Donnerstag, 12. März 2020
2020 KW11: Wird man mit 40 wunderlich?
Ich bin heute 40 geworden. Aufgewacht mit Rückenschmerzen, das fängt ja gut an – gleich gebe ich mir eine Stunde Feldenkrais, das hat zumindest geholfen als ich noch in den 30ern war.

Gestern habe ich das Geburtstagsgeschenk meiner Eltern eingelöst, ein neues Kofferset. Weg vom ständig brechenden Hartplastik habe ich mich für das ultraleichte, gewebte Polypropylen entschieden. Das ist immer noch ein Kunststoff, aber Alu ist ja auch nicht das ökologischste Material und wiegt einfach zu viel. Der Laden Leder-Israel ums Eck hatte eine Aktion von 30%, perfekt, dachte ich. Die Verkäuferin hat geduldig alle meine Fragen zur 10-Jahresgarantie beantwortet, eigentlich war ich glücklich. Sie betonte nicht nur einmal, dass ich, ganz wichtig, gut die Garantiescheine aufbewahren solle. Diese mussten gestempelt, mit Datum versehen und unterschrieben werden. Machte sie und steckte den ersten in den ersten Koffer. Ich stand daneben, meinte, geben Sie ihn mir gleich in die Hand, dann kann ich ihn besser verstauen. Sie schloss den Koffer, hatte mich wohl nicht gehört, war mein Gedanke, auch egal. Den zweiten steckte sie in den zweiten Koffer. Zuhause drehte ich die beiden in ihren parallelen Kreisen und freute mich sehr. Als ich die Belege in den Ordner packen wollte, sah ich, dass sie den einen leer gelassen hatte. Was soll denn so was: Man kanns ja mal probieren? Telefonat, ich solle Sie mit Rechnung und Garantieschein erneut vorbeikommen, dann würde nachgetragen. Erst nach leichtem Zähneknirschen meinerseits kam ein lappsches Sorry von ihr. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass sie den Betrugsversuch – denn was ist es sonst? – offen zugibt, aber einen Ansatz von Abbitte, wenigstens vorgegaukelten Ernst, hätte ich doch erwartet. Bin hin- und hergerissen, ob ich möchte, dass die Geräte über zehn Jahre halten, damit ich da nicht noch mal hin muss, oder ob ich denen jährliche Reparaturen an den Hals wünsche.

Heute Vormittag ging es durch Sturm und Regen zum Brunchen mit Charly. Nach über zehn Jahren Wüste mag ich Sturm und Regen, nicht unbedingt auf dem Rad, aber auch klitschnass passen Freunde und leckeres Essen gut zusammen. Charly fand die Bedienung etwas mürrisch, vielleicht lag es an dem heißen Wasser, das ich mir bestellte, um es in mein Müsli zu kippen – das konnte meine Laune jedoch nicht trüben.

Was macht man sonst so an seinem Geburtstag, wenn man noch keine Lust auf Rückengymnastik hat? Friseur. Bislang hat mir weder in China noch in Deutschland jemals jemand die Haare so geschnitten, wie ich sie haben wollte. War jetzt auch nicht so wild, Zopf geht immer und wächst ja nach. Aber ich habe da doch so meine Vorstellungen. Deshalb hatte ich meinen Vater unter dem letzten Weihnachtsbaum um ein Scherenansetzen gebeten und prompt meinen Wunschschnitt erhalten. Nach drei Monaten war mein Kopf ins Kraut gewachsen, aber da der Grundschnitt stand, war ich bereit für den nächsten Versuch. Nachdem sie mich angehört hatte, ließ mich die erste Friseurin mit einem „Das mache ich nicht“ sitzen. Das war mir neu, normalerweise darf ich mein Sprüchlein sagen und dann schneiden alle so, wie sie es selbst für richtig halten. Vor einer Verweigerung habe ich prinzipiell Respekt, aber über ihre Argumentation musste ich dann doch lachen. Meine Vorstellungen ergäben keinen Schnitt, sondern eine Katastrophe. Außerdem sei das schließlich ihr Kunstwerk – das hat sie ernsthaft gesagt. Dass ich damit rumlaufen müsse, war ihr egal, ich solle auf sie hören oder jemand anderen fragen. Kurz bevor mir das Warten zu lang wurde, ich sie im Angestelltenzimmer über mich herziehen wähnte, während ich mir mit Alice schrieb und die vorschlug, ich solle husten, was mich wünschen ließ, ich hätte das eine Viertelstunde zuvor bei Leder-Israel gemacht, kam ein Kollege und nahm sich meiner an. Er wunderte sich ebenfalls über meine Wünsche, war aber nett und zuvorkommend und erklärte mir, dass dies ein Freihandschnitt sei, da jeder Friseur seine Routine habe. Vielleicht meinte er es zum Abschluss doch zu nett als er mir eine Tönung von Schwarzkopf gegen mein beginnendes Grau empfahl.

Ich fuhr zum Weinladen und kaufte mir eine Kiste Weißen. Gymnastik geht auch angetrunken. 四十不惑, sagt Konfuzius, mit 40 solle der Zweifel verfliegen. Also: Ich bin gar nicht wunderlich. Ich wunder mich.


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