Sonntag, 6. August 2023
Hamburg: Bismarck-Denkmal


Das Hamburger Bismarck-Denkmal im auf die Landungsbrücken zugehenden Alten Elbpark ist mit Sockel 34,3 Meter hoch und steht dazu noch auf einem Hügel, dem letzten der nicht egalisierten 22 ehemaligen Bastionen der Wallanlagen. Die umstehenden Bäume werden es auch in weiteren hundert Jahren nicht bis dorthinauf schaffen, selbst im belaubten Sommer thront Bismarcks Kopf stets über diesem Teil der Stadt. Park und Denkmal stehen unter Denkmalschutz, Bismarcks seit 1960. Das Denkmal des Bildhauers Hugo Lederer setzte die Hamburger Kaufmannschaft dem ersten deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–98) nach seinem Tod 1906 aus Dankbarkeit für dessen Kolonialpolitik, durch die sie noch einmal reicher wurde. Aufgrund der Handelsinteressen besonders aus Hamburg und Bremen lud Bismarck 1884–85 zur Westafrika-Konferenz in Berlin ein und begründete damit die deutschen Kolonien. Die militärische Macht oblag seit der Reichsgründung 1871 dem ersten Deutschen Kaiser Wilhelm I. (1797–1888). Der nicht minder militärisch wirkende, auf sein enormes, zehn Meter langes Schwert gestützte Bismarck soll aber eher die Figur eines Roland und also die Stadtrechte symbolisieren – in diesem Fall das Recht auf Reichtum durch Ausbeutung. Granit-Bismarck kehrt der Stadt, manche sagen Berlin den Rücken und blickt die Elbe stromabwärts über Altona hinweg starr gen Westen.



Im Sommer 2022 wurde in einer offenen und anonymen Ausschreibung dem jahrelangen Ruf nach einer kritischen Auseinandersetzung begegnet. Knapp achtzig Entwürfe für künstlerische und/oder architektonische Interventionen trafen ein, acht von ihnen wurden in die zweite Phase geladen und schließlich im Juli 2023 alle abgelehnt. Die Empfehlung der Jury an die Stadt bleibt leider schwammig und betrifft mehr Vermittlung des politischen Wirkens von Bismarck und Aufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Debatte. Was macht die Stadt? Sie beendet die seit 2020 fortwährende Reinigung des Denkmals für neun Millionen Euro; dass der Bund den Großteil zahlt, macht es nicht besser. Aber immerhin war die Sanierung der Anlass zur kritischen Auseinandersetzung und dem Projekt „Hamburg dekolonisieren“ der Stiftung Historische Museen Hamburg. In diesem Zuge kam es auch zur Ausschreibung.

Alle 78 Entwürfe kann man sich im Museum für Hamburgische Geschichte ansehen: Bismarck neu denken, 26.7.–14.8.2023 – oder im digitalen Katalog mit allen Entwürfen blättern: Katalog: Bismarck neu denken, Stand: 6.8.2023.

Hier ein Interview mit Christina Weiss, der Vorsitzenden der Wettbewerbsjury: Kontextualisierung? Bisher kein Siegerentwurf für Hamburger Bismarck-Denkmal. In: Fazit, DLF, 10.7.2023, 7:33 Minuten, Stand: 6.8.2023.

Ein wenig scheint es, als habe sich die Jury aus Unbehagen vor der thematischen Komplexität mit der Verteilung des Preisgeldes an alle acht Teilnehmenden der zweiten Phase freigekauft, leider sind 27000 Euro durch 8 nur 3375 Euro pro Person, nett, aber nicht weltbewegend. Außerdem waren tolle Entwürfe dabei, aus diesen hätte man doch etwas machen können, kann es immer noch. Man könnte sie zusammenführen, wenigstens Teilaspekte schon einmal angehen. Doch die Jury gibt die Aufgabe weiter, rät zu einem Fachbeirat, zu „Vertextung“ (s. im Interview mit Weiss).

Dazu fällt einem unweigerlich einer der Entwürfe ein, dort ging es um das „Zutexten“ des gesamten Denkmals, von Hannimari Jokinen „für kollektive Überschreibungen“ (s. Katalog S. 140–43).



Wunderbar fand ich auch die Idee, das Denkmal als Kletterwand zu nutzen (von noroomgallery, s. Katalog: 150–52). Laut Ausschreibung ging es stets um die „Augenhöhe“, mit der Bismarck begegnet werden sollte. Zahlreiche Entwürfe beschäftigten sich mit architektonischen Gerüsten, um die 34 Meter Höhe zu erreichen (etwa von Studio M8s, Katalog: 153–55), mit Projektionen, um Bismarck in stets neue Kontexte zu tauchen (etwa von Ruairí O‘Brien Architektur. Licht. RaumKunst, Katalog: 75f), viele spielten mit seinem Kopf – setzen ihm einen Heiligenschein auf (von Künstlerduo [Schwarzenfeld] R. A. Sauer u. M., Katalog: 97f), einen Afro (von Alex Tennigkeit, Katalog: 136), ein virtuell bespieltes Stirnband (etwa vom Künstlerkollektiv Schultze-Müller, Nils-R. Schultze, Katalog: 105f), ein Riesengehirn (von Sutosuto GbR, Katalog: 45) oder eine Regenfontäne (von Liselotte Illig, Katalog: 95) oder versahen ihn mit einem „Tränen-Tattoo“ (von Lennart Münchenhagen, Katalog: 14) – oder beschrieben sein Schwert (von Franz Wassermann, Katalog: 117f) oder legten eine Demarkationslinie durch die Gegend und über die Statue hinweg (von Christian Zeitler, Katalog: 127), überwucherten Bismarck mit Pflanzen (von Kai Lillich AV Konzepte und Gestaltung, Katalog: 83f) oder entwickelten Apps mit interaktiven Stationen (etwa von Atelier Sigma Talberg, Katalog: 147–49, oder von Marius Westermann, Katalog: 59) oder setzen ihn in einen Vogelkäfig (von Studio Filomeno Fusco, Katalog: 100f) oder umfassten ihn mit einem spiegelnden Band, um ihn durch die grüne Umgebung zweizuteilen (von Pour.Works, Katalog: 60), umgaben ihn mit restitutionsbedüftigen Skulpturen aus dem MARKK (von Heinke Haberland, Katalog: 135) oder lehnten einen überdimensionierten Zahnstocher gegen die Statue, um diese gedanklich zu verkleinern (von Norbert Illig, Katalog: 43). Auch die Katakomben im Sockel wurden häufig einbezogen. Ich bin gespannt, ob und wann diese zu begehen sein werden.


Nina Heinzel wandelte Bismarck in Darth Vader um (Katalog: 17).

Und vieles, vieles mehr, klickt euch einmal durch den Katalog – hier erneut der Link.


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