Sonntag, 8. März 2020
2020 KW10: Die Batterien werden nicht gefunden

Inger-Maria Mahlke: Archipel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018.

Es hat eine Weile oder gut hundert Seiten gedauert, bis mich die Jahresangaben ins Inhaltsverzeichnis blicken und dort bemerken ließen, dass der Roman „Archipel“ chronologisch rückwärts erzählt wird. In rasanten Schritten über insgesamt knapp hundert Jahre hinweg. Das fand ich zunächst schade, weil damit klar wurde, dass die Figuren weiterhin schemenhaft bleiben würden.

Irgendwann gewöhnt man sich an Mahnkes Schreibstil, aber gerade zu Anfang liest sie sich langsam, ein Lesen wie mühselige Arbeit. Ihre Sätze scheinen unnötig verschachtelt, häufig musste ich zum Satzanfang zurück. Mir sind Pageturner lieber. Aber ich lese weiter, denn ich denke, es könnte lehrreich sein: Während sie Satzstrukturen auseinanderzerrt, um Attribute dazwischenzustreuen, labe ich mich selbst daran, hier noch eine Windung in den Satz, dort einen weiteren halben Gedanken mit unterzujubeln.

Ihre Figuren wecken Interesse bei mir, aber ich kann sie nicht fassen, sie bleiben diffus unter den Beschreibungen, die mich nicht hineinzulassen scheinen wollen. Doch wegen der Figuren versuchte ich dranzubleiben. Das hätte ich wohl nicht gemacht, wenn ich die Chronologie vorher begriffen hätte. Vielleicht doch, denn ich wollte endlich mal wieder einen Roman zu Ende lesen, habe so viele in letzter Zeit ungeduldig beiseite gelegt.

Theoretisch gefällt mir Mahnkes Versuch, die Geschichte von hinten aufzuziehen. Hat sie recht damit, alles bloß angedeutet und damit als weder greifbar noch angreifbar im großen Äther der vorbeiziehenden Zeit verschwinden zu lassen? Das macht einen eigenen Reiz aus und kann meinetwegen gerne den Deutschen Buchpreis gewinnen. Oder wollte sie damit zur Wurzel, zum Ursprung dieser Familiengeschichte vordringen? Das hat für mich nicht funktioniert, für mich verschwimmen die Figuren, wenn sie im nächsten Moment Jugendliche, dann Kleinkinder und schon nicht mehr da sind. Ich lese Romane gerade wegen der Figuren, um mit ihnen in ihr Weltverständnis einzutauchen. Ich habe nichts gegen anderweitige Beschreibungen, Kardamom zum Kaffee hinzuzufügen oder Fenster mit Zeitungspapier zu putzen habe ich aus Romanen gelernt, aber hier bleibt leider alles flüchtig. Wenn eine Situation länger anhält, verstehe ich nicht, warum sie über Seiten hinweg damit verbringt, wie Batterien gesucht werden. Die nichtigste Aussage bleibt wie alles in der Schwebe, die Zeit dieser Sequenz ist abgelaufen, bevor die Batterien benötigt oder gefunden werden.


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