berg hoch bis zum Überblick über die Stadt. Nett, aus dieser Sicht Kabul zu sehen. Abschließend wurde noch berichtet, dass die Taliban am 4.9.2001 in Kabul eingefallen seien und alle Filmrollen aus allen Archiven beschlagnahmt und verbrannt hätten, laut Anwohnern soll es zwei Wochen lang gelodert haben. Später wurde bekannt, dass die Archivare ihnen nur Kopien gegeben und die Originale behalten haben sollen.
Altes
Von früheren Documentas gab es vor dem alten Hauptbahnhof den allein auf weiter Flur auf seinem Stahlstab Laufenden.
Mit Blick auf die Orangerie das Gitternetz.
Und den Baum mit Stein.
---
Ach, und für diejenigen, die mit dem Auto unterwegs sind: Kassel gibt sich nicht immer allzu fremdenfreundlich. Auf diese Biester muss man sehr aufpassen:
Fabio Mauri (*1926 in Rom).
… it is. Von Kassel und meiner Sommerreise. Der Sommer ist noch nicht vorbei, ein Monat steht mir in Norddeutschland weiterhin offen. Gerade blicke ich auf Wasser und Wald und Himmel und spring mal kurz hinein. Auf bald.
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