Mittwoch, 16. Oktober 2013
Ein Tag in Ji’nan
Für 185 Kuai pro Strecke kommt man von Beijing im bis 305 km/h rasenden Schnellzug in knapp zwei Stunden in die Hauptstadt der als Friendly Shandong 好客山东 angepriesenen Provinz. Wir starteten unter blauem Himmel und landeten im ebenso sonnenbeschienenen, herbstlich klaren Ji’nan. Gerade in diesem arg versmogten Jahr, an dem man die blauen Tage in Beijing gefühlt fast an zwei Händen abzählen kann, ist man versucht, jeden schönen Tag mit Silberjodidsalven der Regierung in Verbindung zu bringen. Ein Hoch auf diesen Tag, nach Ji’nan hatte es mich bislang nicht gezogen, es war mir als dreckige Industriestadt auch nicht gerade ans Herz gelegt worden – zu Unrecht, oder wurde ich extra von diesem netten Fleckchen ferngehalten? Aber in Blau-Gold gelullt wirkt ja sonst möglicherweise noch so Garstiges schön und gut. Vom Westbahnhof fuhren wir eine Weile, Bergketten mal rechts, mal links, erfreuten wir uns besonders an gelegentlichen Hügelknubbeln, die in der sonst flachen Talebene der Stadt steckten – ohne Ausläufer, einfach mittendrin, wodurch wir auf den Hochstraßen dahinschwebend den Eindruck gewannen, in eine Miniaturstadt hineingeschrumpft worden zu sein.



Was wir nicht wussten: wir waren mitten ins 10. China Kunstfestival (第十届中国艺术节, 11.–26.10.2013) hineingeraten, das dieses Jahr in Shandong gastiert, und an unserem Reisetag, 15. Oktober, zusätzlich die Ausstellung westlicher Klassiker im Shandong Provincial Museum mit Aushängeschild eines Selbstporträts von Leonardo da Vinci eröffnete – das kommt davon, wenn man sich wegen eines tatsächlich erstaunlich guten englischsprachigen Onlineauftritts aus Faulheit nicht noch die chinesische Seite ansieht, 山东博物馆. Waren wir an diesem Tag doch aufgebrochen, um uns genau dieses Museum anzusehen, Anna aus Recherchegründen, ich mit dabei, weil man sich doch auch gelegentlich mit historischen Artefakten beschäftigen kann. Nichtsahnend trafen wir dann also auf Hundertscharen von Kunststudenten.



Schon interessant, wie dynamisch sich Schlangen formieren. Unser Glück, dass alle für Da Vinci gekommen waren und die uns hergelockten Exponate links liegenließen – kurz vor Toreschluss habe ich dann aber doch noch einen schnellen Blick in die Westlerecke geworfen. Abgesehen von Leo, der stand in einer abgedunkelten Extranische hinter Glas und weitläufiger Absperrung, hingen wild und ungeschützt in zwei Räumen langweilige Klassiker und modernes Allerlei aus dem 20. Jahrhundert, nach Sauerstoff schnappend fiel ich entsprechend schnell wieder heraus.

Hier aber nun eine kleine Auswahl der Werke, die wirklich eine Reise wert sind. Besonders die Dauerausstellungen der buddhistischen Skulpturen und die der hanzeitlichen Fresken haben mich in Bann gezogen. Leider war, wie so häufig in chinesischen Museen, die Beschilderung ziemlich karg, weshalb ich mich ebenfalls, man möge es mir verzeihen, mit einfachen Titeln begnügen und auf die oben erwähnte Homepage verweisen möchte, wo sich wider Erwarten gute Angaben befinden.


Avalokiteshvara Statue, Sui-Dynastie.


Buddha Triad Statue, Sui-Dynastie.


Buddha Statue, Sui-Dynastie.


Stele with Buddha’s Nirvana, Song-Dynastie.


Image of four deities, Östliche Han-Dynastie, Ausschnitt.


Image of battling barbarians and snake performance, Östliche Han-Dynastie.


Image of hunting, Östliche Han-Dynastie, Ausschnitt.


Image of females, guests and rooster fighting, o. A., Ausschnitt.


Image of Lord Zhou assisting King Cheng and Ding-cauldron fishing in the Si River, Östliche Han-Dynastie.

Punkt fünf Uhr war der Museumstag vorbei, die Ausstellung fertig eröffnet, Plakatwechsel. Anna war begeistert, dass unter der einen roten Ankündigung gleich die nächste rote Ankündigung hervorgezaubert wird. Das war mir völlig unverständlich, handelt es sich bei der einen doch in dezent unaufdringlichem Rot um das China Kunstfest, bei der anderen in halsbrecherisch schreiendem Rot um eine Haier-Werbung.



Gegenüber vom Museum protzt der sich im Bau befindende Doppelkomplex der Zigarettenmarke Taishan der China Tobacco Shandong Co. Ltd. 山东中烟泰山. Dort wollte ich hinauf, um das Museum von oben zu fotografieren – und lief dem Bauleiter in die Arme, der uns mit in den 5. Stock auf seine Plattform nahm. Hier das Shandong Museum:



Aus Beijing kommt ihr? Ich mag Beijing nicht, zu viel Stau – sagte er an der Reling seines Plateaus mit diesem Blick, vermutlich wohnt er nicht in der Innenstadt, sondern Richtung Osten.



Kennst du dich mit Steinen aus? Öhm, geht so … Kommt mit. Und es klappte sich vor unseren Augen ein vom Berg Taishan wie auch immer (Subunternehmer, was du für Fragen stellst) hergewuchteter Überklotz an Stein auf. Mit einem wirklich imposanten Drachen drauf. Grinsend nickt der Bauleiter.



Wieder auf der Straße fanden wir einen Kullifahrer, der uns durchs Straßendickicht laborierte – mit mir seid ihr mindestens zwanzig Minuten schneller, wenn nicht eine halbe Stunde, super, Keks?, danke nein, im Stau esse ich nichts Süßes, wollte ihr eine Birne?, ist eine Ji’nan-Spezialität, hat mir vorhin ein Fahrgast geschenkt. Quietschend kamen wir vorm Westeingang der Baotu Spring Scenic Area 趵突泉景区 zum Stehen. Hervorragend informiert hatte Anna vorab die Hotspots von Ji’nan ausgekundschaftet, neben dem Tausend-Buddha-Berg 千佛山 und dem Daming-See 大明湖 ist – Ji’nan gilt als Stadt der Quellen – die Quelle der Inspiration 趵突泉 die dritte Attraktion.



Vom Namen wurden wir angelockt, starrten dann auch versteinernd, wie von Lao She auf einer Tafel dazu aufgefordert, über eine Zigarettenlänge hinweg (Lao She sprach von drei Minuten, aber wir wollten auf Nummer sicher gehen) in das dreiköpfige Geblubber und wandelten anschließend mystisch durchflutet weiter im wirklich sehr schön angelegten Park herum. Vermutlich ist es kein Wunder, dass die zahlreichen Katzen hier so gepflegt daherkommen, führen sie doch ein fürstliches Leben am quellklaren Nass, aus dem sie ihren Appetit mit schillernden Goldfischen stillen können.



Nachdem wir bereits im Park in die Illuminationsbegeisterung Ji’nans eingeweiht waren, durften wir inspiriert aus der Grünanlage heraustretend Zeugen des Kunstfestspektakels werden. Gut, wenn sich so etwas nicht nur durch Farbüberflutung ankündigt, sondern der Radius der Umschiffung zusätzlich dank Schallüberreizung aufgeregt sich gegenseitig überbietender Moderatoren eindeutig geklärt wird.



Einen krönenden Abschluss lieferte dann das Gegenüber bei unserer Ankunft am Westbahnhof, wo wir von Gigantismus schier überwältigt rückwärts in den D-Zug gen Heimat stolperten.



Beim nächsten Mal Ji’nan darf es gerne der eine oder andere Tag länger werden, denn wir haben ja gerade mal an der Spitze des Zuckerberges gekratzt.

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